LEITARTIKEL

Frostiges Verhältnis

Das Großbritannien von Donald Trump angebotene Freihandelsabkommen ist eine Möglichkeit, die Auswirkungen eines ungeordneten Brexit abzumildern. Chlorhühnchen, Gensoja und Hormonfleisch verlieren ihren Schrecken, wenn man beim Einkauf auf den Preis...

Frostiges Verhältnis

Das Großbritannien von Donald Trump angebotene Freihandelsabkommen ist eine Möglichkeit, die Auswirkungen eines ungeordneten Brexit abzumildern. Chlorhühnchen, Gensoja und Hormonfleisch verlieren ihren Schrecken, wenn man beim Einkauf auf den Preis achten muss. Und das werden die Briten schon müssen, wenn man den Horrorszenarien der EU-Austrittsgegner Glauben schenkt. Aber was soll’s, Millionen von Amerikanern ernähren sich von solchen Produkten, ohne Schaden zu nehmen. Am einfachsten wäre es, die jeweiligen Standards als gleichwertig anzuerkennen und die Grenzen zu öffnen. Keine Zölle, keine sonstigen Handelshemmnisse, keine Subventionen – wer umfassenden Freihandel will, sollte Trump beim Wort nehmen.Das gilt nicht nur für Lebensmittel. Auch die Autoindustrie würde profitieren. Wenn künftig Einfuhrzölle auf Komponenten aus Resteuropa erhoben würden, müsste sie sich nach neuen Zulieferern umsehen. Die größten Firmen dieser Art sitzen in den Vereinigten Staaten. Auch hier könnte man einfach davon ausgehen, dass der jeweilige Regulierer im besten Interesse der Verbraucher handelt. Dann ist es nicht mehr ganz so wichtig, ob sich die Aufsicht wie in den USA besonders auf den Schutz der Fahrzeuginsassen in dem Fall konzentriert, dass sich das Fahrzeug überschlägt, oder wie in Großbritannien auf den seitlichen Aufprallschutz. BMW könnte den Mini aus Oxford amerikanischen Kunden zollfrei liefern. Und Aston Martin wäre gegenüber den italienischen Rivalen im Vorteil.Der immer wieder gern ins Feld geführte Schutz des maroden staatlichen Gesundheitssystems NHS vor profitgierigen US-Konzernen ist dagegen ein zu vernachlässigendes Hindernis. Firmen aus der EU befriedigen ihr Bedürfnis nach Gewinn längst mit Hilfe von Aufträgen des NHS. Mehr Wettbewerb und Effizienz können da nicht schaden.Aber Theresa May hat die Hand, die ihr Donald Trump entgegenstreckte, ausgeschlagen. Die Option auf ein Freihandelsabkommen mit den USA hätte ihr in den Verhandlungen mit Resteuropa einen Vorteil verschafft. Sie wollte ihn nicht, denn er hätte eine stärkere transatlantische Ausrichtung verlangt. Die angeblich so besondere Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und seiner ehemaligen Kolonie hat sich stark abgekühlt. Washington missfällt, wie sich London in Peking anbiedert, während sich die amerikanisch-chinesischen Beziehungen in einer kritischen Phase befinden. Wenn sich Schatzkanzler Philip Hammond um Aufträge für britische Firmen beim Bau der Neuen Seidenstraße bemüht, kritische Telekominfrastruktur bei Huawei geordert wird oder die London Stock Exchange Group eine Börsenverbindung nach Schanghai eröffnet, bleibt das im Trump Tower nicht unbemerkt. Das Land kann zwischen Washington und Peking keine neutrale Position einnehmen, ohne dass die transatlantische Allianz Schaden nimmt. Margaret Thatcher wäre vermutlich etwas vorsichtiger mit der Volksrepublik umgegangen. Zudem hätte sie wohl beim Marktzugang Gegenseitigkeit eingefordert. Der US-Regierung stößt zudem sauer auf, dass London am gescheiterten Atomabkommen mit dem Iran festhalten will.Britische Politiker vermitteln zunehmend den Eindruck, lieber blockfrei sein zu wollen – ein auch in vielen anderen westeuropäischen Staaten zu beobachtendes Phänomen. Man trage doch keine sicherheitspolitische Verantwortung für Ostasien, lautet eine gängige Argumentation, wenn es um die chinesischen Territorialansprüche im Südchinesischen Meer geht. Man solle sich lieber überlegen, wie sich ein neuer Kalter Krieg verhindern lasse, bevor man sich völlig überstürzt Trump anschließe. Großbritannien verfügt zwar schon lange nicht mehr über die nötige kritische Masse, um in der Weltpolitik eine Führungsrolle zu spielen. Das Gefühl der kulturellen Überlegenheit erschwert aber nach wie vor eine realistische Sicht der Verhältnisse. So setzt man in Westminster immer noch darauf, eine vorteilhafte Übereinkunft mit der EU erzielen zu können. Natürlich wäre man nicht abgeneigt, einen Deal mit Washington zu machen, aber nicht auf Kosten der stabilen Handelsbeziehungen mit Resteuropa. Denn es ist nicht leicht, sich vorzustellen, dass sich das Geschäft mit den USA auf einmal verdoppelt oder verdreifacht, wie von Trump in Aussicht gestellt. Am unterkühlten Verhältnis zu Washington dürfte sich unter Führung von Boris Johnson, der bis auf die auffällige Frisur mit Trump nichts gemein hat, also nichts ändern.——Von Andreas HippinAm unterkühlten Verhältnis zwischen London und Washington dürfte sich auch unter Führung von Boris Johnson nichts ändern.——