Hans-Jürgen Papier 75
Von Stephan Lorz, FrankfurtAuch wenn Hans-Jürgen Papier seine rote Robe als Verfassungsrichter schon vor mehr als acht Jahren an den Nagel gehängt hat, sein Einfluss in der Öffentlichkeit besteht kraft seiner Argumente und klaren Worte nach wie vor fort. Und an Themen, zu denen er seine Kompetenz einbringen kann, mangelt es auch nicht. Zuletzt hatte er sich wieder in die aktuelle Asyldiskussion eingeschaltet. Schon am Anfang der Flüchtlingskrise warnte das CSU-Mitglied Papier vor “Erosionserscheinungen” in der Rechtsstaatlichkeit Deutschlands und sprach sich für eine strikte Trennung von Asyl- und Migrationspolitik aus. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass die Politik die “Tuchfühlung” mit dem Normalbürger verliere und jene das Vertrauen in staatliche Institutionen insgesamt. Kürzlich legte er nach: Das Asylrecht dürfe nicht zweckentfremdet werden, sagte er. Es müsse argumentative Klarheit hergestellt und unterschieden werden zwischen dem Schutz vor Verfolgung und der freiwilligen Aufnahme von Migranten. Zugleich mahnte er Politik und Öffentlichkeit, ihr Missfallen an der mangelnden politischen Basis nicht an den Menschen auszulassen, die in Ausnutzung der deutschen Rechts- und Verwaltungspraxis, zu einem großen Teil sogar durch diese angelockt, in Deutschland angekommen seien.Schon früher als Präsident des Verfassungsgerichts wurde ihm bisweilen vorgeworfen, zu sehr die Öffentlichkeit gesucht zu haben. Doch war dies nach seinem eigenen Bekunden auch die Reaktion auf eine Politik, die durch unscharfe Gesetze und falsches Verwaltungshandeln Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gefährde. Mit wohlgesetzten Worten hatte er deshalb an die demokratischen Grundlagen politischer Institutionen und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen für Verhalten und Strukturen in der Politik erinnert. Trotz seiner teils beißenden Kritik wurden seine Äußerungen aber in der Regel begrüßt; und er blieb auch in der politischen Sphäre stets hoch geachtet, was seinem ähnlich öffentlichkeitswirksamen Richterkollegen Paul Kirchhof seinerzeit versagt geblieben ist.Nachdem im Zuge der Euro-Krise die Regierungen immer mehr unter Handlungsdruck gerieten und die Parlamente wegen der postulierten Alternativlosigkeit schleichend entmachtet wurden, wies Papier in seinem letzten Amtsjahr 2010 auf die besondere Bedeutung des Parlamentarismus hin. Als “gefährlich” brandmarkte er etwa Bestrebungen, demokratische Gepflogenheiten zu straffen, nur weil vielen Akteuren auf den Finanzmärkten politische Entscheidungen zu langsam erfolgten. Papier gab zu bedenken, dass die Staaten deshalb alles tun müssten, um sich aus der Verstrickung mit den Märkten zu lösen, was nur über eine Rückführung der hohen Verschuldung möglich sei. Freiheit für das BargeldNeben der Asyldebatte hatte er sich zuletzt etwa in Gutachten oder Interviewäußerungen für die Abschaffung des Solidarzuschlags ausgesprochen, hat eine “vitale Opposition” im Bundestag gefordert, eine Begrenzung der Amtszeit der Bundeskanzler ins Gespräch gebracht und vor einer Einschränkung der Zahlung mit Bargeld gewarnt. Denn Letzteres seien Eingriffe in Freiheitsrechte – die Vertragsfreiheit und Privatautonomie.Papier wurde 1943 in Berlin geboren, war Professor in Bielefeld und München sowie Richter in Münster. 1998 wurde er als Richter ans Verfassungsgericht berufen, ein Amt, das er ab 2002 bis zu seinem Ausscheiden 2010 auch als dessen Präsident ausgeübt hat. 2014 wurde er als Mitglied des Beirates des ADAC berufen, und seit diesem Jahr ist er auch Ombudsmann der Schufa. An diesem Freitag feiert er seinen 75. Geburtstag.