Wirtschaftlicher Abstieg

Stagnation kommt Briten teuer

Britische Sozialforscher fordern einen Neuansatz der Wirtschaftspolitik, um den Abstieg Großbritanniens zu stoppen. Fünfzehn Jahre ohne Lohnwachstum hätten den durchschnittlichen Arbeitnehmer 10.700 Pfund pro Jahr gekostet.

Stagnation kommt Briten teuer

Stagnation kommt Briten teuer

Denkfabrik Resolution Foundation fordert neue Wirtschaftsstrategie der Regierung

hip London

Sozialforscher der Resolution Foundation und der London School of Economics haben eine andere Wirtschaftspolitik gefordert, um den Abstieg Großbritanniens zu stoppen. Fünfzehn Jahre ohne Lohnwachstum hätten den durchschnittlichen Arbeitnehmer 10.700 Pfund pro Jahr gekostet.

Niedriges Wachstum und große wirtschaftliche Ungleichheit haben einer aktuellen Studie zufolge dazu geführt, dass Großbritannien hinter vergleichbare Länder zurückgefallen ist. Unter dem Titel "Die Stagnation beenden" kommen die Denkfabrik Resolution Foundation und das Centre for Economic Performance der London School of Economics zu dem Schluss, dass das Land einen 15 Jahre währenden relativen Abstieg hinter sich hat. Die Produktivität sei in dieser Zeit nur halb so stark gewachsen wie in anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Großbritannien müsse dringend einen anderen Weg einschlagen, fordert Torsten Bell, der CEO der Resolution Foundation.

Großes Aufholpotenzial

Der Thinktank steht der Labour Party nahe. Bis Ende Januar 2025 müssen Neuwahlen stattfinden. Sollte es, wie weithin erwartet, zu einem Regierungswechsel kommen, dürfte sich einiges von dem, was in seinem Bericht empfohlen wird, in der Wirtschaftspolitik einer Labour-Regierung wiederfinden. "Nachdem wir so weit zurückgefallen sind, haben wir jetzt einen großen Vorteil: Aufholpotenzial", sagt Bell.

10.700 Pfund weniger pro Jahr

Doch zunächst zur Analyse der aktuellen Situation: In den zwölf Jahren nach der Finanzkrise ist die Arbeitsproduktivität in Großbritannien um 0,4% pro Jahr gewachsen, in den 25 reichsten OECD-Ländern dagegen um 0,9%. Das habe sich direkt auf die Lohneinkommen ausgewirkt. Von 1970 bis 2007 seien die Reallöhne im Schnitt in einem Jahrzehnt um ein Drittel gestiegen. In den 2010er Jahren habe dieser Wert unter null gelegen. Mitte 2023 seien die Löhne wieder auf dem Niveau gewesen, auf dem sie sich in der Finanzkrise bewegt hatten. Die 15 Jahre ohne Lohnwachstum hätten den durchschnittlichen Arbeitnehmer 10.700 Pfund pro Jahr gekostet.

Große wirtschaftliche Ungleichheit

Die wirtschaftliche Ungleichheit sei in Großbritannien größer als in jedem anderen großen europäischen Land, und das obwohl der gesetzliche Mindestlohn die Ungleichheit bei den Stundenlöhnen reduziert habe. Die regionalen Unterschiede seien enorm. Wer auf dem Gebiet der wohlhabendsten Kommunalverwaltung, Kensington & Chelsea, lebe, komme im Schnitt auf ein viereinhalbmal so hohes Einkommen wie die Bewohner von Nottingham, der ärmsten Kommune, die vor kurzem auch noch zahlungsunfähig wurde. Vier Fünftel der regionalen Einkommensdifferenzen gingen auf Unterschiede zurück, die schon 1997 zu beobachten gewesen seien.

Regionales Produktivitätsgefälle

Das Produktivitätsgefälle zwischen Hauptstadt und anderen Großstädten sei größer als in vergleichbaren Ländern wie Frankreich. London sei um 41% produktiver als Manchester, Paris aber nur um 26% produktiver als Lyon. Um die Missstände zu beheben, müsse Großbritannien sich auf seine Stärken besinnen. Es sei weltweit der zweitgrößte Exporteur von Dienstleistungen, und dabei handele es sich bei weitem nicht nur um Finanzdienstleistungen. Die Investitionen der öffentlichen Hand müssten auf 3% des Bruttoinlandsprodukts steigen. Derzeit seien sie in der OECD im Schnitt um fast die Hälfte höher als in Großbritannien.

"Es ist Zeit, in unsere Zukunft zu investieren, statt von der Vergangenheit zu leben", fordert Bell. Wenn man es schaffe, bei der Produktivität zu Ländern wie Australien, Deutschland und Frankreich aufzuschließen, könne das einem Durchschnittshaushalt 8.000 Pfund jährlich bringen.

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