LEITARTIKEL

Gefährliche Wende

Es geht wohl nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wann und Wie: Sowohl die US-Notenbank Fed als auch die Europäische Zentralbank (EZB) dürften absehbar ihre Geldpolitik lockern. Nachdem die beiden weltweit wichtigsten Zentralbanken noch...

Gefährliche Wende

Es geht wohl nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wann und Wie: Sowohl die US-Notenbank Fed als auch die Europäische Zentralbank (EZB) dürften absehbar ihre Geldpolitik lockern. Nachdem die beiden weltweit wichtigsten Zentralbanken noch Ende 2018 auf Kurs Richtung geldpolitischer Normalisierung steuerten, wäre damit die geldpolitische 180-Grad-Wende vollzogen. Eine Wende zum Besseren aber verspricht das nicht unbedingt zu werden. Insbesondere die EZB wirkt immer mehr wie eine Getriebene – und zunehmend verzweifelt.Bei der Fed gilt eine Zinssenkung nächste Woche als ausgemachte Sache, und die Frage ist eher, ob es 25 oder doch 50 Basispunkte werden. Ob das wirklich nötig ist, ist zwar fraglich: Die US-Wirtschaft präsentiert sich recht robust, und die Unsicherheiten und Abwärtsrisiken scheinen nicht so groß, dass eine Lockerung alternativlos wäre. Andererseits aber hat sich die Fed mit den Zinserhöhungen der vergangenen Jahre zumindest wieder ein wenig Spielraum geschaffen, so dass eine begrenzte Lockerung zur Vorbeugung gegen Schlimmeres möglich ist. Das Problem ist eher, dass die Kehrtwende auch so interpretiert werden kann, dass die Fed gegenüber US-Präsident Donald Trump oder/und den Finanzmärkten eingeknickt ist. Beides sind fatale Signale.Im Fall der EZB ist die Lage ungleich delikater: Einerseits scheint der Bedarf an Unterstützung der Euro-Wirtschaft sogar größer als beim US-Pendant. Andererseits aber hat die EZB 2017 und 2018 einen konsequenteren Ausstieg aus der ultralockeren Krisenpolitik verpasst und muss nun zu Extremmaßnahmen wie noch negativeren Zinsen oder neuen breiten Wertpapierkäufen (Quantitative Easing, QE) greifen, wenn sie mehr tun will. Euroland befindet sich aber bei allen Problemen keineswegs in einer akuten Krise oder am Rande der Deflation – was das rechtfertigen könnte. Neu-EZB-Chefvolkswirt Philip Lane hat Recht, dass mitunter “proaktives” Handeln nötig ist. Es gilt aber auch, nicht überzureagieren und das letzte verbliebene Pulver nicht voreilig zu verschießen.Überhaupt ist das Problem, dass der erhoffte wirtschaftliche Effekt einer geldpolitischen Lockerung jetzt selbst auf kurze Sicht alles andere als garantiert ist. Sowohl die US- als auch die Euro-Wirtschaft leiden aktuell weniger unter einer zyklischen Schwäche der Binnenkonjunktur als unter strukturellen Brüchen in der Weltwirtschaft und im Welthandel. Dagegen ist auch die Geldpolitik nahezu machtlos. Hinzu kommt, dass auch Zinssenkungen und Wertpapierkäufe dem Gesetz des sinkenden Grenzertrags unterliegen. Wenn es zudem zu einem Abwertungswettlauf oder gar Währungskrieg käme, wäre gar nichts gewonnen. Im Gegenteil: Dann gäbe es nur Verlierer.Zudem sind da die mittel- und langfristigen Kosten: Dauerhaft niedrige oder gar negative Zinsen erschweren beispielsweise Banken tendenziell den Aufbau von Kapital, was die Kreditvergabe an die Realwirtschaft belastet. Sie untergraben die effiziente Verteilung von Ressourcen und die Produktivität, wie die zunehmende Zahl von Zombiefirmen eindrucksvoll belegt. Und sie erhöhen auf längere Sicht sogar potenziell die wirtschaftlichen Abwärtsrisiken durch steigende Schuldendienste und schwächere Bilanzen. Die Gewöhnung an Niedrig- und Negativzinsen droht somit die Fähigkeit der Wirtschaft zu schwächen, künftig höhere Zinsen auszuhalten. Das ist brandgefährlich, und die Zentralbanker müssen diese Gefahren höher gewichten, als sie es bis dato tun.Geldpolitik und speziell QE scheinen in Krisenzeiten als eine Art Schockabsorber geeignet. Als Initialzündung für Wachstum, vor allem aber als langfristiger Wachstumsmotor taugen sie kaum. Umso wichtiger ist, dass andere Politikbereiche endlich ihrer Verantwortung gerecht werden. Das gilt kurzfristig insbesondere für die Fiskalpolitik. Es geht nicht um blindwütiges Schuldenmachen, sondern darum, vorhandene Ressourcen intelligent zu nutzen, etwa in Investitionen in die digitale Infrastruktur. Im Euroraum braucht es dabei Schritte in Richtung einer gemeinsamen Fiskalpolitik. Mittel- und langfristig führt hingegen nichts an dringend notwendigen Strukturreformen vorbei, um das Potenzialwachstum zu erhöhen.Deutschland sollte bei beidem mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nun vollmundig fordert, die EZB-Niedrigzinsphase “einzubremsen”, hat es Berlin selbst in der Hand, mit mehr Investitionen und mutigen Reformen einen wichtigen Beitrag dazu zu leisten, dass der EZB der Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik gelingen kann.——Von Mark SchrörsWie die Fed steuert die EZB auf eine neuerliche Lockerung zu. Das verheißt nichts Gutes. Um Schlimmeres zu verhüten, ist auch die Politik in Berlin gefragt.——