Für Ifo-Chef Sinn zeichnet sich Staatenkrise ab

Ökonom hält Europas bisherige Lösungsversuche der Schuldenproblematik für riskant

Für Ifo-Chef Sinn zeichnet sich Staatenkrise ab

dm Frankfurt – Für Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn zeichnet sich in Europa eine “Staatenkrise” am Horizont ab, die eine ganz andere Hausnummer haben könnte als ein möglicher Austritt Griechenlands aus der Währungsunion. Sinn holte dabei auf einer Konferenz in Frankfurt vor institutionellen Investoren weit aus: Europa sei daran, die Fehler zu wiederholen, die in den Anfangszeiten der Vereinigten Staaten gemacht worden seien. Der erste amerikanische Finanzminister, Alexander Hamilton, hatte 1791 die Schulden der Einzelstaaten in Bundesschulden umgewandelt. AnsteckungseffekteIm Fall der USA habe dies zu einer Kreditblase geführt, deren Platzen das Land lange belastet habe. “Nichts als Streit, Missgunst und Hass ist entstanden”, sagte der streitbare Ökonom. Die ungelöste Schuldenproblematik habe mit zum Entstehen des Sezessionskriegs beigetragen. Sinn zieht dabei Parallelen zum Management der Schuldenkrise in Europa. Die Politik sei im Fall Griechenlands gescheitert, zum Schaden des ganzen Systems. Er warnte vor “riesengroßen Ansteckungseffekten”, sollten andere Euro-Länder für überschuldete Nachbarn geradestehen müssen. Konkret führte er aber diese von ihm erwarteten Effekte nicht aus.Als sinnvolle Lösung bezeichnet Sinn den Austritt Griechenlands aus dem Euro. Demnach soll das südeuropäische Land den Euro als Parallelwährung behalten, aber eine neue Drachme als gesetzliches Zahlungsmittel einführen. Eine Rückkehr in die Währungsunion für das hoch verschuldete Land solle möglich sein.Gründe für das Scheitern der Griechenlandhilfen erkennt Sinn darin, dass sie die Schuldenproblematik nicht gelöst und die Wirtschaft zu wenig stimuliert hätten. Griechenland habe sogar seit 2008 bis März 2015 zusätzliche Auslandsschulden von 108 Mrd. Euro aufgebaut. Diese “Kapitalflucht” sei teils durch Rettungskredite finanziert worden. Das Eurosystem werde, sagte Sinn etwas polemisch, von Privaten genutzt, um ihr Vermögen ins Ausland zu transferieren. Dort stehe den Bankguthaben dann werthaltiges Nationalbankgeld gegenüber.Nach Berechnung des Ifo-Instituts hat Griechenland bisher 325 Mrd. Euro Rettungskredite erhalten (siehe Grafik). Dies entspreche 182 % des Bruttoinlandsprodukts oder 35 Marshallplänen. Der Ökonom wirft Griechenland vor, in den Verhandlungen mit der EU, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds “auf Zeit” zu spielen. Die Kapitalflucht erhöhe aus Sicht der anderen Euro-Länder die Kosten für den Euro-Austritt Griechenlands.Erneut kritisierte Sinn die Ablösung privater Kredite durch günstigere öffentliche Kredite, die jedoch Risiken für den Steuerzahler bergen. Dies habe Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Italien und Zypern seit 2007 in Summe 444 Mrd. Euro Zinszahlungen auf ihre Nettoauslandsschulden erspart. Dieser Rechnung legte Sinn einen hypothetischen, konstanten Zinssatz in Höhe des durchschnittlichen Marktzinses von 2007 zugrunde. EZB-Politik gerechtfertigtTrotz der Schuldenkrise in Europa sieht Sinn die deutsche Konjunktur aber auf guter Fahrt und hält den jüngsten Rückgang des Ifo-Index nicht für eine Trendwende. Er lobte die Politik der quantitativen Lockerung der EZB als “ökonomisch gerechtfertigt”, wenn auch “nicht rechtlich solide”. Zu 80 % werde das Programm “zum Glück nicht in Gemeinschaftshaftung” umgesetzt. Es führe zum Abbau von Ungleichgewichten in der Eurozone. Deutschland werde inflationiert, während die Südländer ihre Wettbewerbsposition verbesserten, wenn sie “klugerweise” an der Austeritätspolitik festhielten und ihre Inflation unter dem Niveau der wettbewerbsstärkeren Länder liege.