Grüne melden Führungsanspruch an
Bündnis 90/Die Grünen haben den Entwurf zu einem neuen Grundsatzprogramm vorgestellt, das ihren Anspruch auf Regierungsverantwortung untermauert. Das Programm soll “die Breite der Gesellschaft erreichen”, sagt Grünen-Chefin Anna Baerbock. Dafür wagt sich die Partei über ihre Kernthemen hinaus. sp Berlin – Die Grünen wollen nach den jüngsten Wahlerfolgen mit einem neuen Grundsatzprogramm auch inhaltlich den Wandel zur Volkspartei vollziehen und ihren Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr untermauern. “Dieses Programm ist ein Anspruch, die Breite der Gesellschaft zu erreichen”, erklärte Anna Baerbock, die seit Anfang 2018 zusammen mit Robert Habeck den Parteivorsitz innehat, bei der Vorstellung des Programmentwurfs, der im November auf einem Parteitag beschlossen werden soll. Um Freiheit und Würde des Menschen zu wahren, bestehe die Notwendigkeit zur Veränderung, die einer “verunsicherten, nervösen, porösen” Gesellschaft wieder Halt gebe, sagte Habeck bei der Pressekonferenz in Berlin.”Veränderung schafft Halt”, heißt es auch in der Überschrift zum neuen Grundsatzprogramm, das damit ein bisschen an den ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann erinnert, der als Sozialdemokrat einst ein Grundmotiv für den modernen Konservativismus geprägt hat: “Wer nichts verändern möchte, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.” Doch der Entwurf des Grundsatzprogramms war an diesem Tag nicht der einzige Text, den man auch als Bewerbungsschreiben für eine Regierungsbeteiligung an die Union lesen konnte, die in den jüngsten Umfragen des ZDF-Politbarometers auf 40 % kommt und Bündnis 90/Die Grünen mit 19 % weit hinter sich lässt. Ingwer und RhabarberschorleIn einem offenen Brief in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” gratulierten Baerbock und Habeck der CDU zum 75. Geburtstag und ließen einen Geschenkkorb mit Ingwerknollen, Rhabarberschorle und einem Entwurf des neuen Grundsatzprogramms in die CDU-Zentrale im Konrad-Adenauer-Haus liefern. “Ob man es kopiert oder als Kampfansage versteht, das muss glaube ich jeder selber für sich entscheiden”, sagte Baerbock augenzwinkernd zu der Lektüreempfehlung. “Wir freuen uns auf die nächsten Jahre des fairen Wettstreits mit Euch”, schließt das Glückwunschschreiben der Grünen-Chefs in der FAZ.Dass sich die Grünen bei diesem Wettstreit nicht mehr auf ihre bisherigen Kernthemen beschränken wollen, machte Baerbock bei der Vorstellung des Programmentwurfs deutlich. Die wichtigste Veränderung im Vergleich zu früheren Programmen sei, dass die Partei sich nicht mehr nur um Klimaschutz, Artenschutz und Sozialpolitik kümmere, sondern auch in Bereichen wie Bildung, Sicherheit und Gesundheit den inhaltlichen Führungsanspruch stelle. “Unsere Aufgabe ist, eine krisenhafte Gesellschaft demokratisch für die Breite zu gestalten, und zwar in allen Bereichen”, sagte sie.Was das für den Bereich Wirtschaft bedeutet, skizzierte der Co-Vorsitzende anhand der Themen Steuern, Industriepolitik und Haushaltsführung. So strebten die Grünen eine Form von Besteuerung an, “die nicht nachträglich versucht, Fehlentwicklungen zu lindern”, sondern direkt die gewünschten Lenkungswirkungen entfalte. Als Beispiel nannte Habeck etwa die Bepreisung von CO2-Emissionen. Die Grünen forderten eine aktive Industriepolitik, die die Produktion von Grundstoffen in Europa sicherstellt. Das Prinzip der Günstigkeit und Billigkeit könne dabei nicht das letzte Wort haben und “der Weltmarkt nicht darüber entscheiden, wie resilient eine Gesellschaft ist”. Das gelte auch für die Bereitstellung kritischer Infrastruktur wie dem Gesundheitssystem. Hier müssten trotz Ökonomisierung Vorsorgekapazitäten erhalten werden, wie sie etwa bei der Feuerwehr oder der Bundeswehr bestehen. Angesprochen auf die “schwarze Null”, die gerade in der Union hoch angesehen ist, sagte Habeck, dass er sie nicht für den richtigen Maßstab guter Politik halte.Der Programmentwurf soll in den nächsten Monaten diskutiert und im Herbst beschlossen werden. Das bisherige Grundsatzprogramm stammt von 2002, als die Grünen im Bund Regierungsverantwortung trugen.