Großbritannien flirtet mit Deflation

Verbraucherpreise fallen erstmals seit 1960

Großbritannien flirtet mit Deflation

hip London – In Großbritannien sind die Verbraucherpreise erstmals seit 1960 gefallen. Wie das Statistikamt ONS mitteilte, belief sich die Teuerungsrate im April auf minus 0,1 %. Volkswirte hatten im Schnitt damit gerechnet, dass die Preise wie in den beiden vorangegangenen Monaten stagnieren würden.Das Minuszeichen vor dem Wert für die Preisveränderungen weckte erneut Ängste vor einer deflationären Abwärtsspirale, in der sich Konsumenten in Erwartung sinkender Preise zurückhielten und Unternehmen entsprechend weniger investieren. Schatzkanzler George Osborne betonte umgehend, es handele sich nicht um eine “schädliche Deflation”. Investec-Volkswirt Philip Shaw nennt das Phänomen lieber “negative Inflation”, denn er rechnet nicht damit, dass die Preise nachhaltig und auf breiter Front zurückgehen werden. Die Bank of England hatte im vergangene Woche vorgelegten Inflationsbericht für April einen negativen Wert angesetzt. Auf kurze Sicht rechnen die Ökonomen der Zentralbank mit einem Schwanken um die Nulllinie.”Mit einer Teuerungsrate, die in diesem Jahr voraussichtlich unter 1 % bleiben wird, steht eine Zinserhöhung nicht so schnell auf der Tagesordnung”, sagte Rain Newton-Smith, die beim Unternehmensverband CBI volkswirtschaftliche Themen verantwortet. “Die Zinsen werden wahrscheinlich bis ins kommende Jahr und darüber hinaus niedrig bleiben, was der wirtschaftlichen Erholung zugutekommt.” Österlicher PreisauftriebDer genauere Blick auf die Aprildaten zeigt, dass der Rückgang vor allem auf fallende Transportkosten und Nahrungsmittelpreise zurückgeht. Flugtickets, Zugfahrkarten und Tickets für Fähren haben sich zum einen wegen des niedrigeren Ölpreises verbilligt. Zum anderen hat dazu beigetragen, dass die Transportfirmen die Preise zu den Schulferien deutlich anheben. Ostern fiel dieses Jahr in den März, im vergangenen Jahr in den April. Die Preise von Flugtickets, die im April 2014 um 17,9 % teurer waren als ein Jahr zuvor, stiegen im April 2015 um lediglich 4,5 %. Weniger dramatisch aber dennoch spürbar ist der Unterschied auch bei den anderen Transportmitteln. Wenig überraschen dürfte dagegen, dass der Preiskrieg zwischen Supermärkten und Discountern an Intensität noch zugenommen hat.Die Kernrate, in die schwankungsanfällige Komponenten wie Energie- und Nahrungsmittelpreise nicht mit eingehen, fiel im April um 0,2 Prozentpunkte auf 0,8 %. Bankvolkswirte rechnen damit, dass sich das Lohnwachstum über kurz oder lang darin niederschlagen wird. In den drei Monaten zum März waren die Wochenlöhne um 1,9 % gestiegen. Sonderzahlungen herausgerechnet lag das Lohnwachstum im März bei 2,7 % – so hoch wie zuletzt im Januar 2009 (vgl. BZ vom 15. Mai). Zudem dürfte sich bald bemerkbar machen, dass sich die Ölpreise von ihren Tiefstständen längst erholt haben. Der Abwärtsdruck auf die Teuerungsrate schwinde, sagte Newton-Smith.”Einige Mitglieder des geldpolitischen Komitees (MPC) der Bank of England haben angedeutet, dass sie bereitstehen, die Zinsen zu senken, wenn die Preise über einen längeren Zeitraum fallen”, sagte Ben Brettell, Senior Economist bei Hargreaves Lansdown. “Aber nachdem das unwahrscheinlich erscheint, geht die nächste Bewegung bei den Zinsen fast mit Sicherheit nach oben.”