NOTIERT IN MOSKAU

Gratiskäse gibt es nur in der Mausefalle

Der Sprichwortschatz der russischen Sprache ist reich - und nebenbei sehr plastisch. Wenn im Deutschen der Teufel in der Not Fliegen frisst, sagt man im Russischen, dass in Zeiten des Fischmangels auch der Krebs als Fisch zählt. Einer der schönsten...

Gratiskäse gibt es nur in der Mausefalle

Der Sprichwortschatz der russischen Sprache ist reich – und nebenbei sehr plastisch. Wenn im Deutschen der Teufel in der Not Fliegen frisst, sagt man im Russischen, dass in Zeiten des Fischmangels auch der Krebs als Fisch zählt. Einer der schönsten Sprüche ist die russische Variante des ökonomischen Grundprinzips, dass es auf der Welt nichts gratis gibt und immer irgendwer zahlen muss, was den Ökonomen Milton Friedman zum Buchtitel “There is no such thing as a free lunch” inspiriert hat. Die Russen sagen in diesem Fall: “Gratiskäse gibt es nur in der Mausefalle”Für Bürger von Rohstoffstaaten gar nicht so einfach einzusehen, wo doch über Jahrzehnte der meist staatliche Öl- und Gasverkauf reichlich Geld ins Land spülte und die Menschen aufgrund politischer Experimente und ganz simpler Verteilungsungerechtigkeit doch bescheiden leben mussten. Mit dem seit Mitte 2014 gesunkenen Ölpreis startete hier ein sukzessiver Paradigmenwechsel, der nicht nur zu einem Konjunktureinbruch, sondern etwa in Russland nun doch zu einer ersten nennenswerten Reformen, nämlich der Pensionsreform führte.In Turkmenistan ist man da wohlgemerkt noch nicht so weit. Dort findet erst einmal ein weitaus simplerer Schritt aus der vermeintlichen Gratiskultur in die Kostenwahrheit statt. Ab 1. Januar kommenden Jahres müssen die Einwohner zum ersten Mal für Gas, elektrischen Strom, Trinkwasser und Speisesalz zahlen. Und zwar, “um die Entwicklung der freien marktwirtschaftlichen Beziehungen in der Wirtschaft Turkmenistans weiter fortzusetzen”, wie es in der Verfügung des Präsidenten heißt.Turkmenistan ist gewiss ein besonders spezifischer Fall. Das Land, einst Sowjetrepublik, hat zwar nur fünf Millionen Einwohner, sitzt aber auf den viertgrößten Gasvorkommen der Welt. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR ist es diktatorisch geführt, wobei lange auch ein bizarrer Personenkult um den Präsidenten Saparmyrat Nyyazow geherrscht hat. Über eineinhalb Jahrzehnte bis zu seinem Tod im Jahr 2006 hat er den Staat in eine Isolation geführt.Sein Erbe lastet wie ein schwerer Stein auf dem Land. Nyyazows Nachfolger Gurbanguly Berdimuhamedow, wohlgemerkt sein ehemaliger Zahnarzt, sendet seither zwar vorsichtige Signale der Öffnung aus. Aber im Land, das für seine umfangreiche Pferdezucht und seine Teppichkultur ein eigenes Ministerium eingerichtet hatte, herrscht nach wie vor Angst und restriktive Ordnung. Wer hupt, riskiert Strafen. Wer auf öffentlichen Plätzen raucht oder Alkohol trinkt, ebenso. Wer sein Auto nicht wäscht, ohnehin.Im Gegenzug ermöglichte der Gasreichtum lange Zeit großzügige Geschenke ans Volk. Dabei ist die Situation mit dem Gasexport gar nicht so unproblematisch, wie man glauben möchte. Lange Zeit war eine Pipeline durch Russland die einzige Route, auf der man Gas ausführen konnte. Erst als China mit großen Investitionen daherkam und eine Pipeline ins Reich der Mitte baute, befreite sich das Land vom russischen Nachbarn. Nie zustande gekommen ist übrigens eine Pipeline durch das Kaspische Meer für den Export nach Europa, obwohl sich die Europäer viele Jahre lang darum bemüht hatten und die Turkmenen bis heute davon träumen. Russland und der Iran jedoch haben als Anrainer des Kaspischen Meeres den Bau einer Unterwasserpipeline verhindert.Und so sitzt Turkmenistan nach wie vor auf seinen riesigen Gasvorkommen und kann sie nur sehr eingeschränkt in geringen Mengen auf den Weltmarkt bringen. Wenn dann auch noch der Preis wie in den vergangenen Jahren in den Keller rasselt, ist wirtschaftlich Feuer am Dach, weshalb die Bürger also für die Grundenergie- und Wasserversorgung, die seit 1992 gratis war, fortan zahlen müssen.Eine Revolution wird das nicht auslösen. Aber die notorische Reformphobie, die die jeweiligen Herrscher davon abgehalten hatte, die Zeiten der Rohstoffhausse für etwas unpopulärere Maßnahmen zu nützen, beginnt sich zu rächen. Heute kommt man nicht mehr um sie umhin. Und heute beginnt man zu spüren, welch schmerzhafte Realität sich auch hinter den schönsten und bildreichsten Sprichwörtern verbirgt: Dass es nämlich Gratiskäse doch nur in der Mausefalle gibt.