Halbleiter-Subventionen im Eiltempo
Halbleiter-Subventionen im Eiltempo
EU-Parlament nickt Chip-Gesetz ab – Skepsis in der Industrie – Freude in Sachsen – Kritik von Ökonomen
rec Brüssel
20% Weltmarktanteil bis 2030: Dieses hoch gesteckte Ziel soll Europas Chipindustrie mithilfe eines Halbleiter-Förderprogramms erfüllen. Manche wollen darin den Startschuss zur Aufholjagd sehen, in der Industrie herrscht Skepsis. Und Ökonomen sehen die Subventionsorgie um Intel, TSMC und Co. ohnehin kritisch.
Ein 43 Mrd. Euro schweres europäisches Förderprogramm für Halbleiter ist so gut wie startklar. Das EU-Parlament hat den „EU Chips Act“ am Dienstag in Straßburg angenommen. Somit steht nur noch die formale Zustimmung im Rat der EU-Staaten aus.
Hinter dem 2022 aufgesetzten Chipgesetz steckt ein ambitioniertes Ziel: Die EU-Kommission strebt für Europas Halbleiterindustrie bis 2030 einen Weltmarktanteil von 20% an. Momentan kommt sie nicht mal auf 10%. Branchenangaben zufolge muss sie ihre Produktionskapazitäten in einem wachsenden Markt verfünffachen, um das Ziel zu erreichen.
Eile ist auch deshalb geboten, weil die US-Regierung mit einem eigenen Halbleiter-Fördergesetz vorangeprescht ist: Unter den Chips and Science Act hat US-Präsident Joe Biden bereits im August 2022 seine Unterschrift gesetzt. Seine Regierung reklamierte umgehend Erfolge für sich, weil Chipfirmen milliardenschwere Investitionen in den USA angeschoben haben.
Hinter dem europäischen Pendant steckt nicht zuletzt das Ansinnen, solche Subventionsoffensiven zu kontern. Allerdings handelt es sich lediglich bei einem Bruchteil der 43 Mrd. Euro aus dem EU Chips Act um frisches Geld. Ein Großteil wird aus bestehenden EU-Programmen umgeschichtet. Insofern ist umstritten, ob damit tatsächlich der „Startschuss für die Aufholjagd“ der europäischen Halbleiterindustrie fällt, wie man in Reihen der Europa-SPD frohlockt.
Iris Plöger aus der Hauptgeschäftsführung des Industrieverbands BDI sieht das anders: „Mit dem EU Chips Act gelingt der EU nicht die angestrebte Aufholjagd.“ Statt den Abstand zu den USA zu verringern, werde Europa als Halbleiterregion weiter an Boden verlieren, befürchtet Plöger. „Der Ausbau der Halbleiterproduktion dürfte sich noch stärker in die USA verlagern“ und die Investitionswelle abebben.
„Kein Wundermittel“
SPD-Berichterstatter Tiemo Wölken schränkt seinerseits ein, der Chips Act sei „kein Wundermittel. Der jahrzehntelange Abstieg des Sektors in Europa wird sich nicht von heute auf morgen umkehren lassen.“ Die CSU-Politikerin Angelika Niebler, Co-Vorsitzende der Unions-Gruppe im Europaparlament, spricht von einem wichtigen Grundstein. „Damit“, so Niebler, „wollen wir sicherstellen, dass europäische Unternehmen im Wettbewerb mit chinesischen oder amerikanischen Unternehmen bestehen können.“
Für Henrike Hahn von den Grünen ist der Chips Act „ein entscheidendes industriepolitisches Instrument für die technologische Unabhängigkeit und Widerstandsfähigkeit der EU“. Verhandlungsführer Dan Nica aus Rumänien hebt jene 3,3 Mrd. Euro hervor, die für Forschung und Entwicklung vorgesehen sind. Der Chips Act sieht außerdem einen Frühwarnmechanismus hervor. Er soll Engpässen in der Versorgung mit Halbleitern vorbeugen.
Mehrere Regionen in Europa versprechen sich einen Schub – allen voran Sachsen. „Der Chips Act stärkt Sachsen als größten Halbleiterstandort in der Europäischen Union“, frohlockt Landeswirtschaftsminister Martin Dulig. Das EU-Gesetz bereite den Weg, um sich aus der Abhängigkeit insbesondere von asiatischen Anbietern zu befreien.
Infineon hat mit dem Bau eines Werks in Dresden begonnen. Sachsen buhlt zudem um die Gunst des taiwanesischen Halbleiterkonzerns TSMC, der den Bau eines Werks in Dresden an Milliardensubventionen knüpft. Das sächsische Wirtschaftsministerium verweist auch stolz auf das „sehr große Portfolio von Zuliefer- und Dienstleistungsunternehmen“ in der Region, die sich in Anlehnung an das Silicon Valley an der amerikanischen Westküste selbst als „Silicon Saxony“ rühmt.
Umstrittene Milliardenhilfen
Die hohen Subventionen für Halbleiterkonzerne sorgen für Kritik von Ökonomen. Sie entzündet sich vor allem an der Verhandlungstaktik von Intel. Der US-Konzern hat für den Bau eines Werks in Magdeburg knapp 10 Mrd. Euro an Subventionen herausgeschlagen – deutlich mehr als ursprünglich geplant.
„Mit dem europäischen Chipgesetz hat sich Europa in den internationalen Subventionswettlauf begeben“, urteilt Achim Wambach, Präsident des Forschungszentrums ZEW. Für Ifo-Chef Clemens Fuest ist unklar, ob Intel überhaupt jene Chips herstellen wird, die in Europa gebraucht werden. Andere Topökonomen argumentieren, dass die staatlichen Milliarden auf anderen Gebieten wie der Bildungspolitik besser aufgehoben wären.