GASTBEITRAG

Gute Gründe für ein geregeltes Insolvenzverfahren für Argentinien

Börsen-Zeitung, 13.9.2014 Spätestens seit der Euro-Krise von 2010/2011 werden die Rufe nach einem Insolvenzverfahren für Staaten lauter. Die aktuellen Ereignisse um die anhaltende Schuldenkrise Argentiniens rücken diese Überlegung nun erneut in den...

Gute Gründe für ein geregeltes Insolvenzverfahren für Argentinien

Spätestens seit der Euro-Krise von 2010/2011 werden die Rufe nach einem Insolvenzverfahren für Staaten lauter. Die aktuellen Ereignisse um die anhaltende Schuldenkrise Argentiniens rücken diese Überlegung nun erneut in den Fokus.Die Grundidee ist nicht neu. Bereits nach Argentiniens erster Insolvenz hat sich der Internationale Währungsfonds unter maßgeblicher Beteiligung von Prof. Dr. Christoph Paulus (Berlin) intensiv hiermit beschäftigt. Nach Paulus trat damals auch das Bundeswirtschaftsministerium unter Leitung von Philipp Rösler für ein Resolvenzverfahren für Staaten ein. Vor wenigen Wochen legte nun Prof. Dr. Clemens Fuest (Mannheim) einen Vorschlag für ein “gangbares Insolvenzverfahren für souveräne Staaten in der Eurozone” vor. Die Umsetzung dieser Ideen lässt bis heute auf sich warten. Vertragsregelung trägt nichtDie kürzlich von Finanzinvestoren in den USA getroffenen Entscheidungen, die mit zur argentinischen Finanzkrise beitrugen, verdeutlichen nicht nur die Notwendigkeit eines übergeordneten Verfahrens zur Bereinigung der Staatsschulden, sondern auch, dass der vor allem im angloamerikanischen Raum bevorzugte Weg einer vertraglichen Regelung zwischen dem insolventen Staat und seinen Gläubigern nicht gangbar ist. Deutlich wird dies, wenn man sich vor Augen hält, dass 90 % der Gläubiger Argentiniens seinerzeit dem Schuldenschnitt zustimmten und nunmehr die obstruktiven Finanzinvestoren diesen breiten internationalen Konsens nach über 13 Jahren ins Wanken bringen können.Die Folgen tragen nicht etwa die dafür mitverantwortlichen Politiker oder das abstrakte Staatsgebilde, sondern vor allem die Bürger. Sichtbar wird dies anhand des Verfalls der Sozialversicherungssysteme, der zum Teil dramatischen Arbeitslosenquoten oder wirtschaftlich motivierter Auswanderungswellen. Daher sollte der betroffene Staat für den Fall, dass Verhandlungen scheitern, mittels eines Insolvenzverfahrens die zweite Chance erhalten, seine Finanzen neu zu ordnen. Staatliches ExistenzminimumMit der Insolvenz von Unternehmen oder Privatpersonen ist die eines Staates nicht ohne Weiteres vergleichbar, und es liegt nahe, dass einige insolvenzrechtliche Instrumente und Mechanismen dafür nicht verwendet werden können. Kaum vorstellbar ist etwa die Einsetzung eines externen Insolvenzverwalters oder die Verwertung des gesamten Staatsvermögens zugunsten der Gläubiger.Es verbietet sich aber nicht an sich, Staatsvermögen teilweise zu verwerten. Denkbar ist etwa der Verkauf staatlicher Förderrechte und Beteiligungen oder die Auflösung von Finanzreserven. Dies stößt spätestens dort an seine Grenzen, wo die Funktionsfähigkeit des Staates betroffen ist. Auch einem insolventen Staat muss, ähnlich einer Privatperson, ein schützenswerter Kernbereich, sozusagen ein staatliches Existenzminimum, zugestanden werden.In Anlehnung an das kürzlich reformierte deutsche Insolvenzrecht müsste ein solches Staatsinsolvenzverfahren als “Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung” ausgestaltet werden. Hierbei wird anstelle des Insolvenzverwalters ein Sachwalter bestellt, der die Unternehmensleitung kontrolliert und begleitet.Doch auch im Fall einer Staatsinsolvenz könnte die Akzeptanz hierfür nur durch die Beaufsichtigung eines neutralen Dritten oder durch ein Gremium, ähnlich der Troika während der griechischen Finanzkrise, gewährleistet werden. Der sich verwaltende Staat wäre dann verpflichtet, unter Aufsicht des Sachwalters einen Insolvenzplan auszuarbeiten. In diesem Insolvenzplan muss deutlich werden, dass der insolvente Staat alle nötigen Schritte zur Konsolidierung seiner Staatsfinanzen ergreift.Begleitend zu diesem Verfahren in Eigenverwaltung müsste auf die Insolvenzanmeldung des Staates eine drei- bis sechsmonatige Aussetzung der Zins- und Tilgungsleistungen sowie etwaiger Vollstreckungsmaßnahmen erfolgen. Diese Zeit muss der Staat nutzen, um einen umfassenden Sanierungsplan auszuarbeiten und diesen sowohl den innerstaatlichen Entscheidungsgremien als auch den Gläubigern vorzulegen. Auch der Vorschlag von Fuest sieht ein entsprechendes Schuldenmoratorium für die Zeit der Verhandlungen vor. Zustimmung der GläubigerJeder Insolvenzplan greift in elementare Rechte der Gläubiger ein. Daher müssen auch bei einer Staatsinsolvenz alle wesentlichen Gläubiger in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden, was angesichts globalisierter Staatsfinanzen bereits organisatorisch eine große Herausforderung darstellt.Doch dies muss – wie die aktuelle Entwicklung in Argentinien zeigt – unbedingt gelöst werden, weil mit einer Vielzahl von Gläubigern zu rechnen ist, denen ausschließlich an der optimalen Durchsetzung ihrer Forderung gelegen ist. Überlegungen strategischer, sozialer oder bündnispolitischer Art sind ihnen fremd, weshalb man im Falle der Zahlungsunfähigkeit eines Staates mit deren freiwilligem Mitwirken, d.h. ihrem Zugeständnis, nicht rechnen kann.Zu Recht wird deshalb diskutiert, dass eine Zustimmung durch die Gläubiger nicht einstimmig, sondern nur mit qualifizierter Mehrheit erfolgen könne. Die unterlegenen bzw. bei Abstimmungen abwesenden Gläubiger müssten das gefundene Ergebnis zwangsweise mittragen. In dem Vorschlag von Fuest wird dazu die flächendeckende Einführung sogenannter “Collective Action Clauses” vorgesehen, die es einer qualifizierten Gläubigermehrheit über alle Anleihelinien hinweg erlauben, eine eventuelle Gläubigerminderheit zur Akzeptanz der Umschuldungsmodalitäten zu zwingen. Und zwar ohne dass diese Minderheit später gerichtlich gegen die Umschuldung vorgehen und auf Rückzahlung der ursprünglichen Schulden drängen kann.Im deutschen Insolvenzrecht sind diese Gläubiger geschützt, da die Mehrheit nicht zu deren Lasten entscheiden darf. Somit sind auch die nicht zustimmenden bzw. nicht an der Abstimmung beteiligten Gläubiger gleich zu behandeln. Dies ist in jedem Fall Voraussetzung für eine umfassende Lösung und heute auch schon tragendes Prinzip des Planverfahrens bei Unternehmensinsolvenzen. Dieser Zwang setzt jedoch voraus, dass die betroffenen Gläubiger sich zuvor darauf einstellen und über ihr Investment aufgrund dieser Rahmenbedingung entscheiden können. Eine rückwirkende Einführung solcher Insolvenzregeln wäre verfassungsrechtlich bedenklich. Eine angemessene Übergangszeit wäre vor Inkrafttreten der Staatsinsolvenzordnung in jedem Fall erforderlich. Insolvenzgericht notwendigSchließlich wird man nicht umhinkommen, ein Insolvenzverfahren von Staaten auch einer gerichtlichen Aufsicht zu unterstellen. Dafür muss ein internationales Insolvenzgericht geschaffen werden. Dieses Gremium wäre von internationalen Rechts- und Wirtschaftsexperten so zu besetzen und zu organisieren, dass es gleich einem deutschen Insolvenzgericht das Insolvenzplanverfahren ordnet und überwacht. Im Hinblick auf die globalisierten Finanzierungsstrukturen muss dieses Gericht unabhängig von bestimmten Gläubigergruppen oder als Staaten auftretenden Gläubigern sein.Ein Insolvenzverfahren, das durch die Eigeninitiative eines Staates geprägt und unabhängiger Aufsicht unterstellt ist, kann die nötige Akzeptanz gewinnen und so der geordneten Entschuldung der Staatsfinanzen dienen. Dies nutzt nicht nur dem abstrakten Staatsgebilde, sondern vor allem seinen Menschen. Gerade diese haben eine zweite Chance verdient.—-Christoph Niering, Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter Deutschlands, VID