George Osborne ist als Schatzkanzler angezählt
Von Andreas Hippin, LondonGeorge Gideon Oliver Osborne (45) wird nach dem Referendum über die EU-Mitgliedschaft um seinen Posten als Schatzkanzler kämpfen müssen. Wofür sich die Briten entscheiden, spielt dabei keine große Rolle. Der Rentenexperte Edmund Truell, der große Summen für die Tories gespendet hat, entzog der Regierung David Camerons sein Vertrauen. Der Mitgründer des Finanzdienstleisters Tungsten, der sich für den Brexit aussprach, begründete dies unter anderem mit Osbornes Behauptungen über die finanziellen Risiken eines Brexit. Vertrauen ist wegAber nicht nur die Euroskeptiker in der konservativen Partei haben ihm den Kampf angesagt. Der Parteispender Alexander Temerko, der zu den Bremainians gehört, macht Osborne für den “unvernünftig aggressiven” Ton der Parteispitze im Wahlkampf verantwortlich. “Der Schatzkanzler war der Führer dieser Kampagne”, zitiert die “Sunday Times” Temerko. “Ich kann ihn nicht unterstützen.” Die Wirtschaft habe wegen “der großen Manipulation der Zahlen und sehr seltsamen Aussagen” das Vertrauen in den Schatzkanzler verloren. Tatsächlich war es zu schrillen Auftritten gekommen. So präsentierte Osborne einen knallharten Sparhaushalt, der aus seiner Sicht im Falle eines Votums für den Austritt fällig würde, ganz im Stile eines Haushaltsentwurfs im Schulterschluss mit seinem Vorgänger Alistair Darling (Labour), in dessen Amtszeit das Land in die Finanzkrise rutschte (vgl. BZ vom 16. Juni). Nicht nur Darlings Partei kündigte umgehend an, ein solches Sparprogramm im Parlament niederzustimmen. Auch 65 konservative Abgeordnete teilten mit, Osborne die Gefolgschaft zu verweigern. Experten kritisierten, die Maßnahmen würden einen wirtschaftlichen Abschwung nur noch verschärfen.Osborne glaubt jedoch, den Wahlkampf zum EU-Referendum genauso führen zu müssen wie vor der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands 2014: Je mehr Angst der Wähler um seine wirtschaftliche Zukunft hat, desto besser. Er orakelt, dass es schon am Tag nach der Abstimmung die ersten Entlassungen geben könnte, sollten sich die Wähler dazu entscheiden, Brüssel den Rücken zu kehren. Er will nicht ausschließen, den Handel an der Börse auszusetzen, usw., usw. Gelebter WohlstandDabei entspricht Osborne optisch so ganz dem Bild eines Jungen aus gutem Hause. Der Spross einer der ältesten angloirischen Adelsfamilien erbt die 1629 von Charles I. geschaffene Baronet-Würde von Ballintaylor und Ballylemon. Ihm gehören 15 % der Premium-Tapetenfirma Osborne & Little. Private Banking, Skiurlaub in Klosters, Privatschulen für die Kinder – Osborne lebt seinen Wohlstand aus. Ausgebildet wurde er an der renommierten St. Paul’s School in London. Damit war die akademische Karriere in Oxford gewissermaßen programmiert. Wie Premierminister Cameron und der Londoner Bürgermeister Boris Johnson gehörte Osborne in seiner Studienzeit dem Bullingdon Club an. Mit 23 wurde er Leiter der politischen Abteilung des Conservative Research Department, den Job hatte ihm ein Studienfreund vermittelt. Er arbeitete dann als Berater konservativer Abgeordneter wie William Hague, bis ihm der sichere Tory-Wahlkreis Tatton vermacht wurde.Mit 34 stand der Befürworter eines knallharten Thatcherismus vor der Wahl, dem Modernisierer Cameron die Führung streitig zu machen. Allerdings fehlt es dem Schwiegersohn von Lord Howell of Gildford, der 1979 dem ersten Thatcher-Kabinett angehörte, am Charisma, das einen populären Anführer ausmacht. Er wirkt meist eher blass und unnahbar. Nach Absprache mit seiner Frau verzichtete er darauf und wurde lieber Kandidat der Tories für das Amt des Schatzkanzlers. Fünf Jahre später übernahm er den Chefsessel im Schatzamt. Von der angestrebten schwarzen Null im Staatshaushalt entfernt sich Osborne immer weiter – nicht wegen des Referendums, sondern weil die britische Wirtschaft langsam wieder an Schwung verliert.