"Guang Pan Xing Dong" - Iss Dein Tellerchen leer
Neulich in Schanghai: Da wackelt man als fröhliche Kleingruppe in ein traditionsreiches Peking-Ente-Restaurant, und es geschieht Unerhörtes: Der alteingesessene Kellner, von dem man es gewohnt ist, dass er einen zu einer großzügigen Bestellung und mindestens einer halben Ente mehr als nötig nötigt, schaut mit ernster Miene ins Rund der Tischgäste und stöhnt: “Seid ihr euch auch wirklich sicher, dass ihr das alles essen könnt?” “Wollt ihr nicht sicherheitshalber lieber ein halbes Entchen weniger bestellen?”, presst er hinter einem gequälten Gesichtsausdruck weiter hervor. Was ist bloß los mit dem Mann? Ist er selber auf dem Diät-Trip, hat er Bauchschmerzen, Groll gegen den eigenen Arbeitgeber oder wurde er einer Gehirnwäsche unterzogen? Letzteres kommt der Sache am Nächsten. *Für die Sache mit der Peking-Ente-Frugalität muss man nach Peking gucken und zwar in die oberste Führungsetage der Kommunistischen Partei. Vom Präsidenten persönlich wurde eine landesweite Kampagne losgetreten, die auf einen kategorischen Rundumschlag in Sachen Essensverschwendung hinausläuft. Die neue Maxime heißt auf Chinesisch “Guang Pan Xing Dong” was sich ungefähr mit “Hinterlasse ein sauberes Tellerchen” übersetzen lässt. Was bestellt wird, muss aufgegessen werden, und wenn nicht jetzt sofort, dann eben später, indem man die Überreste mit nach Hause nimmt.Hintergrund des neuen Parteidiktats ist der Gedanke, dass Völlerei und Essensverschwendung in Zeiten der Corona-Pandemie als schamloses Verhalten anzusehen seien. In den Staatsmedien lässt man dazu auch begleitende Warnstatistiken veröffentlichen, die das Problem zahlenbewehrt unterlegen. Allein die chinesische Gaststättenindustrie verschwende zwischen 17 und 18 Mill. Tonnen an Nahrungsmitteln pro Jahr, heißt es beispielsweise. Das wiederum würde ausreichen, 30 bis 50 Millionen Menschen – also etwa einmal Peking plus Schanghai – ein Jahr lang satt zu bekommen.Tatsächlich hat die Kampagne einen ernsten Hintergrund. Denn während das verarbeitende Gewerbe die Corona-Pandemie relativ rasch überwinden konnte, sieht man im Landwirtschaftssektor noch heftige Disruptionen. Dazu kommen seit Wochen anhaltende Überschwemmungskatastrophen entlang des riesigen Jangtse-Flusses, die massive Ernteausfälle nach sich ziehen. Chinas Wirtschaftsplaner machen sich bereits Gedanken zur langfristigen Lebensmittelversorgung. Zudem befürchten sie, dass eine hartnäckig zweistellige Lebensmittelpreisinflation sozialen Unfrieden schürt. *Um das Übel gleich an der Wurzel zu packen, sind sämtliche Restaurants im Reich der Mitte plötzlich aufgefordert, die Portionen etwas kleiner zu halten und die Gäste per hartnäckigem Nachfragen zu ihrer Magenkapazität in Richtung Maßhaltung zu ermuntern. Und wenn das nichts hilft, gilt es dafür zu sorgen, dass sie ihre Essensreste auch wirklich in der “Da Bao He”, der chinesischen Version des “Doggie Bag” mit nach Hause nehmen.Die Verwaltung der Provinz Schanghai hat blitzschnell auf die weisen Worte des Präsidenten reagiert und sofort eine passende Verwaltungsanordnung in Richtung Gastronomiegewerbe erlassen. Nun sollen alle Gaststätten auf den Speisekarten markieren, auf wie viele Esser ein Gericht ausgerichtet ist, und im Zweifelsfall halbe Portionen im Angebot haben.Ein Restaurant in der Großstadt Changsha hat die Sache so ernst genommen, dass Gäste vor Betreten auf eine Waage gestellt wurden, um so zu berechnen, was ihnen laut Bodyweight-Index tatsächlich an verantwortungsvoller Essensration zusteht. Die Aktion wurde nach einem gehörigen Entrüstungssturm auf sozialen Medien allerdings rasch wieder abgeblasen.Schule macht indessen die neue Gruppenverköstigungsfaustformel, immer ein Gericht weniger zu bestellen, als Esser am Tisch sind. So wie man beim Kneipenbummel einen “Designated Driver” braucht, der garantiert nichts trinken darf, muss man künftig also einen wackeren Nichtesser mit an den Tisch setzen.