NOTIERT IN SCHANGHAI

Helden an der Zollschranke

Sie sind zweifelsohne auf Zack, die fiesen Schmugglerbanden, die sich in diesem Jahr mit besonderem Elan daranmachen, heiße Ware nach China einzuführen - aber die Zollbeamten sind es auch. Allen voran in Schanghai, einem der Brennpunkte für Chinas...

Helden an der Zollschranke

Sie sind zweifelsohne auf Zack, die fiesen Schmugglerbanden, die sich in diesem Jahr mit besonderem Elan daranmachen, heiße Ware nach China einzuführen – aber die Zollbeamten sind es auch. Allen voran in Schanghai, einem der Brennpunkte für Chinas General Administration of Customs. Im Frühjahr haben sich die Ereignisse zolltechnisch förmlich überschlagen, denn die Behörden haben einen Aktionsplan umgesetzt, der den klangvollen Namen “Nationales Schwert 2018” trägt – es geht wohl darum, mit wuchtigen administrativen Hieben gordische Knoten zu zerschlagen. Derzeit wird das sogenannte Projekt Nr. 1 mit massivem Aufwand angegangen. Erste Erfolge sind sichtbar. Im Mai wurden allein in Schanghai 30 000 Tonnen einer ganz besonderen Ware sichergestellt und 13 Bösewichte festgenommen. *Chinesische Medien sprechen vom Aufbruch in eine neue Ära der Bekämpfung schädlicher ausländischer Einflüsse mit gemeingefährlichen Produkten und üben sich in Reminiszenzen an ein historisches Event, nämlich die Zollschlacht in Humen aus dem Jahr 1839. Die wiederum wird gerne mit der berühmten Boston Tea Party aus dem Jahre 1773 verglichen, ein Eckdatum des amerikanischen Unabhängigkeitsstrebens und einer der Höhepunkte des Zollstreits der nordamerikanischen Kolonie mit dem Mutterland Großbritannien. Damals sorgten aufgebrachte Bostoner Bürger dafür, dass drei Schiffsladungen Tee der britischen East India Company ins Hafenbecken geschmissen wurden, anstatt vorschriftsmäßig aufgebrüht zu werden. In Humen an den Gestaden des Perlflusses wiederum sorgten wackere Zollbeamte unter der Anordnung des als Volksheld verehrten kaiserlichen Gesandten Lin Zexu dafür, dass 1 000 Tonnen von britischen Kolonialhändlern eingeführte Opiumware vernichtet wurden, statt vorschriftsmäßig in einem Pfeifchen zu verglühen. Auch hier hatte die East India Company ihre Finger im Spiel. Nachdem die britische Regierung Importsteuern für chinesischen Tee drastisch von 110 auf 10 % gesenkt hatte, und die Nachfrage der heimischen Teeschlürfer entsprechend anzog, konnte die East India Company die von China geforderte Bezahlung in Silber nicht mehr leisten. Sie griff auf einen Trick zurück, indem sie aus indischen Kolonien gewonnenes Opium in Kalkutta legal gegen Silber verkaufte, damit den Tee bezahlte und das Rauschgift dann ins Reich der Mitte schmuggeln ließ. Der Rest ist Geschichte: Während der Boston Tea Party drei Jahre später die amerikanische Unabhängigkeitsdeklaration folgte, mündete die Party in Humen im ersten der Opiumkriege. Danach wurde China gezwungen, seine Häfen für den “Freihandel” mit westlichen Kolonialmächten zu öffnen. *Mit welcher Schmuggelware aber haben es die vom Geist von Humen beseelten chinesischen Zollwächter der Moderne zu tun – etwa auch Drogen, Waffenlieferungen oder westliche Luxusgüter? Nein, bei Project 1 geht es um eine andere Kostbarkeit, nämlich Plastikmüll. Das mag verwunderlich klingen, aber seit China vor der Welthandelsorganisation WTO erklärt hat, dass man ab 2018 nicht mehr länger bereit ist, 24 der bislang aus dem Ausland nach China zu Verwertungszwecken verschifften Abfallarten zu importieren, steht die Recycling-Welt Kopf. Amerikaner, Europäer und Japaner wissen nicht mehr wohin mit dem Zeug. Entsprechend hat sich ein äußerst lukrativer Markt entwickelt, um Abfallmaterialien irgendwie doch über die Grenzen zu bringen. Auch im aktuellen bilateralen Handelskriegsgeplänkel fordert die US-Seite dem Vernehmen nach, dass China neben dem Ankurbeln der Einfuhren von Energie und Agrarprodukten bitte schön auch wieder Plastikmüll und anderen Schrott offiziell importiert. Kein Wunder vielleicht, dass man sich in China an Opiumkriege zurückerinnert. Die Frage aber ist, was man in Schanghai jetzt mit den Abertausenden Tonnen von beschlagnahmtem Plastikmüll anfangen soll. Denn einfach ins Hafenbecken schmeißen oder anzünden passt nicht ins 21. Jahrhundert.