GASTBEITRAG

Gott schuf das Wort, und dann den Ordoliberalismus

Börsen-Zeitung, 20.8.2015 Als Sohn eines protestantischen Pastors habe ich einen Sensor für religiösen Eifer entwickelt, auch wenn es mich in die Finanzwirtschaft verschlagen hat. Dieser Sensor schlägt immer öfter bei einem unreligiösen Thema an,...

Gott schuf das Wort, und dann den Ordoliberalismus

Als Sohn eines protestantischen Pastors habe ich einen Sensor für religiösen Eifer entwickelt, auch wenn es mich in die Finanzwirtschaft verschlagen hat. Dieser Sensor schlägt immer öfter bei einem unreligiösen Thema an, der Ökonomie, besonders oft dann, wenn deutsche Ökonomen beteiligt sind. Dies brachte mich auf die Idee, die 10 Gebote der deutschen Volkswirtschaftslehre niederzuschreiben.1. Du sollst keinen anderenTheorien als dem Ordoliberalismus folgen.2. Du sollst dich von empirischen Wissenschaften fernhalten.3. Du sollst den Euro nicht für falsche Zwecke missbrauchen, noch inflationieren.4. Du sollst den Sonntag heiligen und von jeglicher ökonomischer Tätigkeit freihalten.5. Du sollst die EZB und die Bundesbank ehren, auf dass der Wert des Geldes lange stabil bleiben möge.6. Du sollst nichts leihen.7. Du sollst nicht mehr importieren als du exportierst.8. Du sollst keinen Mindestlohn einführen.9. Du sollst immer alle deine Verpflichtungen erfüllen.10. Du sollst denen nicht helfen, die ihre Verpflichtungen nicht einhalten, denn sie geben ein schlechtes Beispiel.Lassen Sie mich nun eine kurze Exegese durchführen.Ökonomen haben einen Hang zur reinen Lehre, nicht erst seit Milton Friedman. In Deutschland ist der Ordoliberalismus das erste Gebot, dem fast alle huldigen. Der Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft hat ihm einen Heiligenschein verliehen. Ein unschöner Nebeneffekt: Vom Ordoliberalismus abweichende Ansichten werden ungern berücksichtigt, Fehler nicht zugegeben.Das führt uns direkt zum zweiten Gebot, das die Neigung der Akademie zur Theoriebildung beschreibt. Dank der Humboldtschen Tradition treibt diese hierzulande die schönsten Blüten: Eine Theorie muss in sich konsistent sein, Konsistenz mit der Wirklichkeit ist zweitrangig. Empirische Belege werden durch die passenden Annahmen weggeschoben. Ein schönes Beispiel ist die Einführung des Mindestlohns: Die Mehrzahl der Ökonomen sagte einen Anstieg der Arbeitslosigkeit voraus. Als die ganz im Gegenteil sogar sank, argumentierte diese Fraktion, ohne Mindestlohn wäre sie noch stärker gesunken. Der Mindestlohn wird im achten Gebot explizit aufgenommen, weil von ihm eine ganz besondere Gefahr auszugehen scheint. Dies überrascht; denn während die deutsche Ökonomie im Normalfall unregulierten Märkten mit großem Argwohn begegnet, befürchtet sie den Zusammenbruch des Arbeitsmarktes, wenn dort jegliche weitere Regulierung auch nur in Erwägung gezogen würde. Inflation – und Deflation?Das dritte Gebot bezieht sich auf die deutsche Inflationsangst, die in der Hyperinflation der zwanziger Jahre begründet sei. Warum dies nur in Deutschland und nicht in den vielen anderen Ländern, die ähnliches erlebt haben, gelte, wird nicht hinterfragt. Ebenso wenig, warum Inflation das größere Übel als Deflation sei, trotz der Erfahrung der Deflationspolitik Brünings, die im größten Desaster überhaupt endete. Diese Einstellung führt zu einer großen Konfusion im Verhältnis zu Sparen und Investieren. Sparen gilt als Tugend, Investieren nicht immer. Das sollen die Banken übernehmen, indem sie der Wirtschaft Kredite geben. Das hat lange funktioniert, jetzt bleibt aber viel Geld in der Pipeline stecken, weil die Banken es in Staatsanleihen stecken oder gleich bei der EZB belassen.Zum Sonntagsgebot möchte ich mich als Pastorensohn nicht weiter äußern. Ich bitte um Verständnis.Das fünfte Gebot beschreibt den unerschütterlichen Glauben der Deutschen an die Bundesbank (wie auch, aber in einem deutlich geringerem Maße, an die EZB). Regierungen kommen und gehen, Religionen werden hinterfragt, moralische Autoritäten stellen sich als unzuverlässig heraus, aber die Bundesbank steht unerschütterlich und unbestechlich als Hort der Stabilität. Leider ist die Bundesbank auch der höchste Orden der ordoliberalen Priesterschaft und stellt sicher, dass das oberste Dogma der deutschen Ökonomie durchgesetzt wird. Selbst moderate Ökonomen und Politiker erliegen dem Genius Loci, wenn sie in den Bundesbank-Vorstand berufen werden. Kredit und SündeDas sechste Gebot befasst sich mit dem Leihen. In der deutschen Kultur ist es nahezu unmoralisch, sich etwas auszuleihen. Allenfalls für einen Hauskauf, eventuell noch für ein Auto, mag man Geld leihen. Eigentlich sollte man es vorher aber erspart haben. Für die persönlichen Finanzen mag das keine schlechte Vorgehensweise sein, auf dem Makroniveau schränkt es die Investitionen ein und schadet so dem Wachstum. Trotz der von der EZB verursachten Geldschwemme kommt wenig in der realen Wirtschaft an, weil die Kreditvergabe kaum wächst. Das wäre an sich nicht so schlimm, wenn das Geld stattdessen als Eigenkapital investiert würde. Aber Geld als Eigenkapital zu geben, ist in Deutschland noch verpönter als für Kredite. Deshalb verstieg sich der “Economist” jüngst sogar zu der Aussage, das größte Versagen der deutschen Ökonomie sei es, die Regeln mikroökonomischer Familienwirtschaft auf die Volkswirtschaft anzuwenden. Gnadenlose BilanzenDas siebte Gebot ist eine konsequente Weiterführung des sechsten. Solange man mehr exportiert als importiert, muss man sich kein Geld leihen. Leider bringt es die kalte, amoralische Theorie der Außenwirtschaft mit sich, das ein Netto-Exporteur von Gütern auch ein Nettoexporteur von Kapital ist. Deshalb haben die deutschen Handelsbilanzüberschüsse ein riesiges Auslandsvermögen in Form von Krediten, Direktinvestitionen und Devisenreserven geschaffen. Zwei grundlegende Probleme entstehen durch diese Politik: Erstens, für jeden Netto-Exporteur muss es einen Netto-Importeur geben, der sich immer höher verschuldet. Zweitens, die Einwohner des Netto-Exporteurs profitieren nur unterdurchschnittlich von ihrer Produktionsleistung. Für gutbezahlte Politiker mag das nicht offensichtlich sein, der ärmere Teil der Bevölkerung leidet aber sehr wohl unter dieser calvinistischen Abstinenz vom Konsum.Das neunte Gebot ist dem sechsten verwandt, fügt dem aber eine alttestamentarische Note hinzu: Das deutsche Insolvenzrecht stellt die Bestrafung in den Mittelpunkt, anders als das angelsächsische Modell, das den Pleitier zügig wieder integrieren will. Regeln und Verträge müssen eingehalten werden, und wer sie nicht einhält, muss von wirtschaftlicher Tätigkeit ferngehalten werden. Dass sich das Umfeld ändern kann, und sich selbst beste und wohldurchdachte Pläne nicht immer verwirklichen lassen, spielt nur eine nachgeordnete Rolle. Weg mit dem Schuldigen!Das zehnte Gebot bringt dann noch die beliebte Schumpetersche Schule ins Spiel: Das Prinzip der “schöpferischen Zerstörung” kann nur dann seine Kraft entfalten, wenn der, der sich im Wettbewerb nicht durchsetzen konnte, hinterher auch komplett neutralisiert ist. Dass er in seinem Versagen ja keine Nachahmer findet. Moral Hazard ist um jeden Preis zu vermeiden. Dies gilt für Einzelpersonen bis hin zu Nationalstaaten, wie die Debatte um Griechenland wieder gezeigt hat.Halten Sie das alles für sehr zugespitzt? Sicherlich, aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Die deutsche Wirtschaft ist stark und die einzig verbliebene Wachstumslokomotive in Europa. Aber dennoch und gerade deshalb gibt es einiges, was verbessert werden sollte. Weniger Dogma und mehr empirisch begründeter Experimentierwillen wären hilfreich. Ökonomie ist im besten Falle eine unvollkommene Wissenschaft, weshalb wir alle eine gewisse Demut an den Tag legen sollten. Denn Erfolg wird daran gemessen, wie wir den Wohlstand aller steigern, und nicht an der theoretischen Schönheit unserer Argumentation.—-Karl Happe, Chief Investment Officer, Insurance Related Strategies, Allianz Global Investors