Heiliger Bimbes
Justin Welby (62) hat das Thema soziale Gerechtigkeit bei der Church of England ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Er trat als erster Kirchenführer seit mehr als 20 Jahren auf der Jahreskonferenz des britischen Gewerkschaftsdachverbands TUC auf. Dabei beschrieb er die Gig Economy als “Reinkarnation eines uralten Übels” und warf Amazon vor, die britischen Steuerzahler zur Ader zu lassen. All das verband er mit dem Aufruf, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Welby verwies dabei auf die wichtige Rolle, die christliche Sozialisten bei der Gründung der Gewerkschaften und der Labour Party spielten.Konservative warfen ihm daraufhin vor, lediglich die Forderungen von Labour nachzuplappern. Höhere Steuern, mehr Regulierung – solche Forderungen lassen das Herz von John McDonnell, der im Falle eines Wahlsiegs von Labour das Amt des Schatzkanzlers von Philip Hammond übernehmen würde, höherschlagen. Der Tory-Unterhausabgeordnete Charles Walker forderte Welby auf, den Mut zu haben, den weißen ringförmigen Stehkragen des Klerikers abzulegen und in die Politik zu gehen.Schlimmer als die Kritik politischer Gegner wiegt allerdings, dass Amazon zu den 20 größten Aktienpositionen der Church Commissioners for England gehört. Ihr 8,3 Mrd. Pfund schwerer Investmentfonds zahlt übrigens weder Steuern auf Dividenden noch auf Kapitalerträge. Zudem bietet die Kirche ihren eigenen Mitarbeitern die von Welby verdammten Nullstundenverträge an, die keine garantierte Arbeitszeit und damit kein sicheres Einkommen enthalten.Es ist nicht das erste Mal, dass bei Welby Anspruch und Wirklichkeit voneinander abweichen. Nachdem das auf kurzfristige Kredite zu hohen Zinsen spezialisierte Internet-Unternehmen Wonga im vergangenen Monat kollabiert war, kündigte er an, ein Angebot für das 400 Mill. Pfund schwere Kreditbuch des Payday Lenders prüfen zu wollen. Den rund 200 000 Schuldnern droht der Transfer ihrer Verbindlichkeiten an Firmen, die vielleicht 12 Pence für ein ausstehendes Pfund bezahlen, aber 100 % eintreiben wollen, wie Frank Field, der Vorsitzende des Arbeits- und Rentenausschusses des Unterhauses feststellte. Der Labour-Politiker regte an, die Kirche könne doch selbst einen Payday Lender ins Leben rufen, der faire Zinsen für seine Dienste nehme.Heiliger Bimbes, dazu wird es nicht kommen, denn schließlich will die Kirche ihr Geld für sich arbeiten lassen. Vor vier Jahren wurde bekannt, dass die Church of England über die amerikanische Risikokapitalgesellschaft Accel Partners indirekt in Wonga investiert hatte – weniger als 100 000 Pfund zwar, aber immerhin. Zuletzt hieß es, man sei “nicht so gut aufgestellt wie andere”, um das Kreditbuch von Wonga zu übernehmen.Auf den ersten Blick ist Welby ein typischer Repräsentant der britischen Elite. Er ging in Eton zur Schule und studierte am Trinity College in Cambridge. Danach wollte er eigentlich in den diplomatischen Dienst, landete aber beim französischen Ölkonzern Elf Aquitaine. Alles in allem verbrachte er mehr als ein Jahrzehnt in der Branche. Bis ihn der Ruf des Herrn ereilte, hatte er an gar nicht spirituellen Themen wie Hedges, Übernahmen und Fusionen Interesse. Der Bischof von Kensington verweigerte ihm einst mit den Worten, für ihn sei kein Platz in der Church of England, die Priesterweihe. Aber Welby ließ sich nicht beirren, und vor fünf Jahren wurde er als 105. Erzbischof von Canterbury inthronisiert.Kaum zu glauben, dass jemandem, der einst zu den vielversprechenden Aufsteigern in der City of London gehörte, so viele Fehler bei der Geldanlage unterlaufen. Interessiert sich Welby überhaupt nicht mehr für den schnöden Mammon und überlässt diese Themen anderen? Oder sollte man seine jüngsten Auftritte einfach als Virtue Signalling verstehen? Schließlich werden auch andere Angehörige der britischen Oberschicht nicht müde, jedem ihre hehren Ideale mitzuteilen, egal ob es sich dabei um die Diskriminierung von Transsexuellen, das Schicksal der staatenlosen Rohingya oder der zahllosen Menschen handelt, die versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Sicher ist dabei nur, dass keine Taten folgen werden, von finanziellen Zuwendungen gar nicht zu reden.