LEITARTIKEL

Harte Zeiten für Steuerdealer

Unglaublich! Eigentlich ist es kaum vorstellbar, warum sich kein Finanzminister je darüber empörte, dass so viele Unternehmen ihre Steuerlast in Europa über Jahre hinweg durch listige Transaktionen im Nachbarland auf lächerlich kleine Beträge...

Harte Zeiten für Steuerdealer

Unglaublich! Eigentlich ist es kaum vorstellbar, warum sich kein Finanzminister je darüber empörte, dass so viele Unternehmen ihre Steuerlast in Europa über Jahre hinweg durch listige Transaktionen im Nachbarland auf lächerlich kleine Beträge reduzierten. Und im Grunde ist nicht nachvollziehbar, warum Regierungen duldeten, dass EU-Partnerländer vielen Konzernen die dubiosesten Steuerdeals angeboten haben. Schlicht unglaublich!Daher ist es nicht verwunderlich, wenn die aktuellen Ansagen der EU-Kommission, dass nun alles “radikal besser wird” (EU-Kommissar Pierre Moscovici), auf erhebliche Zweifel im Publikum stoßen. Wirklich? In der Tat fällt es schwer, sich vorzustellen, dass Apple, Amazon & Co. demnächst erheblich höhere Summen an den Fiskus überweisen müssen. Plausibler klingt da die Vermutung, dass sie neue Schlupflöcher finden. Schließlich wird sich in einem Europa unterschiedlicher Steuersätze und Bemessungsgrundlagen doch immer die Chance bieten, um zu betreiben, was die Firmen und ihre Berater Steueroptimierung nennen – und die EU-Beamten aggressive Steuerplanung oder Steuervermeidung.Doch gemach! Niemand sollte voreilig die Vorschläge in die Tonne treten, die Moscovici gestern in Brüssel vorgestellt hat. Denn sie haben durchaus das Zeug, etwas zu bewirken. Das gilt zum einen für den konkreten Gesetzesvorschlag zur Automatisierung und Straffung des Informationsaustauschs über Steuervorbescheide; mittlerweile besser bekannt als “tax rulings” – jene verbindlichen Zusagen von Steuerbehörden, die spätestens seit den Lux-Leaks-Enthüllungen in Verruf gekommen sind. Und das gilt zum anderen für die Maßnahmen, die Moscovici (und Juncker) noch auf dem Zettel haben und im Sommer vorschlagen wollen.Was unter einer harmlos klingenden Forderung daherkommt, nämlich die Ausweitung der länderspezifischen Berichterstattung, hat Sprengkraft. Denn wenn Unternehmen in ihren Geschäftsberichten angeben müssen, wie viel Geld sie wo verdient, wie viel Geschäft sie wo gemacht und wie viel Steuern sie wo gezahlt haben, dann wird selbst für Steuerlaien auffällig, dass mancher Umsatz in Gibraltar oder den Cayman Islands doch recht hoch ist.Das Beispiel von Starbucks zeigt, dass Öffentlichkeit wirken kann. Teile des Unternehmens wurden aus den Niederlanden nach Großbritannien verlegt, weil das Geschäft unter dem Image des Steuertricksers litt. Das Beispiel von Luxemburg wiederum dokumentiert, dass Transparenz nicht bloß Unternehmen, sondern auch Regierungen unter Druck setzt. Das Großherzogtum hat seine Finanzverwaltung in Reaktion auf Lux Leaks weitreichend umgebaut, um den hässlichen Ruf als Europameister unter den Steuerdealern abzuschütteln.Bleibt natürlich die Frage, ob die EU-Kommission mit ihrem Gesetzesvorschlag überhaupt durchkommt. Immerhin ist in Steuersachen Einstimmigkeit nötig – einer der Gründe dafür, dass etwa eine gemeinsame Bemessungsbasis für die Körperschaftsteuer seit Jahren blockiert ist. Bei den jetzt zur Diskussion stehenden “tax rulings” liegt der Fall jedoch anders. Denn die Wettbewerbsverfahren der EU-Kommission gegen Irland, die Niederlande, Luxemburg und Belgien haben ebenso wie Lux Leaks einen öffentlichen Sturm der Entrüstung provoziert, dem sich nationale Regierungen nur schwer entgegenstellen können. Es ist – wie es Ex-Finanzminister Peer Steinbrück einst nannte – “Zuch im Kamin”.Das führt wiederum dazu, dass der natürliche Kandidat fürs Blockieren ausfällt: Die Briten haben sich auf OECD-Ebene gar zu einem lauten Fürsprecher von Transparenzstandards gemacht. Dahinter mag übrigens weniger das Motiv der Steuergerechtigkeit stecken als vielmehr die Chance, sich selbst durch Offenlegung besonders plumper Steuerpraktiken kleinerer EU-Länder als Unternehmensstandort attraktiver zu machen. Sei’s drum: Im Ergebnis ergibt sich, dass Moscovicis aktueller Vorschlag – auch wenn die nationalen Regierungen gewiss noch einiges an der Rolle der EU-Kommission und an der zehnjährigen Rückwirkung korrigieren werden – durchaus Aussicht auf Umsetzung hat. Und wer weiß: Vielleicht hält das Momentum ja sogar bis zum Sommer – oder gewinnt durch weitere Entdeckungen noch an Schwung. Dann wäre nicht mal ausgeschlossen, dass sich die EU auf eine länderspezifische Berichtspflicht verständigt. Und dann würde es für Konzerne in der Tat viel komplizierter und viel riskanter, sich dem Fiskus noch zu entziehen.——–Von Detlef FechtnerWas unter einer harmlos klingenden Forderung daherkommt, nämlich die Ausweitung der länderspezifischen Berichterstattung, hat Sprengkraft.——-