Großbritannien hängt Deutschland ab
Großbritannien hängt Deutschland ab
Bruttoinlandsprodukt legt im Auftaktquartal überraschend stark zu – Unternehmensinvestitionen als Wachstumstreiber
hip London
Die britische Wirtschaft ist im Auftaktquartal in Erwartung niedrigerer Zinsen durchgestartet. Wie Daten des Statistikamts ONS zeigen, ließ sie nicht nur die Rezession hinter sich, die das zweite Halbjahr 2023 prägte. Sie machte auch den in dieser Zeit verlorenen Boden wieder gut. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs von Januar bis März zudem stärker als von der Bank of England im eben erst vorgelegten Inflationsbericht angesetzt.
Schlussquartal 2019 übertroffen
Das Bruttoinlandsprodukt expandierte der Erstschätzung zufolge in den drei Monaten trotz des hohen Zinsniveaus um 0,6%. Dem waren sieben Quartale vorangegangen, in denen das Wachstum zurückging. Die Ökonomen der Zentralbank hatten lediglich ein Plus von 0,4% erwartet. Großbritannien ist damit ohne den von ihnen noch vor kurzem vorhergesagten langanhaltenden Abschwung durch eine Phase stark steigender Energiepreise und rasanter Zinserhöhungen gekommen.
In Deutschland hatte das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal lediglich 0,2% erreicht. Preisbereinigt befindet sich die Wirtschaftsleistung dort immer noch unter dem Wert aus dem Schlussquartal 2019, dem letzten Quartal vor der Pandemie. In Großbritannien liegt sie nun um 1,7% höher. Wesentlicher Treiber des Wachstums waren die Unternehmensinvestitionen, die um 0,9% stiegen. Von der britischen Regierung wurde das als Beleg dafür gewertet, dass die von ihr eingeführten großzügigen Abschreibungsmöglichkeiten für Firmen ihren Zweck erfüllten.
Schatzkanzler Jeremy HuntEs waren zweifellos ein paar schwierige Jahre. Aber die heutigen Wachstumsdaten sind der Beweis, dass die Wirtschaft erstmals seit der Pandemie zu voller Gesundheit zurückkehrt.
Premierminister Rishi Sunak sagte bei einem Auftritt an einem Siemens-Standort, die Lage fange langsam an sich besser anzufühlen. Die Zuversicht kehre zurück, sowohl in der Wirtschaft als auch im ganzen Land. „Es waren zweifellos ein paar schwierige Jahre“, sagte Schatzkanzler Jeremy Hunt. „Aber die heutigen Wachstumsdaten sind der Beweis, dass die Wirtschaft erstmals seit der Pandemie zu voller Gesundheit zurückkehrt.“
Autoproduktion glänzt
Allerdings bewegten sich die Investitionen immer noch um 0,6% unter Vorjahresniveau. Die Industrieproduktion stieg schneller als erwartet. Die Autoproduktion wuchs das sechste Quartal in Folge, dieses Mal um 5,7%. Auch der private Konsum und die Staatsausgaben leisteten einen positiven Beitrag zum Wachstum.
James Sproule, UK Chief Economist HandelsbankenWährend viel Aufhebens darum gemacht werden wird, dass das Vereinigte Königreich die Rezession hinter sich hat, ist die viel entscheidendere Frage, was das Wachstum hier und über ganz Europa hinweg wieder über 2% bringen soll.
„Während viel Aufhebens darum gemacht werden wird, dass das Vereinigte Königreich die Rezession hinter sich hat, ist die viel entscheidendere Frage, was das Wachstum hier und über ganz Europa hinweg wieder über 2% bringen soll“, schrieb James Sproule, der für Großbritannien zuständige Chefvolkswirt bei Handelsbanken, in einer ersten Einschätzung. Denn obwohl die nun vorlegten Daten besser als erwartet ausgefallen seien, lägen sie doch ziemlich weit unter dem, was einmal als Trendwachstum gegolten habe.
Möglicher Wendepunkt
„Das robuste Wachstum im Auftaktquartal könnte einen Wendepunkt darstellen“, sagte der Volkswirt Henry Cook von der japanischen Finanzgruppe MUFG. „Wir erwarten zwar, dass sich das Wachstum im zweiten Quartal etwas abschwächen wird. Frühindikatoren deuten aber darauf hin, dass der Schwung auch in diesem Quartal erhalten bleibt.“
Die Ergebnisse der Frühlingsumfrage der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer zeigen, dass, bezogen auf die gesamte britische Wirtschaft, mittlerweile ein Drittel der Firmen positive Zukunftserwartungen hat. Das spiegelt sich in den Erwartungen über ihre eigenen Geschäftsaussichten wider. Mehr als 45% rechnen mit einer Verbesserung. Mehr als 40% der Firmen planen, ihre Investitionen in Großbritannien zu erhöhen und neue Mitarbeiter einzustellen.