Großchinesische Diplomatie braucht Sättigungsbeilage
Am Samstag hat in einem sehr schicken Hotel in Singapur ein für die jüngere Politgeschichte Chinas sehr wichtiges Ereignis stattgefunden. Zwei Herren, der aus Peking angereiste Xi Jinping und der aus Taipeh eingetroffene Ma Ying-jeou, die sich noch nie persönlich begegnen konnten oder wollten, haben sich im Shangri-La-Hotel in Singapur getroffen, für eine halbe Stunde eine wichtige amtsgeschäftliche Besprechung abgehalten und sich anschließend zu einem gepflegten gemeinsamen Abendessen in dem für seine Küche gut beleumundeten Etablissement zurückgezogen.Es war die überhaupt erste und überraschend vereinbarte Begegnung zwischen den Präsidenten der Volksrepublik Chinas und Taiwans, die seit 1949 getrennte Wege gehen, und vielen Chinesen kommt sie wie eine Begegnung der dritten Art vor. Die schwierige Beziehungskiste des chinesischen Festlands mit Taiwan bedingt, dass sich die politischen Oberhäupter auf beiden Seiten jeweils nicht als legitime Präsidenten ansehen und sich entsprechend auch nur als Herr Xi und Herr Ma anreden. *Über das, was Herr Xi und Herr Ma während der halben Stunde offiziell gesprochen haben, gibt es kein Kommuniqué und es gibt mit Sicherheit auch keine Annäherung von politischen Standpunkten. Entscheidend ist aber, dass beide Herren auf dem als neutral empfundenen, aber chinesisch geprägten Territorium des Stadtstaates Singapur mit einer kurzen offiziellen Besprechung, aber einem lang gestreckten gemeinsamen Essen ein Format gefunden haben, mit dem man in China Konfliktminderung betreibt. Denn das gemeinsame Essen ist nun einmal die wichtigste Handlung in einer jeden chinesischen Familie und einer jeden geschäftlichen Beziehung. Dahinter steht die hochkalorische Überzeugung, dass es kein noch so schwieriges Problem geben kann, das sich nicht mit einer guten Mahlzeit lösen oder zumindest lindern ließe. Mit einer gemeinsamen Mahlzeit wird gemeinsame Geschichte geschrieben, heißt die Maxime.Es ging bei dem gemeinsamen Essen also wohl in erster Linie darum, eine gewisse Atmosphäre zu schaffen. In jedem Fall ist die chinesische Küche hervorragend geeignet, allein über die feierliche Benennung von Gerichten Harmonie zu schaffen oder es zumindest zu versuchen. Da wären etwa Rezepturen, die mit Namen wie “Zehntausend Wohlstandswünsche”, “Brüder für immer”, “Fröhlicher Dialog in der großen Halle”, oder “Wandteppich einer verheißungsvollen Zukunft” daherkommen. *Es kann sich freilich manchmal auch lohnen, kulinarisch ein wenig zurückzustecken, um Atmosphäre zu schaffen, wie sich beim jüngsten Staatsbesuch von Xi in Großbritannien zeigte. Sein Gastgeber Premier David Cameron machte einen goldenen diplomatischen Griff, als er Xi in einem dörflichen Pub in der Nähe des für britische Regierungschefs vorgesehenen Landsitzes Chequers auf ein Bierchen und eine Portion Fish and Chips einlud. Xi brachte es fertig, auf den Pressefotos so herüberzukommen, als ob er öfters seine Samstagabende mit Pintglas in der Hand lässig an den Tresen gelehnt verbringen würde.Und in China ist nebenher eine kleine Begeisterungswelle für Fish und Chips entstanden, das jetzt in Peking und Schanghai plötzlich in Kneipen auf den Tisch kommt. Außerdem erfreut sich das besagte Pub “The Plough at Cadsden” nun eines stetigen Zulaufs von in Großbritannien weilenden Chinesen, die sich den “Xi Jinping Special”, einen Korb mit Fish und Chips an hausgemachter Tartarsauce sowie ein Pint der Biersorte Greene King India Pale Ale, gönnen wollen.So gesehen könnte der eigentliche Gewinner des Gipfeltreffens der Spitzenpolitiker Chinas und Taiwans am Ende das Shangri-La-Hotel in Singapur sein. Denn es wird nach bisherigen Erfahrungen eine Menge chinesischer Touristen geben, die das Hotelrestaurant nun als neuen touristischen Fixpunkt ansteuern wollen, um am Ort der historischen Begegnung einen Tisch zu buchen und möglichst die gleichen Speisen zu bestellen.