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Geldpolitik fürs Geschichtsbuch: Was von Draghi bleibt

Börsen-Zeitung, 19.10.2019 Noch hat Mario Draghi sein Büro im 40. Stock des EZB-Hochhauses nicht geräumt, da wird schon eifrig an der Legendenbildung über die in zwei Wochen endende Amtszeit des EZB-Präsidenten gearbeitet. Angesichts des...

Geldpolitik fürs Geschichtsbuch: Was von Draghi bleibt

Noch hat Mario Draghi sein Büro im 40. Stock des EZB-Hochhauses nicht geräumt, da wird schon eifrig an der Legendenbildung über die in zwei Wochen endende Amtszeit des EZB-Präsidenten gearbeitet. Angesichts des Scherbenhaufens, den Draghi seiner Nachfolgerin Christine Lagarde und den Bürgern der Eurozone mit Negativzinsen, aufgepumpter Notenbankbankbilanz und zerstrittenem Direktorium hinterlässt, werden seine Anhänger und Schönredner nicht müde, auf Draghis vermeintliche Leistung der Euro-Rettung am Beginn seiner Amtszeit zu verweisen. Whatever it takesInsbesondere sein im Juli 2012 am Vorabend der Olympischen Spiele in London geradezu beiläufig gesprochener “Whatever it takes”-Satz wird als geschichtsbuchträchtiges Ereignis gepriesen. Dass sich das erlauchte Publikum im Londoner Lancaster House nach schottischem Lachs und Ziegenkäse aus Yorkshire an dem von Mario Draghi offerierten Euro-Digestif berauschen würde, war nicht zu erwarten, dass aber die Märkte dieses ersehnte Aufmunitionieren der “Bazooka” feiern würden, war absehbar. Seither sind die Aktienmärkte und andere Assetklassen mit realen Vermögen im Feiermodus, denn der einstige Goldman-Sachs-Banker Draghi hat als EZB-Präsident immer wieder nachgelegt. Zur Erinnerung: Der Euro, der damals angeblich gerettet werden musste, wurde im Sommer 2012 mit 1,22 Dollar bewertet, er war damit um einiges stärker als heute. Der Dax dagegen lag seinerzeit mit 6 400 Punkten nur halb so hoch wie heute. Die Inflationsrate betrug 2,4 % – ein Wert, dem die EZB heute hinterherhechelt wie der Jagdhund dem Hasen. Und je lauter die EZB bellt beziehungsweise mit Liquidität den Markt überschwemmt, desto weiter entschwindet der Hase, sprich die angepeilte Inflationsrate von knapp unter 2 %. Den Transmissionsmechanismus ihrer Geldpolitik hat die EZB mit ihren permanenten Liquiditätssalven selbst zerschossen.”Innerhalb unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, das wird ausreichen.” Diese Selbstverständlichkeit, nicht verkündet auf einer der vielen Pressekonferenzen nach einer EZB-Ratssitzung oder in einer Grundsatzrede vor Politikern oder Wissenschaftlern, sondern vermeintlich spontan und ohne Redemanuskript bei einer Investorenkonferenz in London, enthält die ganze Tragik der Ära Draghi. Denn der Satz offenbart, dass Mario Draghi das Mandat der EZB anders und zwar viel weiter verstand als die Gründerväter der gemeinsamen Notenbank und des Euro. Während für Letztere die Staatsanleihekäufe und die anderen außergewöhnlichen Maßnahmen klare Überschreitungen des Mandats waren und die EZB aus deren Sicht Fiskalpolitik betrieb, bestärkten insbesondere die davon profitierenden Politiker aus Italien, Spanien und Griechenland den EZB-Präsidenten in der großzügigen Interpretation seines Mandats. Draghis Selbstherrlichkeit und Gefallsucht tat ein Übriges. Verkehrte Zinswelt Nein, Draghi wird nicht in die Geschichtsbücher eingehen, weil er angeblich den Euro oder die Eurozone rettete, sondern weil er ein Grundprinzip soliden wirtschaftlichen Verhaltens zerstörte und damit den Boden für eine neue Bubble Economy bereitete. Die forcierte Negativzinspolitik führt Sparen und Investieren ad absurdum, weil Gegenwartskonsum höher bewertet wird als zukünftiger Konsum, weil Leben und Wirtschaften auf Pump belohnt wird und weil Fehlinvestitionen geradezu provoziert werden. Wenn es nur für kurze Dauer zu solch unnatürlichen Verhältnissen kommt, bleiben die Schäden begrenzt. Da aber Draghi diese perverse Geldpolitik trotz aller Warnungen noch über die eigene Amtszeit hinaus zu perpetuieren sucht, ist Schlimmes zu befürchten. Nicht nur, weil Geldvermögen und Sparguthaben entwertet werden, sondern dauerhaft negative Zinsen das wirtschaftliche Verhalten jedes einzelnen Bürgers verändern und prägen werden.Nicht ohne Grund hat man beispielsweise den Deutschen lange Zeit nachgesagt, sie hätten die Inflationserfahrung in ihrem kollektiven Gedächtnis und seien aufgrund der wiederholt erlebten Geldentwertungen bei diesem Thema besonders empfindlich. Welches wirtschaftliche Verhalten wird eine Generation an den Tag legen, die mit Negativzinsen aufwächst? Die die Erfahrung macht, dass Sparen sich nicht lohnt, sondern sogar bestraft wird?Was bedeutet das für Politiker und die Haushaltsdisziplin der öffentlichen Hand, wenn inzwischen selbst ein so hoffnungslos überschuldetes Land wie Griechenland am Geldmarkt nicht einmal mehr Zinsen bezahlen muss, sondern sogar noch Geld dafür bekommt, dass es weitere Schulden macht? Was bedeutet es für unser Bankensystem, wenn nicht nur Staaten und Banken, sondern auch andere Kreditnehmer wie große Unternehmen und vielleicht demnächst Häuslebauer das Geld geschenkt bekommen oder sogar noch eine Prämie obendrein? Ist denn schon vergessen, wie die zurückliegende Finanzkrise im amerikanischen Subprime-Sektor ihren Anfang nahm? Der Crash kommtJe länger die Negativzinsphase anhält, desto größer wird die Gefahr für die Finanzstabilität. Da der Zins als Kriterium effizienter Kapitalallokation längst ausgehebelt ist, haben sich in den Bilanzen der Banken und auch darüber hinaus in privaten wie auch öffentlichen Haushalten sowie überbewerteten Assetklassen gewaltige Risiken angesammelt. Die zügige Rückkehr zur Normalität und zu positiven Zinsen würde zu einem GAU an den Märkten führen, der die Finanzkrise von 2007 weit in den Schatten stellte. Das weiß natürlich auch Mario Draghi. Deshalb hat er alles darangesetzt, dass seine Nachfolgerin Christine Lagarde den eingeschlagenen EZB-Kurs vorerst fortsetzen muss und die noch folgenden Lobreden auf sein Wirken als EZB-Präsident nicht von den Vorboten des drohenden Crashs gestört werden. – c.doering@boersen-zeitung.de——Von Claus DöringDer Negativzins verändert das wirtschaftliche Verhalten von allen, führt zu Bubble Economy und ist Grundlage der nächsten Finanzkrise. ——