LEITARTIKEL

Griechenlands Stigma

Mancher wird sich beim Blick nach Griechenland an "Dinner for one" erinnert fühlen. "The same procedure as last year, Miss Sophie?" "The same procedure as every year, James!" Wieder einmal sind Fachbeamte in Athen, wieder einmal sollen sie...

Griechenlands Stigma

Mancher wird sich beim Blick nach Griechenland an “Dinner for one” erinnert fühlen. “The same procedure as last year, Miss Sophie?” “The same procedure as every year, James!” Wieder einmal sind Fachbeamte in Athen, wieder einmal sollen sie Bedingungen für Milliardenhilfen aushandeln, wieder einmal drängt die Zeit – und wieder einmal kommt wohl nur mit Hängen, Würgen und Brückenkrediten ein Ergebnis zustande. “The same procedure” also.”Overpromising, underperforming” – die Vermutung, dass Griechenland nur viel verspricht und wenig hält, sehen viele bereits jetzt erneut bestätigt – wenn auch nur an Äußerlichkeiten. Sei es, weil die Vertreter der Institutionen zu deren Entsetzen zunächst einmal außerhalb Athens – weit entfernt ihrer Einsatzorte – beherbergt werden sollten. Sei es, weil die griechische Regierung bei ihren ersten Vorlagen für das heimische Parlament Gesetzesentwürfe wieder zurückzog, etwa die Abschaffung von Privilegien für Landwirte. Sei es, weil sich Ex-Finanzminister Giannis Varoufakis ausgerechnet vor Hedgefonds-Managern um Kopf und hochgestellten Kragen redete. Für viele, die den Blick nach Hellas richten, Belege dafür, dass sich nichts geändert hat.Doch dieser Eindruck trügt. Es hat sich einiges verändert. Leider. Zum schlechten nämlich. Das monatelange Hickhack hat dem Land dramatischen Schaden zugefügt. Denn seit zwischenzeitlich nicht einmal mehr die notorischen Beschwichtiger und Zweckoptimisten in der EU-Kommission ein Ausscheiden des Landes aus dem Euro ausschlossen, hat Griechenland einen Knacks weg. Das Land muss mit dem Stigma leben, das einzige Land in der Währungsunion zu sein, von dem sich die anderen Euro-Partner unter bestimmten Umständen zu trennen bereit sind. Denn der Deal – von einer “Verständigung”, “Einigung” oder gar “Lösung” kann man ja ohnehin nicht sprechen – vor gut zwei Wochen hat gerade nicht das Vertrauen gefestigt, dass die Eurozone unkaputtbar ist. Ganz im Gegenteil: Premier Alexis Tsipras signalisiert, dass er von den Reformen, die er durchs Parlament peitscht, wenig hält. Zugleich liebäugelt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ständig mit der Idee, dass ein Grexit womöglich besser wäre. Wen wundert es da, dass die Bundesbürger in Umfragen den Glauben verlieren, dass Hellas überhaupt je wieder auf die Beine kommt. Und wen überrascht es, wenn auch noch die letzten Investoren dem Land den Rücken kehren – ganz egal wie viele Milliarden Zuschüsse, Bürgschaften und Billigkredite die EU in Aussicht stellt.Was heißt das kurz- und langfristig? Kurzfristig – wenn auch verspätet – wird wohl der Einstieg in ein neues Hilfsprogramm gelingen, weil Tsipras zu vielem bereit ist und die Opposition für stabile Mehrheiten sorgt. Im Spätsommer könnte – dank eines weiteren Brückenkredits – das dritte Hilfspaket stehen. Langfristig wird aber die neu erkaufte Zeit von drei Jahren kaum reichen, um Griechenland zu robustem Wachstum und Marktzugang zurückzuführen. Denn längst rechnen Ökonomen erst 2017 wieder mit einer – fragilen – konjunkturellen Aufwärtsbewegung. Dann aber wählen Frankreich und Deutschland – und bis dahin entscheiden die Briten über ihre EU-Mitgliedschaft. Die Ernüchterung darüber, dass Griechenland lange Krisenland bleibt, dürfte die Debatte über einen Grexit spätestens dann wieder anfachen – und es Hellas noch schwerer machen, wieder auf die Beine zu kommen.Was heißt das alles für Euroland? Die Debatte über weitere Integrationsschritte – ob offensiv wie seitens der fünf europäischen Präsidenten oder defensiv wie seitens der fünf Weisen – ist keine akademische Übung mehr. Europas Rettungsmanagement kann auf Dauer nicht die Entscheidung ersetzen, ob Euroland zu einer engeren Gemeinschaft zusammenwachsen soll – oder ob dafür der politische Wille fehlt. Vor allem Frankreich und Deutschland müssen Farbe bekennen, ob sie bereit sind, andere Euro-Partner zu stützen, wenn Euroland gleichzeitig mehr Einfluss und Kontrolle über nationale Finanzpolitik gewinnt.Sollte indes die Eurozone fortfahren wie bisher, sollten also Franzosen die Auflagen verfassen, die Athen erfüllen muss, damit Esten, Slowaken und alle anderen Euro-Partner neues Geld nach Griechenland überweisen, während die deutsche Regierung darüber schwadroniert, ein Grexit wäre vielleicht ja doch gescheiter – dann werden selbst eingefleischte Europäer die Lust am Euro verlieren. Und zwar in Athen genauso wie in Tallinn und Bratislava oder in Paris und Berlin.——–Von Detlef FechtnerDie Ernüchterung darüber, dass Griechenland lange Krisenland bleibt, dürfte die Debatte über einen Grexit in den nächsten Jahren wieder anfachen.——-