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Frankreichs Steuerpolitik steht vor Veränderungen

Von Gesche Wüpper, Paris Börsen-Zeitung, 18.4.2019 Die Ansprache war bereits aufgezeichnet worden. Doch dann brach rund eine Stunde vor der geplanten TV-Ausstrahlung das Feuer in Notre-Dame aus und Präsident Emmanuel Macron sagte alles ab....

Frankreichs Steuerpolitik steht vor Veränderungen

Von Gesche Wüpper, ParisDie Ansprache war bereits aufgezeichnet worden. Doch dann brach rund eine Stunde vor der geplanten TV-Ausstrahlung das Feuer in Notre-Dame aus und Präsident Emmanuel Macron sagte alles ab. Dienstagabend versprach er zwar, die Kathedrale werde innerhalb von fünf Jahren wieder aufgebaut. Aber die Maßnahmen, die er eigentlich hätte Montagabend verkünden wollen, nannte er nicht.In der französischen Presse sind jetzt allerdings erste Details dazu durchgesickert. Dabei sollte es demnach vor allem um Steuererleichterungen gehen. Der Élysée-Palast wollte die Informationen zu den geplanten Maßnahmen weder kommentieren noch bestätigen. Mit ihnen will Macron auf die landesweite Bürgerdebatte reagieren, die er nach Ausbruch der Gelbwesten-Proteste lanciert hatte. Bei der Bürgerdebatte hatte sich vor allem der Wunsch herauskristallisiert, dass der Staat sowohl Einkommensteuer als auch die Mehrwertsteuer senken solle.Macron soll in der aufgezeichneten Ansprache Steuersenkungen angekündigt haben, um vor allem die mittleren Einkommensklassen zu entlasten. Um dies zu finanzieren, will er offenbar einige Steuernischen schließen. Dagegen will er die von ihm abgeschaffte Vermögenssteuer Impôt de solidarité sur la fortune (ISF) nicht wie von den Gelbwesten gefordert wieder einführen. Er wolle jedoch Anfang nächsten Jahres eine unabhängige Bewertung durchführen lassen, ob die von der ISF befreiten Steuerzahler ihr Geld tatsächlich wie von ihm gewünscht in die französische Wirtschaft investieren, berichten französische Medien. Ist dies nicht der Fall, sei er bereit, die Reform der ISF zu modifizieren.Die von Macron wenige Wochen nach Beginn der Gelbwesten-Proteste vorgeschlagene Prämie von 1 000 Euro, die viele Unternehmen wie von ihm gewünscht ihren Mitarbeitern gezahlt haben, will das Staatsoberhaupt nun offenbar dauerhaft von Steuern und Abgaben befreien. Renten von weniger als 2 000 Euro im Monat will er wieder der Inflation anpassen. Macron hatte bereits im Dezember auf eine zuvor geplante Erhöhung der Abgaben auf niedrige Renten verzichtet. Nach Angaben von RTL möchte er nun aber auch, dass die Franzosen länger arbeiten. Es sei jedoch noch nicht klar, wie dies erreicht werden soll, berichtet der Radiosender. Denkbar wären die Abschaffung einiger Feiertage, längere Wochenarbeitszeiten oder die Erhöhung des Rentenalters. Großer Block Mehrwertsteuer Französische Haushalte müssten die meisten Steuern zahlen, beklagen Medien in Frankreich immer wieder. Laut der Generaldirektion für öffentliche Finanzen unterlagen von den fast 38 Millionen Steuerhaushalten zuletzt jedoch gerade mal 43,1 % der Einkommensteuer. Im Zeitraum 1975 bis 1985 waren es 60 % bis 65 %. Obwohl die Zahl der einkommensteuerpflichtigen Haushalte abnimmt, sind die Einnahmen für den Staat 2017 von 76,5 Mrd. Euro auf 77,63 Mrd. Euro gestiegen, wobei 70 % dieser Einnahmen von gerade einmal 10 % der Steuerzahler stammen. Insgesamt macht die Einkommensteuer 19 % der Steuereinnahmen des französischen Staates aus. Die Mehrwertsteuer TVA bringt dagegen laut Statistikamt Insee 160 Mrd. Euro und die allgemeinen Sozialabgaben CSG kommen auf rund 100 Mrd. Euro.Obwohl die Steuern auf Einkommen und Kapitalgewinne in Frankreich im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gerade mal 10,9 % betragen, kommt die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit zuletzt 46,2 % auf die höchste Steuerquote vor Dänemark. In ihrem kürzlich zu Frankreich veröffentlichten Länderbericht empfehlen die OECD-Experten, das Steuersystem zu vereinfachen und dabei Ausnahmen und reduzierte Sätze abzuschaffen, von denen die Haushalte mit dem niedrigsten Einkommen nicht profitieren.Die vielen reduzierten Sätze oder Befreiungen würden das System der Mehrwertsteuer in Frankreich sehr komplex machen, urteilen sie. Auch entgingen dem Staat dadurch wichtige Einnahmen. Zudem ließen sich bestimmte sozialpolitische Ziele mit anderen Instrumenten wie der Einkommensteuer besser erreichen. Auch hätten die reduzierten Mehrwertsteuersätze in bestimmten Branchen wie dem Gaststättengewerbe und der Hotellerie nur begrenzte Auswirkungen auf die Beschäftigung gehabt. Die Organisation hat Frankreich bereits zuvor geraten, die reduzierten Mehrwertsteuersätze abzuschaffen. Doch bisher ist in dieser Hinsicht nichts geschehen. Die OECD plädiert auch dafür, die Steuern so zu gestalten, dass sie günstiger für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Produktivität sind. Innerhalb Europas hat Frankreich die zweithöchsten Produktionsabgaben nach Schweden, die höchsten von Arbeitgebern zu zahlenden Sozialabgaben und die höchste Körperschaftsteuer.