EZB-URTEIL

Gehorsam mit Makel

Die harschen Worte aus Karlsruhe haben Wirkung gezeigt. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist nach dem polarisierenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai zu den Staatsanleihekäufen über ihren Schatten gesprungen. Auf Geheiß der Richter...

Gehorsam mit Makel

Die harschen Worte aus Karlsruhe haben Wirkung gezeigt. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist nach dem polarisierenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai zu den Staatsanleihekäufen über ihren Schatten gesprungen. Auf Geheiß der Richter hat sie sich redlich bemüht, im Tandem mit Bundesbank, Bundestag und Bundesregierung in der gestern abgelaufenen Dreimonatsfrist den geforderten Nachweis der Verhältnismäßigkeit ihres Kaufprogramms PSPP zu erbringen – obwohl sie offiziell stets darauf beharrte, allein das Plazet des Europäischen Gerichtshofs sei für sie maßgeblich. Der hatte PSPP vorbehaltlos gebilligt.Frankfurt und Berlin haben einen Weg gefunden, verfassungsrechtlichen Gehorsam zu zeigen, ohne die Unabhängigkeit der Währungshüter zu beschädigen. Das war nicht selbstverständlich. Künftig wird die EZB mehr Rechenschaft über ihre Geldpolitik ablegen, durch Erörterungen zur Verhältnismäßigkeit in den Protokollen der EZB-Ratssitzungen und durch einen “monetären Dialog” von Bundesbankchef Jens Weidmann mit den Parlamentariern.Dieser Erfolg wird die Kläger nicht milde stimmen. Doch es wäre unverhältnismäßig, zögen die Richter auf deren Verlangen die nukleare Option und ordneten den Abzug der Bundesbank aus den Käufen an. Das wäre ein Affront, schließlich haben Weidmann und Co. die Vorgaben der Richter für erfüllt erklärt. Ihr schärfstes Schwert, PSPP als Verstoß gegen das Verbot monetärer Staatsfinanzierung abzuurteilen, haben sie stecken lassen.Dennoch bleiben zwei Makel. Erstens die Geheimniskrämerei der EZB. Von acht Dokumenten, die sie als wesentlichen Teil des Nachweises nach Berlin geschickt hat, sind drei unter Verschluss. Kläger und Öffentlichkeit können sich selbst kein vollständiges Bild von den Abwägungen der EZB machen. Das liefert Stoff für Argwohn – und lässt Zweifel aufkommen, wie ernst es die EZB mit der von ihrer Chefin Christine Lagarde ausgerufenen Maxime, die Geldpolitik verständlicher und nachvollziehbarer zu machen, wirklich meint.Von Berlin fordert das Bundesverfassungsgericht mehr “Integrationsverantwortung”. Unbefriedigend ist daher, zweitens, die oberflächliche Auseinandersetzung des Bundestags mit den Unterlagen der EZB. Im Eilverfahren winkten die Parlamentarier sie in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause durch. Von einer Sondersitzung des Finanzausschusses wie im Wirecard-Skandal war gar nicht erst die Rede. Dabei würde bei einem erzwungenen Ausstieg der Bundesbank aus den EZB-Käufen nicht weniger als die Implosion der Eurozone drohen.