Große Mehrheit für Brexit-Deal
Boris Johnson kann sich einer Mehrheit im britischen Unterhaus für das Handelsabkommen mit der EU sicher sein, weil Oppositionsführer Keir Starmer die Abgeordneten von Labour dazu auffordern will, für den Deal zu stimmen. Das Abkommen wird heute in Brüssel und London unterzeichnet. hip/ahe London/Brüssel – Das eigens dafür einberufene britische Unterhaus wird das von Premierminister Boris Johnson erreichte Handelsabkommen heute aller Voraussicht nach mit großer Mehrheit verabschieden. Oppositionsführer Keir Starmer will die Abgeordneten von Labour dazu auffordern, der Vorlage der Regierung zuzustimmen. Ein “dünner” Deal sei besser als keiner. “Wir wollen jetzt nicht noch mehr Probleme für Unternehmen schaffen, indem wir die Umsetzung dessen verhindern, was die Regierung erreicht hat”, sagte Anneliese Dodds, die im Falle eines Wahlsiegs der Opposition Schatzkanzlerin würde.Solche Ansichten finden zwar nicht die Zustimmung des linken Flügels der Partei um den ehemaligen Corbyn-Vize John McDonnell, der den Deal als “Akt des Vandalismus gegen unsere Existenzen, unsere Rechte und unsere Perspektiven” brandmarkte. Aber auf dessen Stimmen kommt es angesichts der Mehrheit der Tories von 80 Mandaten ebenso wenig an wie auf die der von Johnson enttäuschten Brexiteers, der schottischen Nationalisten, nordirischen Unionisten, Grünen und Liberaldemokraten. Die Regierung hatte dem Vernehmen nach prominente Austrittsbefürworter gebeten, sich positiv zu der mit Brüssel gefundenen Vereinbarung zu äußern.Tatsächlich wurden wesentliche Forderungen der EU-Gegner erfüllt. Die Freizügigkeit endet zum 1. Januar. Großbritannien kann über seine Zuwanderungspolitik selbst bestimmen. Das Land tritt aus dem gemeinsamen Markt ebenso aus wie aus der Zollunion und kann zugleich weiter Freihandel ohne Zölle und Quoten treiben. Es muss künftig nicht mehr in den EU-Haushalt einzahlen. Und der Europäische Gerichtshof blieb bei der Governance des Abkommens außen vor. “Der Krieg ist vorbei”Nigel Farage, der ein EU-Referendum durch die Wahlerfolge seiner UK Independence Party (Ukip) auf die Tagesordnung gesetzt hatte, schrieb in einem Gastbeitrag für die “Mail on Sunday”: “Der Krieg ist vorbei.” Er wandte sich zwar gegen die Zugeständnisse bei den Fischereirechten und bei der Vermeidung einer harten Grenze durch Irland, doch sein Fazit lautete: “Wir haben gewonnen.”Schatzkanzler Rishi Sunak sagte, der Deal könne ein “enorm einigender Moment für unser Land” sein, der die Menschen nach dem jahrelangen Streit über die Zukunft Großbritanniens in Europa wieder zusammenbringt. Die Finanzdienstleistungsbranche, die gut ein Zehntel zum britischen Steueraufkommen beiträgt, blieb allerdings außen vor. Dort hatte man sich auf ein No-Deal-Szenario eingestellt.In Brüssel stimmten gestern die EU-Staaten formal dem Abkommen zu, so dass die Unterzeichnung in Brüssel und London heute stattfinden kann. Zunächst werden am Vormittag die Präsidenten der EU-Kommission und des EU-Rates, Ursula von der Leyen und Charles Michel, die Vereinbarungen in zweifacher Ausfertigung unterschreiben, bevor die Dokumente dann von einem Jet der britischen Luftwaffe nach London transportiert werden, wo am Nachmittag Johnson und später die britische Königin den Deal unterzeichnen werden. Handelsdeal mit der TürkeiSchon gestern unterzeichneten die britische Außenhandelsministerin Liz Truss und ihre türkische Amtskollegin Ruhsar Pekcan ein Freihandelsabkommen, das die aktuellen Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern fortschreibt. Damit haben es die Briten innerhalb von weniger als zwei Jahren geschafft, mit 62 Ländern – und der EU – entsprechende Vereinbarungen zu schließen. Sie decken ein Handelsvolumen von 885 Mrd. Pfund ab. Der Deal mit Ankara war für die britische Autoindustrie von besonderer Bedeutung, werden doch Dieselmotoren aus dem britischen Dagenham in den von Ford Otosan in der Türkei montierten Nutzfahrzeugen der Produktfamilie Transit verbaut. Rund ein Drittel von ihnen wird anschließend ins Vereinigte Königreich exportiert. Stuart Rowley, Präsident des Europageschäfts von Ford, verwies darauf, dass die Geschäfte zwischen Ford und Ford Otosan mehr als 10 % des gesamten Handelsvolumens zwischen Großbritannien und der Türkei ausmachen.