Gabriel und Oettinger beklagen Schwäche Europas

"Macht verschiebt sich" - Konferenz des Ifo-Instituts

Gabriel und Oettinger beklagen Schwäche Europas

jh München – Die Sorge um Europa und die Machtverhältnisse in der Welt wachsen. Dieser Eindruck entsteht auf dem Munich Economic Summit, den das Münchner Ifo-Institut im 16. Jahr veranstaltet. Am Mittwoch, dem ersten von zwei Tagen, warnte Sigmar Gabriel (SPD) davor, dass Europa in einigen Jahren vor der Ruine der Europäischen Union stehen könnte. “Wir behandeln die EU, als hätten wir noch einen Ersatz im Schrank”, sagte der frühere Bundesaußenminister in seiner in Englisch gehaltenen Rede auf der internationalen Konferenz für Politiker, Wissenschaftler und Wirtschaftsvertreter. Er bemängelte das Fehlen eines echten und konstruktiven Dialogs in der EU und eine beherzte Politik. Stattdessen beherrschten Schweigen und Technokratie das Geschehen.Besonders Deutschland müsse seine Rolle überdenken. “Wenn wir an der Seitenlinie stehen”, bleibe Europa schwach. Als geopolitischer Vegetarier sei Deutschland in einer Welt von Fleischfressern in einer schlechten Lage. Die Rivalen der EU schliefen nicht. Gabriel nannte nicht nur China, sondern auch Russland, die Türkei und den Iran. “Während wir in Europa Reden halten, verschiebt sich die Macht in andere Regionen.”Im Verhältnis zu den USA ist aus Gabriels Sicht nicht der Handelskonflikt das größte Problem, sondern das, was dahinter stehe: “Europa erscheint den USA als Verschwörung gegen sie.” Es gehe den Amerikanern nicht um den Schutz der eigenen Industrie, sondern der alte Kontinent werde als Bedrohung für die nationale Sicherheit angesehen. Das frühere Bild habe sich komplett gewandelt: Europa sei einst eine amerikanische Idee gewesen, um den dritten Weltkrieg zu verhindern.Günther Oettinger (CDU), der Haushaltskommissar der EU, rechnet mit einem verschärften Konflikt zwischen Europa und den USA: “Die Eskalation des Handelsstreits ist absehbar.” Er erwartet höhere Zölle auf den Import von Autos in die USA. Das werde dem Welthandel schaden. Solche Zölle wären ein Schlag für die deutsche Autoindustrie, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Allerdings hänge das Ausmaß davon ab, ob auch die Einfuhr aus anderen Staaten auf diese Weise belastet werde. Deutschland sei nur der viertgrößte Autoimporteur in die USA. Kanada, wo zum Beispiel Ford produziere, sei der größte, Mexiko und Japan folgten. Japan exportiere doppelt so viele Autos in die USA wie Deutschland. “Wenn fast alle Autos teurer werden, könnten auch die deutschen Hersteller die Preise erhöhen”, betonte Fuest. Für gefährlicher als diese Zölle hält er ein mögliches Ausbreiten des Protektionismus als Reaktion darauf. “Nicht weltpolitikfähig”Angesichts dieser Entwicklungen hielt EU-Kommissar Oettinger ein Plädoyer für ein gemeinsames Vorgehen der Europäer: “Den Binnenmarkt zu vollenden und zu erweitern ist die einzige Option, die man der EU empfehlen kann.” Europa brauche zudem eine gemeinsame Außenpolitik. “Ich träume von einer europäischen Armee und einem europäischen Außenminister”, sagte Oettinger. Aktuell sei Europa noch lange “nicht weltpolitikfähig”.Ifo-Präsident Fuest kritisierte die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels. Dort sei das zentrale Problem für die künftige Architektur der Eurozone nicht einmal angesprochen worden: Staatsanleihen ihres Landes, die die Banken im Depot hielten. Diese Abhängigkeit werde im nächsten Abschwung einigen Staaten große Schwierigkeiten bereiten.