LEITARTIKEL

Gefährlich wie das Virus

Knapp zwei Wochen Zeit bleiben den Finanzministern der Eurozone, um mit der Eurogruppe den Streit über die Einführung von Coronabonds zu lösen. Der Hilferuf von Italiens Regierungschef Giuseppe Conte nach frischem Geld und gemeinschaftlicher Haftung...

Gefährlich wie das Virus

Knapp zwei Wochen Zeit bleiben den Finanzministern der Eurozone, um mit der Eurogruppe den Streit über die Einführung von Coronabonds zu lösen. Der Hilferuf von Italiens Regierungschef Giuseppe Conte nach frischem Geld und gemeinschaftlicher Haftung stößt bislang auf taube Ohren in den Ländern Europas mit stabilen Finanzen. Italien weiß Frankreich, Spanien und weitere Länder an seiner Seite. Die Bundesregierung in Berlin, aber auch die Regierungen in Österreich, Finnland und den Niederlanden sind gegen die Einführung von Eurobonds im Schnellverfahren unter neuem Namen. Die Staats- und Regierungschefs spielten deshalb den Ball an die Finanzminister zurück. Sie sollen einen Konsens finden. Die heftig geführte Debatte um Coronabonds driftet derzeit in eine gefährliche Kategorie ab. Im Vordergrund stehen nicht mehr ökonomische Fragen, sondern die Moral: Wer die Bonds ablehnt, will nicht helfen. Verfehlt wäre auch der erhobene Zeigefinger: Wer seinen Staatshaushalt in der Vergangenheit besser in Ordnung gebracht hätte, dem bliebe in Krisenzeiten finanzielle Luft. Hitzige Debatten führen jetzt nicht weiter. Nötig ist ein kühler Kopf, um schnelle, verlässliche Finanzhilfen für Länder in Not bereitzustellen. Will Europa nach der Coronakrise nicht erneut in eine Staatsschuldenkrise rutschen, bleibt der Gemeinschaft ohnehin nichts anderes übrig, als seine Mitgliedsländer zu stützen. Der richtige Weg dahin ist aber entscheidend.Als Instrument für gemeinschaftliche Hilfe war in der europäischen Staatsschuldenkrise vor rund einer Dekade der Stabilitätsmechanismus ESM nach dem Vorbild des Internationalen Währungsfonds (IWF) geboren worden. Wer damals den ESM mit seiner gemeinschaftlichen Haftung noch als überflüssige zusätzliche Institution neben dem IWF angesehen hat, findet sich heute in einer Welt schwindenden Multilateralismus eines Besseren belehrt. Wer die Sorge hatte, in Europa würde im Krisenfall eine Hilfsinstitution unter politischem Druck weniger streng agieren als der IWF mit konditionierten Krediten, sieht seine Sorge bestätigt. Der ESM ist streng geblieben. Seine Kredite sind an die Erneuerung der Wirtschaftsstruktur geknüpft. Die Forderung nach Coronabonds aber ist der Versuch, bedingungslose Hilfen zu erlangen. Sie sind aber noch mehr. Ein Antrag auf ESM-Hilfe ist für eine Regierung eine Art Gang zum Sozialamt. ESM-Hilfe bedeutet Kontrollverlust für die nationale Regierung. Verhängte Auflagen werden von den Geldgebern überprüft. In dieser unkalkulierbaren Pandemie geht es nicht um Schuld und das Versagen von Regierungen. Das gefährliche Corona-Virus trifft alle Länder. Umso wichtiger ist es dennoch, jetzt mit dem ESM eine Institution zu nutzen, die genau für den Krisenfall konstruiert wurde. Andernfalls würde die Glaubwürdigkeit des ESM als Kriseninstitution beschädigt. Das Ausmaß der verordneten Bedingungen ließe sich an die Pandemie anpassen. Sie sollten möglichst gering sein, wie es der Sachverständigenrat für Wirtschaft angeregt hat. Ganz ohne Bedingungen geht es aber auch nicht. Wenn der ESM mit seinem Regelwerk beteiligt ist, kann die Europäische Zentralbank sogar gezielt Anleihen dieser Programm-Staaten am Kapitalmarkt ankaufen. Dies stärkt die indirekte Feuerkraft des ESM ungemein.Viel risikoreicher wäre es, unter enormem Zeitdruck mit Coronabonds ein neues, unerprobtes Instrument zu schaffen, von dem nicht einmal gesichert ist, dass es eine Ausnahme bleiben wird. Coronabonds wären auch ein Schritt weg von einer zentralen Erkenntnis aus der Finanzkrise 2008: Haftung und Kontrolle müssen in einer Hand liegen, damit keine unüberschaubaren Risiken entstehen. Dies lässt Europa weiterhin vermissen. Fiskalpolitik wird national betrieben, kontrolliert durch die Parlamente der jeweiligen Mitgliedsländer und – ein Stück weit – durch die EU-Kommission mit einem sehr flexiblen Fiskalpakt. Für Coronabonds würden die europäischen Länder gemeinschaftlich haften, ohne direkten Einfluss auf die nationalen Budgets. Zwar gab es unter den Regeln des Fiskalpaktes in den vergangenen Jahren Fortschritte beim Abbau der öffentlichen Defizite, in einigen Ländern liegt der Schuldenstand aber deutlich über dem Maastricht-Limit von 60 % – vor allem aber über einem Wert, dem die Investoren am Kapitalmarkt vertrauen. Die Risikoaufschläge für Staatsanleihen verschwinden nur temporär durch einen Mix von Schuldnern. Wollen die schwachen Länder die gute Bonität anderer nicht dauerhaft strapazieren, helfen nur solide Haushaltsführung und eine wettbewerbsfähige Wirtschaftsstruktur. Der Wunsch nach Coronabonds kann die Gesetzmäßigkeit der Märkte nicht aushebeln. ——Von Angela WefersCoronabonds können die Gesetzmäßigkeit der Märkte nicht aushebeln. Es helfen nur solide Haushaltsführung und Wettbewerbsfähigkeit. ——