Frankreich will Renaissance der Atomkraft vorantreiben
rec/wü Brüssel/Paris
Der staatliche französische Stromversorger EDF (Électricité de France) hat bei von ihm betriebenen Atomreaktoren weitere Risse entdeckt. Zu Beginn der Woche war ein großen Riss in einer Rohrleitung des Atomkraftwerks Penly in der Normandie zutage getreten. Obwohl sich damit die schwarze Serie für die 56 französischen Reaktoren fortsetzt, will Frankreich die Renaissance der Atomkraft vorantreiben.
Dabei soll ein Gesetz helfen, das die Prozeduren für den von Präsident Emmanuel Macron verkündeten Bau von sechs neuen EPR-Druckwasserreaktoren vereinfachen und damit beschleunigen soll. Die Nationalversammlung hat dem entsprechenden Gesetzentwurf bereits zu Beginn der Woche zugestimmt. Der Renaissance der Atomkraft zu Schwung verhelfen soll aber auch eine von Frankreich am Rande des informellen Energie-Rates Ende Februar lancierte Atom-Allianz, der sich zehn weitere Länder der Europäischen Union (EU) angeschlossen haben, die Atomkraft befürworten.
Dazu gehören Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Finnland, die Niederlande, Polen, Rumänien, Kroatien, die Slowakei und Slowenien. Frankreich hofft, den Zirkel erweitern und einige baltische Staaten sowie Belgien zum Mitmachen überzeugen zu können. „Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um neue Anlagen zu planen“, erklärte Frankreichs Energieministerin Agnès Pannier-Runacher. „Atomkraft macht 25 % der Stromproduktion in Europa aus und stößt weniger Kohlenstoff als Windräder und Fotovoltaikanlagen aus.“
In einer gemeinsamen Erklärung bekräftigten die elf Mitglieder der Atomallianz ihren Willen, ihre Zusammenarbeit in der Atomkraft verstärken und neue Projekte anstoßen zu wollen, die vor allem auf neuen Technologien basieren sollen. Frankreich kämpft in Brüssel auch dafür, dass kohlenstoffarmer Wasserstoff mit Hilfe von Atomenergie erzeugt werden kann und somit in der EU-Direktive für erneuerbare Energien, die derzeit in Brüssel verhandelt wird, gleichgestellt wird mit Wasserstoff, der mit Hilfe erneuerbarer Energien wie Solarenergie, Windkraft oder Wasserkraft gewonnen wird. Ein Vorstoß, gegen den Deutschland, Spanien, Österreich und andere Länder sind.
Wie grüner Wasserstoff definiert wird, ist im Hinblick auf Investitionsentscheidungen relevant. So sind Verbraucher bereit, für grünen Wasserstoff einen höheren Marktpreis zu zahlen, und zudem entscheidet die Definition auch über den Zugang zu Fördermitteln. Sobald anerkannt werde, dass Atomkraft kohlenstoffärmer sei als andere Energien, sei es wichtig, dass die europäischen Texte sie zu einem Mittel für die Dekarbonisierung machten, fordert Frankreichs Energieministerin Pannier-Runacher. „Wir wünsche, dass Atomkraft nicht diskriminiert wird.“ Eine Einigung über die Direktive wird Ende März erwartet. Nach der Taxonomie zugunsten der Atomenergie konzentriert sich Frankreich nun darauf.
Es werde immer deutlicher, dass die EU-Kommission der Atomkraft zu einer Art Renaissance verhelfe, meinen Beobachter in Brüssel. Ausgangspunkt sei die Taxonomie: Darin stuft die EU-Kommission Atomkraft als klimafreundlichen Energieträger ein. Was einen öffentlichen Aufschrei ausgelöst und auch an den Finanzmärkten für Irritationen gesorgt hat, strahlt auf immer mehr nachfolgende Vorhaben ab. So zeichnet sich ab, dass Atomkraftwerke im Rahmen der Strommarktreform aufgewertet werden: Spezielle Energielieferverträge für die Industrie samt staatlichen Preisgarantien sollen offenbar für Atomstrom ebenso kommen wie für erneuerbare Energien.
Kritiker sehen in dieser Gleichsetzung ein weiteres Zugeständnis an die Franzosen. Dass die Atomkraft in Brüssel wohlgelitten scheint, ermuntert aber auch Länder wie Polen. Deutschlands östlicher Nachbar hat erst kürzlich den Einstieg in die Atomkraft beschlossen. Polens Klima- und Umweltministerin Anna Moskwa machte sich im Anschluss an das Gründungstreffen in Stockholm für eine europäische Förderung stark: Die Kernkraft sei „von großem Wert für unseren Energiemix“.