Frau regiert die Welt
Von Stefan Reccius, FrankfurtBevor Kristalina Georgiewa auf eine Frage zur jüngsten Konjunkturprognose des von ihr geführten Internationalen Währungsfonds (IWF) einging, wollte die Bulgarin eines loswerden: “Vielen Dank, dass Sie Geschlechtervielfalt in unsere Runde gebracht haben”, sprach Georgiewa in die Kamera und lächelte. Ihr Dank galt CNBC-Moderator Geoff Cutmore. Der Wirtschafts- und Finanzsender hatte am Donnerstagabend vier hochrangige Persönlichkeiten in sein Londoner Studio geschaltet, um am Rande der virtuellen Jahrestagung von IWF und Weltbank über den Zustand der Weltwirtschaft zu diskutieren. Neben der aus Washington verbundenen IWF-Chefin saßen in Frankfurt die Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, in Genf die Anwärterin auf den Spitzenjob der Welthandelsorganisation, Ngozi Okonjo-Iweala, und in Jakarta Indonesiens Finanzministerin Sri Mulyani Indrawati vor dem Bildschirm. Statt Krawatte und Einstecktuch dominierten dezente Perlenketten und Ohrringe die Runde.Mehr Frauen in Spitzenpositionen von Wirtschaft und Politik: Diesen Wunsch hegen hierzulande viele seit Langem, doch er ist genau das geblieben: eine Wunschvorstellung – allen Bemühungen zu einer verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der zyklisch auflebenden Debatte über eine Frauenquote für Vorstände zum Trotz. Bis heute hat es keine Frau an die Spitze eines Dax-30-Konzerns geschafft. Auch etliche Wissenschaftsdisziplinen – allen voran BWL und VWL – haben Nachholbedarf. Nicht nur große Volkswirtschaften wie Schweden und die USA sind längst weiter. Auch auf dem internationalen Politparkett haben inzwischen auf entscheidenden Posten Frauen das Sagen. Politisch brisante JobsDie Französin Lagarde und die Bulgarin Georgiewa, Lagardes Nachfolgerin an der Spitze des IWF sind nur die prominentesten Vertreterinnen ihrer Zunft. Die EU-Kommission wird seit einem Jahr von der früheren deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen angeführt. Die Gambierin Fatou Bensouda ist als Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag gewissermaßen die oberste Staatsanwältin der Weltgemeinschaft, um Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. Und neben der Welthandelsorganisation, die künftig von Okonjo-Iweala oder Südkoreas Handelsministerin Yoo Myung-hee geführt wird, könnte bald ein weiterer politisch brisanter Job in die Hände einer Frau übergehen: Der Schwedin Cecilia Malmström werden gute Aussichten eingeräumt, im Juni 2021 Angel Gurría als Generalsekretär der Industrieländervereinigung OECD zu beerben.Als EU-Wettbewerbskommissarin legte Malmström sich mit den US-Technologiegiganten Google, Facebook und Co. an. Unter dem Dach der OECD laufen diffizile Verhandlungen über eine globale Mindestbesteuerung samt einer Digitalsteuer – Malmströms Herzensprojekt, das ihr erbitterten Widerstand aus den USA eingebracht hat. Auch in der zweiten Reihe wird weiblicher Sachverstand geschätzt: Gita Gopinath (IWF), Carmen Reinhart (Weltbank) und Laurence Boone (OECD) sind Chefvolkswirtinnen ihrer Häuser. Bewegung in VWL und BWLDagegen sind wirtschaftswissenschaftliche Fakultäten hiesiger Hochschulen nicht gerade Horte gelebter Frauenförderung. Unter Promovierenden, Postdoktoranden und Juniorprofessoren sind kaum mehr als ein Drittel weiblich. Die höchste Karrierestufe erklimmen noch deutlich weniger: Gerade einmal 15 % aller BWL- und VWL-Professoren in Deutschland sind Frauen; Schlusslichter sind die Lehrstühle für Finanzen und Makroökonomie mit einem Frauenanteil von kümmerlichen 7 und 11 %. Das ergab eine Studie des Vereins für Socialpolitik (VfS).Nicola Fuchs-Schündeln, die Vorsitzende der Ökonomenvereinigung, will das ändern. Sie hat die Studie angestoßen. Als Professorin für Makroökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt gehört sie selbst einer raren Spezies an. Frauenförderung hat sie zum Leitmotiv ihrer VfS-Amtszeit erkoren. Unter ihr wolle der Verein “Unterstützung dabei leisten, diesen Anteil auf den akademischen Karrierestufen zu erhöhen”, sagt Fuchs-Schündeln. Ein erstes konkretes Ergebnis gibt es bereits: Ökonominnen im deutschsprachigen Raum können sich in eine Datenbank aufnehmen lassen zur “besseren Wahrnehmung in der Fachöffentlichkeit”. Ein Anfang ist gemacht.——Mehr Frauen in Spitzenpositionen: Hierzulande kaum Fortschritt, international längst Realität.——