IM INTERVIEW: LOUIS KUIJS, ÖKONOM BEI OXFORD ECONOMICS

Große Verschuldung "ganz klar" Schwachstelle der Weltkonjunktur

Volkswirt sieht aber auch in den hohen Bewertungen an den Finanzmärkten ein Risiko - Gefahren aus dem steigenden Protektionismus

Große Verschuldung "ganz klar" Schwachstelle der Weltkonjunktur

Der Asienspezialist des Forschungsinstituts Oxford Economics, Louis Kuijs, sieht in der großen Verschuldung, aber auch in den hohen Marktniveaus Gefahrenquellen für die Weltwirtschaft. Ein weiteres eminentes Risiko für die globale Konjunktur zeigt sich ihm im zunehmenden Protektionismus.- Herr Kuijs, der US-Arbeitsmarkt, die sich verbessernde Konjunktur der Eurozone oder auch die zuletzt schneller als erwartet wachsende chinesische Ökonomie weisen auf eine solide Weltwirtschaft hin. Wie nachhaltig ist der Trend?Die Weltwirtschaft ist weiterhin dabei, sich von einer langen Rezession zu erholen. Es ist dabei zu Recht von einer synchronisierten Entwicklung der großen Volksräume die Rede. Bemerkenswerterweise hat sich dabei unter anderem wegen der moderaten Rohstoffpreise oder auch der nur langsam steigenden Löhne bisher keine namhafte Inflation bemerkbar gemacht. Damit dürften vorderhand auch die Zinsen in einem nur moderaten Tempo ansteigen.- Wo sehen Sie Schwachstellen?Ganz klar im weltweit hohen Verschuldungsgrad oder auch den hohen Bewertungen an den Finanzmärkten. Investoren sollten, was mögliche Gefahrenzonen betrifft, vor allem auch China im Auge behalten. Die dortigen Konjunkturlenker wollen die Wirtschaft eines nach wie vor schnellen Kreditwachstums entwöhnen, um damit die Risiken im Finanzsystem zu reduzieren. Doch das ist ein schwieriger Balanceakt. Ein Einbruch der Importe würde auf größere Probleme hinweisen.- Mitte 2013 löste allein eine sich am fernen Horizont abzeichnende geldpolitische Wende in den USA einen massiven Abfluss von Kapital aus den Schwellenländern aus. Indien und Indonesien rückten deshalb an den Rand einer Zahlungsbilanzkrise. Jetzt, da die Zinsen tatsächlich steigen, ist nichts von Panik zu merken. Wie ist das zu erklären?Das ist die große Frage. Es bleibt weiter offen, wie die an günstiges Geld gewöhnten Investoren auf ein deutlich höheres Zinsniveau reagieren werden. Mit Sicht auf Indien und Indonesien kann gesagt werden, dass sich hier die makroökonomischen Eckwerte dank Reformanstrengungen verbessert haben, womit diese zwei Volkswirtschaften auch weniger anfällig für ein sich veränderndes Zinsumfeld geworden sind. Aber das heißt nicht, dass gerade die Schwellenländer nicht weiterhin von Kapitalzuflüssen abhängig sind.- Auf welches Land sollten Investoren, was Stresszeichen angeht, besonders schauen?Die Philippinen, die 2017 zum ersten Mal in zwei Jahrzehnten ein Leistungsbilanzdefizit ausgewiesen haben, sind dafür ein gutes Beispiel. Die Finanzmärkte haben darauf auch reagiert, was sich etwa daran zeigt, dass der Peso auch wegen des gleichzeitig aufgetretenen Handelsbilanzdefizites gegenüber dem Dollar an Außenwert verloren hat, während andere asiatische Währungen im selben Zeitraum deutlich erstarkt sind.- Weist dieses Zwillingsdefizit auch auf über die Philippinen hinausreichende Probleme hin?Das Ungleichgewicht ist neben den boomenden Konsumgüterimporten vor allem das Resultat des von der Regierung lancierten massiven Infrastrukturprogramms. Bessere Verkehrswege oder auch eine zuverlässigere Elektrizitätsversorgung sind an und für sich zwar positiv. Der Bauboom hat aber auch für steigende Rohstoff- und Kapitalgütereinfuhren gesorgt und damit eben auch ein Zahlungsbilanzdefizit nach sich gezogen. Damit ist das Land heute aber auch verwundbarer gegenüber externen Schocks geworden.- China treibt in den asiatischen Schwellenländern und darüber hinaus im Rahmen der sogenannten neuen Seidenstraße den Ausbau der Infrastruktur voran. Welche Chancen räumen Sie diesem Riesenprojekt ein?Es gibt den Konjunkturen der Region positive Impulse und trägt ein wenig auch zum Abbau der zum Teil hohen Überkapazitäten der chinesischen Industrie bei. Doch ist das Projekt schlussendlich nur dann erfolgreich, wenn die Länder entlang der neuen Seidenstraße für die Finanzierung nicht zu stark von ausländischem Kapital und dabei insbesondere von sehr mobilen Portfolioinvestitionen abhängig werden. Das sogenannte Temper Tantrum von Mitte 2013 bleibt dabei ein warnendes Beispiel.- Wie können Fehlentwicklungen vermieden werden?Die Vergangenheit hat gezeigt, dass bisher noch jedes Schwellenland nur dank einer starken Exportindustrie zu den reichen Industriestaaten hat aufholen können. China, aber auch Südkorea oder Singapur sind dafür gute Beispiele. Chinas hohe Sparrate von rund 50 % ist nicht in erster Linie eine Folge der Ersparnisse der Privathaushalte, sondern der rapide steigenden Produktivität, die vor allem auch eine Folge der schrittweisen Integration in die Weltwirtschaft ist. Gerade in Lateinamerika ist das nicht der Fall, womit diese Region nicht nur besonders krisenanfällig bleibt, sondern auch weit abgeschlagen von der Weltspitze ist.- Drohen die weltweit steigenden protektionistischen Tendenzen dem klassischen exportorientierten Entwicklungsmodell nicht einen Riegel vorzuschieben?Ja, das ist gegenwärtig einer der größten Risikofaktoren der Weltwirtschaft. Es ist dabei zentral, dass Länder wie China, die in den vergangenen Jahrzehnten besonders stark von der Globalisierung profitiert haben, jetzt Verantwortung übernehmen und ihre eigenen Volkswirtschaften weiter öffnen und dabei auch die international geltenden Regeln strikter als bisher einhalten.- Die chinesische Regierung hat den Willen dazu bekundet. Sind dem bisher auch Taten gefolgt?Es bleibt noch zu sehen, ob Peking die versprochene größere Marktöffnung auch durchziehen wird. Neben einzelnen Fortschritten gibt es auch Fälle, die auf das Gegenteil hinweisen. So zum Beispiel Milchpulver einheimischer Produzenten, dessen Absatz die Regierung mit Hinweis auf die gute Qualität zum Nachteil der ausländischen Konkurrenz fördert. Solchen Wirtschaftsnationalismus gibt es zwar auch in anderen Ländern. Nur ist er in China umso problematischer, weil es meist keine klare Trennung zwischen dem Staat und den Unternehmen gibt.- Die USA haben China wegen angeblich unfairer Handelspraktiken Wirtschaftssanktionen angedroht und solche jüngst teilweise auch angekündigt. Könnte Peking wie auch angeklungen als zweitgrößter Investor in US-Schatzbriefen mit dem umfangreichen Verkauf dieser Papiere Washington unter Druck setzen?Diese Frage steht im Raum, seit China so ab 2005 begonnen hat, in großem Umfang US-Schuldverschreibungen zu kaufen. Peking spielt heute auf dem Treasury-Markt eine sehr wichtige Rolle. Aber einmal abgesehen von einer großen Krise wie etwa einem bewaffneten Konflikt kann es nicht in Chinas Interesse liegen, auf diesem Markt für Chaos zu sorgen. Dafür sind die zwei Volkswirtschaften zu stark voneinander abhängig. Sicherlich sind die USA infolge ihres großen Handelsbilanzdefizites auf den Kapitalzufluss aus dem Ausland angewiesen. Am Ende des Tages dürfte China, das viermal mehr in die USA exportiert als von dort importiert, aber am kürzeren Hebel sitzen.- Wie realistisch sind Projektionen, nach denen China die USA bereits innerhalb von zehn Jahren als weltweit größte Volkswirtschaft überholen wird?Obwohl es riskant ist, vergangene Trends in die Zukunft zu projizieren, ist es durchaus plausibel, dass China dank des rapiden Produktivitätswachstums in einer nicht allzu fernen Zukunft die größte Wirtschaftsmacht der Welt sein wird. Gegenwärtig ist die Produktivität in China durchschnittlich rund sechs Mal kleiner als in den USA. Aber die Wachstumsrate pro Arbeitskraft steigt in China jährlich um 6 bis 7 %, während die Produktivität eines amerikanischen Arbeiters gleichzeitig gerade einmal um 1 % zunimmt. Einmal abgesehen von Krieg oder auch anderen Katastrophen scheint dieser Trend unumkehrbar.—-Das Interview führte Ernst Herb.