Frankreichs neues Maskenproblem
“Hier spricht Ihr maskierter Schaffner”, meldet sich der Zugbegleiter an Bord des TGV per Lautsprecher. Wer keine Maske hat, darf in Frankreich gar nicht erst in den Hochgeschwindigkeitszug einsteigen. In den Pariser Bahnhöfen kontrollieren Polizisten, ob sich auch alle an die Regeln halten. “Covid-Masken geben den Franzosen eine neue Art, schick zu sein”, urteilte das Wirtschaftsmagazin “The Economist” bereits. Denn zahlreiche Modedesigner, Textilunternehmen wie Petit Bateau und Luxusgüterhersteller wie Kering sind im Frühjahr in die Maskenproduktion eingestiegen.Und doch offenbart ein Blick in den Straßengraben Frankreichs neues Maskenproblem. Achtlos weggeschmissen, gammeln dort immer mehr Einwegmasken vor sich. Waren zu Beginn der Pandemie partout keine Masken zu bekommen, gibt es mittlerweile zu viele davon. Nach dem Mangel kommt es inzwischen zur Überproduktion. Dabei gab es noch im März und April noch nicht mal für das Pflegepersonal genügend Masken. “Entblößt gegenüber dem Coronavirus” stand unter den Nacktaufnahmen, mit denen Zahnärzte, Krankenschwestern und -pfleger diesen Notstand anprangerten. Selbst zu Beginn der Lockerungen der strengen Ausgangssperre war es noch schwierig, als Normalbürger an eine Maske zu kommen.Grund dafür war eine Entscheidung aus dem Jahr 2011. Damals beschloss Frankreich, seine Lagerbestände an Schutzmasken nicht zu erneuern, da die H1N1-Epidemie weit weniger schlimm als zunächst befürchtet ausgefallen war. Roselyne Bachelot, seinerzeit Gesundheitsministerin, wurde deshalb vorgeworfen, sie habe Steuergeld für Masken und Impfstoffe verschwendet. Daraufhin beschloss das Land, die Bestände auf den Weltmärkten seien ausreichend, um sich bei einer neuen Epidemie entsprechend einzudecken. Eine Fehlkalkulation, wie sich im März herausstellte.Und doch hat sich Frankreich nun erneut verkalkuliert. Verkauften sich die inzwischen 25 Millionen pro Woche produzierten Stoffmasken zu Beginn der Lockerung der Ausgangssperre noch gut, stapeln sich nun in den Lagerhallen nach Angaben des Arbeitgeberverbandes der Textilindustrie, Union des Industries Textiles, inzwischen mehrere Dutzend Millionen Schutzmasken aus Stoff. Deshalb mache sich in seiner Branche mittlerweile eine gewisse Verbitterung breit, sagt der Verbandsvorsitzende Yves Dubief. Denn ungeachtet des Arguments, dass Stoffmasken längerfristig günstiger und umweltfreundlicher sind, greifen viele Franzosen lieber zu den inzwischen in allen Supermärkten zu habenden Einwegmasken aus Asien.”Wir haben 1 Mill. Euro investiert, um unsere Produktionskapazitäten zu erhöhen”, berichtet Eric Boël, Chef von Tissages de Charlieu. Doch inzwischen sitze seine Firma auf 1 Million unverkaufter Stoffmasken. Für die Branche seien die Lockerungen der Ausgangssperre am 11. Mai wie eine kalte Dusche gewesen, meint auch Pierric Chalvin vom Verband der Textilfirmen aus der Region Auvergne-Rhône-Alpes. Die Bestellungen der Gebietskörperschaften und der Unternehmen brächen ein, wenn sie angesichts der Konkurrenz der billigen Importe nicht gleich ganz annulliert würden.Wirtschaftsstaatssekretärin Agnès Pannier-Runacher wollte am Montag mit den Vertretern der rund 450 Unternehmen, die in die Stoffmaskenproduktion eingestiegen sind, über das weitere Vorgehen beraten. Sie will nun andere Unternehmen, aber auch öffentliche Einrichtungen überzeugen, einen Vorrat an Stoffmasken “Made in France” für ihre Mitarbeiter anzulegen. Guillaume Gibault, Gründer des zum Kultlabel gewordenen Unterwäsche-Start-up Le Slip Français, soll dafür als Botschafter werben. “Das ist doch unglaublich”, sagte sie dem Radiosender RTL. “Wir haben ein Produkt, das umweltfreundlich ist und ein unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis hat, und trotzdem gelingt es uns nicht, die großen Konzerne zu überzeugen, diese Masken zu benutzen.” Stattdessen setzten diese lieber auf aus China importierte chirurgische Einmalmasken. Ein gutes Beispiel dafür ist die Fluggesellschaft Air France. Während die staatliche Bahn SNCF auch Stoffmasken an Bord der TGVs erlaubt, sind bei ihr chirurgische Wegwerfmasken vorgeschrieben.