Großbritannien toppt Euroland
Die britische Wirtschaft ist im abgelaufenen Quartal stärker gewachsen als die der Eurozone. Nach einem schwachen Auftaktquartal expandierte sie um 0,4 %. Allerdings vermögen nur wenige Volkswirte den Optimismus der Bank of England zu teilen, die mit einer weiteren Beschleunigung rechnet.Von Andreas Hippin, LondonWarmes und trockenes Wetter, die Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle und sportliche Großereignisse haben dafür gesorgt, dass sich die britische Volkswirtschaft in den Monaten April bis Juni von ihrer Wachstumsschwäche im Auftaktquartal erholt hat. Wie das Statistikamt ONS am Freitag mitteilte, expandierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) einer Erstschätzung zufolge um 0,4 %. Volkswirte hatten im Schnitt mit einem Wachstum in dieser Größenordnung gerechnet. Von Januar bis März hatte es lediglich um 0,2 % zugelegt. “Die Wirtschaft hat im zweiten Quartal etwas Fahrt aufgenommen”, sagte Rob Kent-Smith, Head of National Accounts der Behörde. Das gute Wetter habe dem Einzelhandel und dem Baugewerbe geholfen, sich von den Auswirkungen der schweren Schneefälle zu erholen. Schatzkanzler Philip Hammond feierte die Daten als Beleg für die “der britischen Wirtschaft zugrundeliegenden Stärken”. Die Eurozone kam einer ersten Schätzung zufolge nur auf 0,3 %. Im historischen Vergleich sind 0,4 % Wachstum aber kein Grund, die Korken knallen zu lassen. In den zehn Jahren vor der Finanzkrise lag es im Schnitt bei 0,7 % (siehe Grafik). “Mehr als acht Jahre einer unnötigen, ideologisch getriebenen Sparpolitik haben eine Wirtschaft hervorgebracht, die nicht dazu in der Lage ist, mit der Instabilität fertig zu werden, die das Missmanagement der Brexit-Verhandlungen durch die Tories hervorgebracht hat”, sagte John McDonnell, der Hammonds Amt im Falle eines Labour-Wahlsiegs übernehmen würde. Das Wachstum sei “anämisch”. Amit Kara, Head of UK Macroeconomic Forecasting beim nationalen Institut für Sozial- und Wirtschaftsforschung (NIESR), hat Anzeichen für eine Stabilisierung des Outputs der Dienstleistungsbranche ausgemacht. Zudem gewinne das vergleichsweise kleine Baugewerbe an Schwung. Er rechne deshalb damit, dass sich das Wachstum im laufenden Quartal auf 0,5 % beschleunigen wird. Auch die Bank of England hofft, dass die Wirtschaft weiter Fahrt aufnehmen und das Wachstum sich oberhalb des langfristigen Trends verfestigen wird. “Bislang ist das klar nicht der Fall”, konstatierten die Barclays-Volkswirte Fabrice Montagne und Sreekala Kochugovindan. Aus ihrer Sicht bestehen für die Prognosen der Zentralbankökonomen “wesentliche Abwärtsrisiken”. Verlangsamung im JuniEin Blick in die Daten zeigt, dass sich das Wachstum im Juni auf 0,1 % verlangsamte, nachdem es im Mai noch bei 0,3 % gelegen hatte. Ökonomen hatten im Schnitt 0,2 % angesetzt. Grund für die Abschwächung im vergangenen Monat des Quartals war Stagnation im dominanten Dienstleistungsgewerbe, das im Mai noch um 0,2 % expandierte. Die HSBC-Volkswirtin Elizabeth Martins wies darauf hin, dass Distribution und Baugewerbe jeweils einen Zehntelpunkt zum Wachstum von 0,4 % im abgelaufenen Quartal beitrugen. Dem Statistikamt zufolge waren diese beiden Segmente im Auftaktquartal am stärksten von der winterlichen Witterung betroffen. Selbst wenn nur ein Zehntelpunkt des Wachstums im zweiten Quartal auf Aufholeffekte zurückzuführen wäre, würde dies auf ein schwaches bereinigtes Wachstum von 0,3 % hindeuten. Und es könnte noch schwächer sein, wenn man berücksichtige, dass die Distribution vom sommerlichen Wetter, einer königlichen Hochzeit und der Fußball-WM profitiert habe.Die Unternehmensinvestitionen stiegen im Vorjahresvergleich so langsam wie zuletzt im Schlussquartal 2016 (+0,8%). Und man muss sechs Jahre zurückgehen, um ein Quartal zu finden, in dem sich die Ausgaben der privaten Haushalte so wenig erhöhten (+1,1%). Und die jüngste Schwäche des Pfunds könnte im Verbund mit einem starken Dollar und steigenden Energiepreisen dazu führen, dass die Briten in den kommenden Monaten weniger für Grillpartys haben. Rückläufige Exporte, insbesondere der Auto- und Luftfahrtbranchen, drückten das Wachstum um acht Zehntelpunkte nach unten. Der Aufbau von Lagerbeständen hievte es allerdings wieder um sieben Zehntelpunkte nach oben. Weil deutlich weniger Daten in die BIP-Erstschätzung eingehen, als dem endgültigen Wert zugrunde liegen, ist noch mit Abweichungen zu rechnen.