NOTIERT IN WASHINGTON

Gefährlicher Bumerangeffekt

Über soziale Medien ist es dem Terrornetzwerk Islamischer Staat in Irak und Großsyrien (IS) gelungen, zahlreiche Dschihadisten aus Europa und den USA zu rekrutieren. Nun hat die amerikanische Regierung zum Gegenangriff geblasen. Ein sarkastisches...

Gefährlicher Bumerangeffekt

Über soziale Medien ist es dem Terrornetzwerk Islamischer Staat in Irak und Großsyrien (IS) gelungen, zahlreiche Dschihadisten aus Europa und den USA zu rekrutieren. Nun hat die amerikanische Regierung zum Gegenangriff geblasen. Ein sarkastisches Video mit dem Titel “Think again, turn away” (Denk nochmal nach, wende Dich ab) soll speziell desillusionierten jungen Menschen, die erwägen, sich IS anzuschließen, als Weckruf dienen.Kritiker sind aber inzwischen ausgesprochen skeptisch. Sie meinen, dass der gut einminütige Clip Extremisten in ihrer amerikafeindlichen Haltung bestärkt und Wankelmütige erst recht animieren könnte, zum Erzfeind überzuwandern.Im Kampf gegen die blutrünstige Terrororganisation bleibt nichts dem Zufall überlassen. Das Timing war perfekt abgestimmt. So gab Präsident Barack Obama Ende vergangener Woche Einzelheiten einer umfassenden Strategie im Kampf gegen IS bekannt, die zwischenzeitlich auch höchst umstritten ist. Um bereits vorher die Stimmung anzuheizen, hatte das Außenministerium ein ausgesprochen provokantes Video ins Internet geschaltet. Der Werbeclip begrüßt Zuschauer mit den Worten “Willkommen im Islamischen Staat”. Ganze 69 Sekunden lang sind dann ebenso abscheuliche wie grauenvolle Bilder zu sehen: vier abgetrennte Köpfe, die den Rumpf eines Leichnams umzingeln. Eiskalte Hinrichtungen auf offener Straße, explodierende Moscheen und Zivilisten, die ausgepeitscht werden, sowie die Leiche eines Hingerichteten, die von einer Bergklippe in eine Schlucht geschleudert wird. Eingeblendet wird dann der sarkastische Hinweis, dass man bei IS “neue Fähigkeiten lernen kann”, beispielsweise “Muslime zu kreuzigen und exekutieren, Moscheen in die Luft zu sprengen und öffentliche Ressourcen zu plündern”. Und am Ende dann noch der polemische Hinweis, dass die Anreise ausgesprochen preisgünstig sei, “denn ein Rückflugticket ist nicht notwendig”.Verantwortlich für die Kampagne, mit der die Regierung ein Gegengewicht zur Präsenz der Terroristen auf sozialen Medienseiten wie Facebook, Twitter und Tumblr aufbauen will, ist das Center for Counterterrorism Communications. Dessen Chef Alberto Fernendez erklärt, dass “wir uns nicht einbilden, hiermit groß etwas ändern zu können”. Vielmehr gehe es darum, “einen Denkanstoß zu geben und Menschen, die mit abwegigen Ideen spielen, einen anderen Ansatz zu bieten”.Hinter der kryptischen Formulierung verbirgt sich die Sorge, dass die Zahl der amerikanischen Staatsbürger, die zu IS überlaufen und wegen ihrer problemlosen Aus- und Einreisemöglichkeit in die USA eine besondere Gefahr für Anschläge auf heimischem Boden darstellen, weiter steigen wird. Nach Angaben von Verteidigungsminister Chuck Hagel befinden sich unter den Dschihadisten bereits mehr als 100 Kämpfer mit einem amerikanischen Pass. “Ebenso wie unsere europäischen Verbündeten müssen wir diesem Trend unbedingt Einhalt gebieten”, sagte der Pentagon-Chef.Unabhängige Experten hingegen bezeichnen das Video nicht nur als naiv, sondern befürchten außerdem, dass der kurze Film faktisch eine Form von Gratiswerbung für das Terrornetzwerk darstellt. “Das Problem besteht darin, dass in der US-Öffentlichkeit das Video so gut wie unbekannt ist, die Extremisten es in den eigenen Reihen aber benutzen werden, um die USA dafür zu dämonisieren, dass sie ihren Glaubenskrieg verspotten”, ist der Politikwissenschaftler Lawrence Shelby überzeugt. Tatsächlich hatte bis Dienstagabend der Twitter-Account von “Think again, turn away”, bescheidene 7 000 Follower.Jytte Klausen, Professorin an der Brandeis-Universität, zweifelt ebenfalls an der Effektivität der Internet-Kampagne. Den jungen Kämpfern, die IS beitreten, gehe es nämlich entgegen jener Prämisse, auf der die US-Gegenoffensive beruht, “nicht um religiöse oder politische Motivation. Sie werden vielmehr von Aufregung und einem Gefühl der Zugehörigkeit getrieben. Mit diesen Emotionen und den Beweggründen zu konkurrieren, wird selbst dem amerikanischen Außenministerium mit seiner gewaltigen PR-Maschinerie schwerfallen”, sagt Klausen.