Geld und Geltung
“Geld” ist ein kurzes, hell klingendes deutsches Wort, das sich wunderbar auf andere gewichtige und bedeutende Worte wie “Welt”, “Feld” und “Sternenzelt” reimt. Die Herkunft des Wortes “Geld” ist leicht zu klären. Man muss kein Sprachwissenschaftler sein, um sie zu erschließen, denn sie schwingt im Alltagsgebrauch beständig und verlässlich mit.”Geld” kommt von “Geltung”. Geld ist das, was Geltung beansprucht und Geltung hat. Und damit ist schon das Grundproblem des Mediums Geld bezeichnet. Es funktioniert nur, wenn alle seine Geltung und seine Gültigkeit anerkennen. Das aber ist nicht selbstverständlich. Denn es ist verwunderlich, ja es ist das Wirtschaftswunder schlechthin, dass jemand einem anderen ein wertvolles Gut – Kleidung, Lebensmittel, Grund und Boden, ein Auto, gar eine Immobilie – überlässt, weil der ihm dafür Geld gibt. Genauer: es ist verwunderlich, dass wir uns über den Zauber, der dem doch so rechenhaft und rational scheinenden Medium Geld innewohnt, nicht mehr wundern.Die Zahlen auf Banknoten, auf einem Wechsel, auf einem Scheck, auf einem Konto- oder Depotauszug sollen so viel wert sein wie diese Kiste Wein, dieses Mittelklasseauto, diese Villa am See? Wer’s glaubt, wird selig. Aber wir werden alle, wenn nicht selig, so doch verhältnismäßig zufrieden, wenn die Wirtschaft und das ihr als unheimlicher und bis heute nicht recht verstandener Schatten beigegebene Finanzsystem einigermaßen verlässlich funktionieren. Und das ist eben in komplexen Wirtschaftssystemen nur dann der Fall, wenn alle glauben, dass Geld Geltung hat. “Lässt sich in alles wandeln”Geld aber hat nur dann Geltung und findet nur dann Anerkennung, wenn es sich in anderes als Geld wandeln lässt. Das hat keiner so eindringlich vor Augen geführt wie Goethe in seinem Faust-Drama, dessen Lektüre mehr einbringen dürfte als die Lektüre ganzer Bibliotheken voll ökonomischer Literatur. Geld, so spricht dort ausgerechnet Mephisto (in der Maske des Geizes!), “lässt sich in alles wandeln” (Vers 5 782) – und es löst damit das theologische Versprechen der Transsubstantiation ein.Dass sich Brot und Wein tatsächlich in Christi Leib und Blut wandeln bzw. transsubstantiieren, dürften heute nicht mehr allzu viele glauben. Anders beim Geld: Dass aus Geldzeichen reale Wirtschaftswerte erstehen, ist der Kern der Geldillusion und des Geldvertrauens, die das Gottvertrauen weitgehend ersetzt haben.Das Geldwunder ist uns selbstverständlich geworden: Wir reichen ein Stück Papier über einen Ladentisch und erleben eine handfestes Wirtschaftswunder, eine profane Transsubstantiation. Denn wir erhalten etwas, das tatsächlich wertvoll ist. Nicht umsonst erinnert die klassische Münzgestalt des gestempelten Geldes an die gestempelte Hostie. Die Geldschöpfung, auch das führt Goethes Faust eindringlich vor, läuft nach dem Modell der göttlichen Genesis. Gott sprach, es werde, und es ward Himmel und Erde. Wer Geld besitzt, kann, wenn nicht erschaffen, so doch dies und jenes anschaffen.Die Geschichte, die der erste Akt von Faust II vor Augen führt, ist uns heute unheimlich vertraut. Der Staat ist pleite, und die realwirtschaftliche Produktivität erlahmt. Aber Faust und Mephisto wissen Rat. Sie erfinden, sie schöpfen, sie schaffen neues Geld (Assignaten, Papiergeld, Schuldverschreibungen) und stimulieren dadurch die Realökonomie. Und siehe da: der Trick funktioniert – weil und solange es Vertrauen in das neue Geld gibt. Geld- statt Gottvertrauen”In diesem Zeichen”, nämlich im Zeichen des neu emittierten Geldes, “wird nun jeder selig” (Vers 6082), sagt der Schatzmeister zum Kaiser. Mit diesen Worten spielt er deutlich auf das alte, dem christlichen Kreuz (“Kreuzer” wurde später die Bezeichnung für eine weit verbreitete Münze) huldigende Wort “in hoc signo vinces” an: Im Zeichen des christlichen Kreuzes sollte Kaiser Konstantin im Jahre 312 beim Kampf gegen seinen Rivalen siegen.Der neuzeitliche Kaiser ist angesichts der Umstellung von Gott- auf Geldvertrauen zuerst einmal misstrauisch: “Und meinen Leuten gilts (nämlich es, das Papiergeld) für gutes Gold? / Dem Heer, dem Hofe gnügts zu vollem Sold? / So sehr michs wundert muß ichs gelten lassen.” Deutlicher als Goethe es tut, könnte der Zusammenhang zwischen Geld und Geltung nicht herausgestellt werden. Die Geldillusion funktioniert, das reale Wirtschaftswunder setzt ein.Nur einer ist und bleibt misstrauisch – der Hofnarr. “Die Zauber-Blätter, ich verstehs nicht recht.” (Vers 6157), lautet sein bündiger Kommentar zur Geldschöpfung. Die Konsequenz, die der kluge Narr aus seinem Nichtverstehen des Geldes zieht, ist klar. Er kauft Immobilien und erhält dafür vom mephistophelischen Erfinder des neuen Geldes ein klares Lob. “Narr: Heut Abend wieg ich mich in Grundbesitz! / Mephisto: Wer zweifelt noch an unsres Narren Witz.” (Vers 6171 f.) UnsicherheitDass Geld seine Geltung verlieren kann, ist eine Erfahrung, die schon Goethe geläufig war und die uns heute nur zu sehr verunsichert. Alle wissen oder ahnen zumindest, dass große Teile des heutigen Geldes bzw. der Versprechungen auf spätere Geldzahlungen eben keine Geltung (mehr) haben: z. B. griechische Staatsanleihen, Papiere in Bad Banks, Renten- und Pensionsversprechen, Facebook-Aktien, Ansprüche an Lehman-Brothers, die “Sicherheiten”, die Banken bei der EZB hinterlegen oder Einlagen bei Madoff. Es sind unsere SchuldenStaaten gelten, nein: galten als “lender of last resort”. Heute stellt sich die Frage, wer den Retter von Banken, also die Staatsfinanzen rettet. Alle komplexeren Diskussionen der letzten Wochen über die Euro-Krise lassen sich auf die simple Frage herunterbrechen, wer auf die Geltung seiner Gelder und Zahlungsansprüche verzichten muss. Zu den mentalen und kognitiven Folgen der Privatisierungs- und Liberalisierungswellen der letzten Jahrzehnte zählt es auch, dass kaum einer mehr wahrnimmt, dass die Schulden eines Staates die Schulden seiner Bürger sind – also unsere Schulden.—-Zuletzt erschienen:- “Nach Golde drängt” (16.8.2012)- Demnächst geplant:- Michael North: Die Geschichte des Geldes- Gerhard Rösl: Geld selbst geschöpft: Regionalwährungen und Bitcoin