Im InterviewGabriel Felbermayr

„Freihandel gibt es in Wahrheit nicht“

Handelshemmnisse haben seit der Finanzkrise deutlich zugenommen. Im Interview mit der Börsen-Zeitung erklärt Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, wieso sich Staaten mit dem Abbau von Protektionismus schwertun.

„Freihandel gibt es in Wahrheit nicht“

Im Interview: Gabriel Felbermayr

„Freihandel gibt es in Wahrheit nicht“

Begriff ruft laut Ökonom falsche Assoziationen hervor – Klimaschutz und Versorgungssicherheit rücken bei Freihandelsabkommen in den Vordergrund

Handelshemmnisse haben seit der Finanzkrise deutlich zugenommen. Im Interview der Börsen-Zeitung erklärt Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, wieso sich Staaten mit dem Abbau von Protektionismus schwertun.

Herr Professor Felbermayr, laut einer Umfrage der DIHK sind mehr als die Hälfte der international tätigen deutschen Unternehmen mit Handelshemmnissen konfrontiert – was allerdings auch an den Sanktionen gegen Russland liegt. Wie protektionistisch sind die Staaten weltweit derzeit?

Diese Frage ist leider leicht zu beantworten. Nicht nur Umfragen, sondern auch Daten zu Importzöllen, Exportbeschränkungen und Exportsubventionen sprechen da eine klare Sprache. Seit der Finanzkrise erleben wir einen deutlichen Trend zu mehr Protektionismus.

Weshalb ist das so?

Das Narrativ im Westen, dass freies Investieren Wohlstand für einen breiten Teil der Bevölkerung schafft, hat Risse durch die Finanzkrise bekommen. Gleichzeitig brachte das Gegenmodell, auf Protektionismus zu setzen, in China scheinbar Erfolg. Das Land hat die USA bei der Kaufkraft des Bruttoinlandsprodukts inzwischen überholt. In Schwellen- und Entwicklungsländern wird schon lange auf Protektionismus gesetzt, da setzt sich der Trend also nur fort.

Ein Mittel, um Protektionismus und Handelshürden abzubauen, sind Freihandelsabkommen. Bei allen ökonomischen Vorteilen, die solche Vereinbarungen mit sich bringen können, müssen nicht gerade Schwellen- und Entwicklungsländer aufpassen, dass die heimische Wirtschaft bei Abkommen mit Industriestaaten noch konkurrenzfähig bleibt?

Ja, das ist auf jeden Fall ein Punkt. Doch gerade für Entwicklungsländer ist der Zugang zu neuen Technologien, die Handelsabkommen ermöglichen, wichtig. Beispielsweise haben afrikanische Landwirte gegenüber europäischen Bauern durchaus einen Standortvorteil. Die Böden und Arbeitskräfte sind im Vergleich zu Europa billig. Doch die Produktivität der afrikanischen Landwirtschaft ist recht niedrig. Hier könnte der Einsatz von Technologien, die etwa den Wasserverbrauch und den Einsatz von teuren Pflanzenschutzmitteln reduzieren, helfen. Aber eins ist klar: Freihandelsabkommen bringen immer Gewinner und Verlierer hervor. Eine alte, aber nach wie vor relevante Frage ist, wie Staaten diesen Verlierern unter die Arme greifen können, um die Verluste zu kompensieren.

Zur Person: Gabriel Felbermayr ist seit Oktober 2021 Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) in Wien sowie Universitätsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Zuvor machte sich der 46-jährige Österreicher in Deutschland unter anderem als Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) und Leiter des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft am Ifo-Institut in München einen Namen in der Wirtschaftsforschung.

Traditionell ist die Hauptaufgabe von Freihandelsabkommen, durch mehr Handel mehr Wohlstand zu schaffen. Inzwischen scheinen aber auch andere Aspekte bei den Abkommen eine wichtige Rolle zu spielen, etwa der Klimaschutz.

Das ist richtig. Klimaaspekte rücken derzeit ganz klar in den Vordergrund. Handelsabkommen haben das Ziel, durch mehr Handel mehr Wohlstand zu schaffen. Mehr Produktion verbraucht oft aber auch mehr Natur. Für die EU ist es daher wichtig, bei den Verhandlungen mit Mercosur, also den südamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, Garantien zu erhalten, dass ein Handelsabkommen nicht zu mehr Abholzung des Regenwaldes führt. Ein zweiter Punkt, der für die EU bei Verhandlungen über Handelsabkommen immer wichtiger wird, sind sicherheitspolitische Aspekte, also neben mehr Wohlstand auch eine höhere Versorgungssicherheit zu erreichen. Während das für China schon immer ein wichtiger Aspekt bei Verhandlungen war, rückt das in Europa erst jetzt in den Mittelpunkt.

Seit den nicht abgeschlossenen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, TTIP, haben solche Abkommen in Teilen der Bevölkerung nicht den besten Ruf. In der Öffentlichkeit wurde der Begriff Chlorhühnchen für manche quasi zum Synonym für unerwünschte amerikanische Produkte, die bei einem Abschluss der Verhandlungen nach Europa exportiert worden wären. Woher kommen diese Sorgen?

Gegenüber der Öffentlichkeit wurden Freihandelsabkommen schlecht verkauft. Das fängt schon beim Begriff an. Das Wort Freihandel suggeriert, dass jeder handeln kann, was und wie er will. Dabei geht es bei solchen Abkommen darum, gemeinsame Regularien zu finden, an die sich dann alle Marktteilnehmer halten müssen. Freihandel gibt es daher in Wahrheit gar nicht, noch nicht mal innerhalb der Europäischen Union.

Die Verhandlungen über TTIP gehen derzeit nicht weiter. Mit welchen Ländern oder Regionen stehen denn derzeit Gespräche der EU über ein Freihandelsabkommen an?

TTIP wurde zwar nicht durchgebracht, aber jenseits des großen Wurfes haben beide Seiten schon Erfolge erzielt. Seit 2021 gibt es beispielsweise den Trade and Technology Council. In diesem Format treffen sich Politiker und andere Vertreter der EU und der USA zu Gesprächen über wichtige Handels-, Wirtschafts- und Technologiefragen, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu vertiefen. Außerdem hat die EU mit Neuseeland ein neues Abkommen fertig, bald wohl auch mit Australien. Und sie führt weiterhin Gespräche über ein Abkommen mit den bereits angesprochenen Mercosur-Staaten in Lateinamerika. Die zwischenzeitlich ausgesetzten Verhandlungen mit Indien haben wieder begonnen, und die EU ist auch bemüht, die Zusammenarbeit mit den Asean-Staaten, also den Ländern in Südostasien zu vertiefen. So haben beispielsweise die Gespräche mit Indonesien jüngst Fortschritte erzielt.

Nicht nur Europa tut sich bei Vereinbarungen über Freihandelsabkommen schwer. Die Mercosur-Staaten haben offiziell eine Zollunion, sie gilt jedoch als löchrig, da es beispielweise nach wie vor zahlreiche Ausnahmen bei gemeinsamen Außenzöllen gibt. In Afrika gibt es die Idee der Gründung einer Ostafrikanischen Föderation, doch auch hier hat man den Eindruck, dass das Vorhaben stockt. Warum sind Verhandlungen über eine tiefere wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit so schwierig?

Ein Freihandelsabkommen nimmt etwa die Möglichkeit, Zölle gegenüber der anderen Partei zu erheben. Das ist zwar auch das Ziel eines solchen Abkommens, doch damit beschränken Staaten ihre eigene Souveränität; das fällt nicht immer leicht. Außerdem haben beide Seiten in den Verhandlungen natürlich unterschiedliche Interessen, die sie vertreten und schützen müssen. Bei einem großen Abkommen wie TTIP ist es dann nicht einfach, Kompromisse in den vielen Bereichen zu erzielen. Daher sind mehrere kleinere Abkommen statt einem großen erfolgsversprechender. Die Umsetzung von Freihandelsabkommen ist zwar nicht einfach, doch es lohnt sich, daran zu arbeiten. Die Idee etwa einer „African Continental Free Trade Area“ ist sehr vielversprechend. Sie würde den innerkontinentalen Handel deutlich stärken und den Menschen in Afrika mehr Wohlstand bringen.

Das Interview führte Martin Pirkl.

Das Interview führte Martin Pirkl.

Gegenüber der Öffentlichkeit wurden Freihandelsabkommen schlecht verkauft.

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