IM BLICKFELD

Haussegen zwischen Washington und Berlin hängt schief

Von Peter De Thier, Washington Börsen-Zeitung, 10.2.2015 Sie mögen strahlen und nach dem jüngsten Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Weißen Haus die Unerschütterlichkeit der deutsch-amerikanischen Freundschaft betonen. Doch zwischen...

Haussegen zwischen Washington und Berlin hängt schief

Von Peter De Thier, WashingtonSie mögen strahlen und nach dem jüngsten Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Weißen Haus die Unerschütterlichkeit der deutsch-amerikanischen Freundschaft betonen. Doch zwischen Washington und Berlin hängt der Haussegen schief. Dies zeigt sich nicht zuletzt in jenem anhaltenden Misstrauen, das die Beziehung zwischen Präsident Barack Obama und der Kanzlerin kennzeichnet.Zwar ist der NSA-Überwachungsskandal zwischenzeitlich in den Hintergrund getreten. Für Unmut sorgen aber Differenzen über den Umgang mit dem Konflikt in der Ukraine sowie Obamas ungeschickte Äußerungen zur Euro-Krise. Was die Zukunft des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP angeht, bekennen sich beide Politiker zu einer raschen Umsetzung. Aber auch hier kriselt es. Zu kämpfen haben Merkel und Obama nicht nur mit divergierenden Interessen einzelner Industrien in den eigenen Ländern. Zusätzliche Hürden entstehen durch die unterschiedliche Bedeutung, die Entscheidungsträger auf beiden Seiten des Atlantiks den Eckpunkten des potenziell historischen Handels- und Investitionsabkommens beimessen.Vordergründig wurde die kurze Visite der Kanzlerin im Weißen Haus von dem eskalierenden Konflikt zwischen den ukrainischen Streitkräften und prorussischen Separatisten beherrscht. Der Bundesregierung ist es offenkundig ein Dorn im Auge, dass Obama kürzlich einen Kurswechsel signalisiert hat und Waffenlieferungen an das ukrainische Militär in Aussicht stellte. Nicht zuletzt als Antwort auf deutsche Bedenken hat das Weiße Haus zwischenzeitlich betont, dass ein solcher Schritt nicht unmittelbar bevorstehe. Teilweises EntgegenkommenDer Rückzieher signalisiert zum einen, welche Bedeutung in Washington den Einwänden des wichtigsten europäischen Partners beigemessen wird. Das Entgegenkommen täuscht aber keineswegs über bilaterale Streitpunkte hinweg, die sich vorwiegend auf wirtschafts- und handelspolitische Themen beziehen. Zu Recht ist Merkel irritiert, dass sich Obama zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt in die Debatte über den Umgang mit dem griechischen Schuldendilemma eingemischt hat. In einem Interview sagte Obama jüngst, man dürfe nicht “ein Land, das mitten in einer Rezession steckt, weiter ausquetschen”. Dass er damit die Positionen Deutschlands, die einen Schuldenschnitt oder eine einseitige Änderung des Reformprogramms kategorisch ablehnen, untergräbt, mag Obama gar nicht bewusst gewesen sein. Schließlich haben sich Stellungnahmen auch anderer US-Spitzenpolitiker zu der Krise in der Eurozone in jüngster Zeit durch bemerkenswerte Ignoranz ausgezeichnet. So hat Finanzminister Jack Lew wenige Tage vor der Ankunft der Kanzlerin erneut betont, dass er, unterstützt von Obama, ungeachtet des Höhenflugs der heimischen Währung weiter für eine Politik des “starken Dollar” plädiert.Experten begreifen nicht, warum der Minister ausgerechnet zu einer Zeit, wo amerikanische Exporteure über empfindliche Umsatzeinbußen auf dem europäischen Markt aufgrund der Wechselkursrelation klagen, ohne erkennbaren Anlass für einen noch stärkeren Greenback plädiert. Die Ironie besteht darin, dass es sich dabei um eine der wenigen Äußerungen handelt, mit denen Vertreter der Obama-Administration bei Merkel derzeit offene Türen einrennen. Schließlich profitieren die deutsche und die europäische Ausfuhrwirtschaft von einem billigeren Euro. US-Volkswirte warnen folglich, dass der deutlich gestiegene europäische Überschuss im Handel als Folge der Wechselkurskorrekturen weiter klettern wird. 2014 stieg der US-Fehlbetrag im Handel mit Deutschland auf 73,7 Mrd. Dollar. Das Defizit gegenüber den Ländern der EU erreichte im Vorjahr 141 Mrd. Dollar. Übereinstimmend sagen Volkswirte für 2015 voraus, dass amerikanische Exporteure weitere Marktanteile in Europa verlieren und die Defizite neue Rekordhöhen erreichen werden. Da die Exportwirtschaft seit dem Ende der Rezession ein gutes Drittel des Wachstums ausmacht, könnten die zu erwartenden Einbußen der konjunkturellen Erholung in den USA einen bedeutenden Dämpfer verpassen.Umso bedeutender für Obama ist daher eine möglichst zügige Verabschiedung des Freihandelsabkommens (TTIP), das bei der Begegnung mit Merkel das zentrale wirtschaftspolitische Thema sein sollte. Beide Regierungschefs bekennen sich energisch zu TTIP, das nach Schätzungen des US-Industrieverbandes Mapi noch vor Hürden steht, wobei die höheren in Europa zu nehmen sein werden. Mapi-Chefökonom Kris Bledowski rechnet vor, dass die Wachstumsrate in den USA um 1 Prozentpunkt und in der Eurozone um 0,4 Prozentpunkte zulegen würde, wenn die noch verbleibenden Zölle entfallen. Gelingt es hingegen, sowohl tarifäre als auch nichttarifäre Handelsschranken zu beseitigen, könnten die Wachstumsraten auf beiden Seiten des Atlantiks mittelfristig um 3 Prozentpunkte steigen. TTIP hat es schwerSkeptisch schätzt er aber allen Bekenntnissen des Weißen Hauses und des Kanzleramts zum Trotz die realistischen Chancen ein. “Die Differenzen erscheinen zu zahlreich und komplex”, sagt Bledowski. Er kann sich etwa nicht vorstellen, dass die USA bereit sein werden, Finanzdienstleistungen in das Abkommen zu übernehmen, da nach Obamas Einschätzung das Dodd-Frank-Gesetz Verbrauchern deutlich besseren Schutz vor der Übermacht der Banken gewährt, als europäische Gesetze dies tun. Auch werde Washington zunehmend auf wissenschaftlichen Beweisen bestehen, um europäische Protektion der eigenen Industrien zu rechtfertigen, ob es um Lebensmittel, Pharmazeutika, kosmetische Produkte oder sogar Autos geht. Ein weiteres Problem sei im Tauziehen um den Zugang zu Staatsaufträgen zu sehen, da das “Buy American”-Gesetz US-Firmen eindeutig den Vorzug gibt. Einen Stein des Anstoßes sehen Ökonomen zudem in der Inklusion des Investoren-Staat-Streitschlichtungsverfahrens (ISDS). Die USA dringen darauf, dass Investorenschutz Bestandteil von TTIP wird, während auf deutscher und europäischer Seite befürchtet wird, dass dies multinationalen Konzernen den Weg bereiten würde für teure Zivilklagen gegen einzelne Regierungen.Nicht zu unterschätzen sind zudem politische Hindernisse. Obwohl Republikaner grundsätzlich für Handelsliberalisierung eintreten, ergab eine Studie des Pew Institute, dass 60 % der Demokraten für TTIP sind und nur 44 % der Oppositionsmitglieder die Freihandelszone unterstützen. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass man Obama, der zunächst das vom Kongress zu genehmigende “Fast Track”-Verhandlungsmandat benötigt, den Prestigeerfolg verweigern will und Republikaner TTIP erst nach der Präsidentschaftswahl 2016 ernsthaft in Angriff nehmen wollen.