Standortpolitik

Frust über Ampel beschert USA Andrang deutscher Unternehmen

Eine Wutrede von Theodor Weimer zur Wirtschaftspolitik der Ampel sorgt für hitzige Diskussionen. Der Familienunternehmer Nikolas Stihl schlägt nun differenzierter in die gleiche Kerbe wie der Börsenchef. Mit seiner Skepsis zum Standort Deutschland befindet er sich in guter Gesellschaft internationaler Investoren.

Frust über Ampel beschert USA Andrang deutscher Unternehmen

Frust über Ampel beschert Standort USA Zulauf

Stihl-Beiratschef kritisiert überbordende Bürokratie und mangelnde Produktivität in Deutschland – Firmen priorisieren Investments in Vereinigten Staaten

Eine Wutrede von Theodor Weimer zur Wirtschaftspolitik der Ampel sorgt für hitzige Diskussionen. Der Familienunternehmer Nikolas Stihl schlägt nun differenzierter in die gleiche Kerbe wie der Börsenchef. Mit seiner Skepsis zum Standort Deutschland befindet er sich in guter Gesellschaft internationaler Investoren.

xaw New York

Nikolas Stihl macht aus seiner Frustration keinen Hehl. „Investitionen in eine neue Fertigung in Deutschland wird es von uns in den kommenden fünf Jahren ganz sicher nicht geben“, sagt der Aufsichts- und Beiratsvorsitzende des Motorsägen-Weltmarktführers Stihl in Manhattan. Der Familienunternehmer ist eigentlich aus einem für ihn erfreulichen Anlass nach New York gereist: Der Thinktank American-German Institute verleiht ihm den „Global Leadership Award“, mit dem üblicherweise Vertreter größerer Konzerne oder Persönlichkeiten aus der Politik ausgezeichnet werden.

Doch Stihl hat harte Ansagen im Gepäck: Eine zu hohe Abgabenbelastung und ein Bürokratiedickicht sowie der Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden machten die Produktion in Deutschland unerschwinglich – sogar im Vergleich zur Schweiz, wie der Beiratschef bekräftigt. Den Bau eines neuen Werks in Ludwigsburg bei Stuttgart hat Stihl im Frühjahr auf Eis gelegt, wie es dort weitergeht, will das Unternehmen bis 2030 entscheiden.

Harte Kritik an Habeck

Mit seinen Aussagen schlägt Stihl in die gleiche Kerbe wie Theodor Weimer. Ende der vergangenen Woche fand eine bereits im April gehaltene Rede des CEO der Deutschen Börse den Weg in die breitere Öffentlichkeit, in der sich der Manager massiv über die Wirtschaftspolitik der Ampel echauffierte. Die Bundesrepublik sei „auf dem Weg zum Entwicklungsland“, der Aktienmarkt ein „Ramschladen“, der aus dem Ausland lediglich noch opportunistische Investoren anziehe. Insbesondere Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ging Weimer dabei hart an.

Verena Hubertz, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, warf dem Börsenchef darauf ein Auftreten im „Bierzelt-Stil“ vor, andere Vertreter der Koalitionsparteien bezeichneten seinen „aufwieglerischen“ Angriff gegen einzelne Politiker als argumentativ zu dünn untermauert und schädlich für die politische Debattenkultur. Insbesondere Weimers Forderung, Deutschland müsse mehr Privatwirtschaft wagen, kritisierten Beobachter angesichts seines gleichzeitigen Lobes für amerikanische Subventionsprogramme wie den Inflation Reduction Act (IRA) als widersprüchlich.

Fragezeichen bei internationalen Investoren

„Unabhängig davon, wie man zu den inhaltlichen Aussagen steht, ist die Brandrede von Börsenchef Theodor Weimer ein Stimmungsindikator", gibt Rainer Langel, Europachef der Investmentbank Macquarie, jedoch zu bedenken. Abseits der Öffentlichkeit äußerten sich derzeit viele Manager durchaus ähnlich zum Wirtschaftsstandort Deutschland. Und: „Internationale Investoren versehen Deutschland mit einem größeren Fragezeichen als je zuvor“, betont Langel.

Gemäß einer im März veröffentlichten Umfrage der Beratungsgesellschaft KPMG glaubt nahezu die Hälfte der CFOs der 350 größten Deutschlandtöchter internationaler Konzerne, dass ihre Firmen Neuinvestitionen in anderen Regionen in den nächsten fünf Jahren priorisieren werden. Das größte angeführte Hemmnis für Anlagen in der Bundesrepublik ist dabei eins, das auch Weimer und Stihl hervorheben: ein übertriebener bürokratischer Aufwand. Hinzu kämen zu hohe Energiekosten und mangelnde Technologieoffenheit.

Microsoft investiert Milliarden

Laut dem Stihl-Beiratschef tut Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entsprechende Beschwerden aber als „Klage des kleinen Kaufmanns“ ab, statt „der Wirklichkeit ins Auge“ zu sehen. Der Regierungschef konnte sich indes noch im Februar dafür feiern lassen, die mit 3,3 Mrd. Dollar größte Einzelinvestition in der Geschichte von Microsoft in der Bundesrepublik angezogen zu haben.

Microsoft wollte sich gegenüber der Börsen-Zeitung nicht zur Standortpolitik der Bundesregierung äußern. Andere US-Unternehmen wie Tesla oder Eli Lilly, die Milliardeninvestitionen in den Standort Deutschland stecken, kommentierten die Wutrede von Börsenchef Weimer auf Anfrage nicht. Und auch viele US-Investmentgesellschaften tun sich schwer damit, sich öffentlich zur Attraktivität deutscher Anlageziele zu äußern.

Niedrige Bewertungen als Kriterium

Aus dem Umfeld amerikanischer Vermögensverwalter ist allerdings zu hören: Als „Ramschladen“ betrachteten sie die Bundesrepublik noch nicht, gerade Mid- und Small-Cap-Manager sähen in der größten Volkswirtschaft der Europäischen Union noch fundamental attraktive Gelegenheiten. Die im Vergleich zum US-Markt häufig niedrigeren Bewertungen spielten aber durchaus eine hervorgehobene Rolle bei Investmententscheidungen.

Deutsche Unternehmen entwickeln unterdessen einen zunehmend stärkeren Drang in die USA. Laut dem diesjährigen „German American Business Outlook“ der Deutschen Außenhandelskammern in den Vereinigten Staaten planen 96% der fast 200 befragten Firmen, ihre US-Investitionen bis 2026 auszuweiten. Dies geht durchaus zulasten des Standorts Deutschland: Zuletzt haben 9% der Umfrageteilnehmer ihre Produktion in Deutschland zugunsten der US-Herstellung reduziert.

Ausbau von US-Fertigung im Fokus

Der IRA liefert starke Anreize zur Verlagerung nach Amerika. Für Stihl, das seit 1974 in den USA produziert, sind nach Aussage von Management und Beirat hingegen der große Abnehmermarkt und die Verfügbarkeit von im Vergleich zu Deutschland günstigerer und produktiverer Arbeitskraft die entscheidenden Argumente für die Vereinigten Staaten. Bis 2025 will das in der Nachhaltigkeitstransformation steckende Familienunternehmen über 60 Mill. Dollar in die Produktion von Akku-Geräten am Standort Virginia Beach investieren.