NOTIERT IN BERLIN

Hessen sind nicht blöd

Iwan Petrowitsch Pawlow lässt grüßen. Wie sein Hund, der auf vertraute Schritte hin in Vorfreude auf das nahe Fressen Speichel sabberte, so reagieren Politiker auf bestimmte Reizbegriffe. Das Wort mit dem wohl größten Speichelfluss heißt...

Hessen sind nicht blöd

Iwan Petrowitsch Pawlow lässt grüßen. Wie sein Hund, der auf vertraute Schritte hin in Vorfreude auf das nahe Fressen Speichel sabberte, so reagieren Politiker auf bestimmte Reizbegriffe. Das Wort mit dem wohl größten Speichelfluss heißt Länderfinanzausgleich. Alle sechs Monate, bei der Halbjahres- und der Jahresbilanz des Bundesfinanzministeriums tönt es starke Worte aus dem Süden: Wir fleißigen Bayern müssen die ach so hippen, aber ebenso faulen Berliner durchfüttern, das muss ein Ende haben, und zwar sofort. “Es ist unerträglich, dass die Bayern immer weiter für ihren Fleiß bestraft werden”, lautet die aktuelle Melodie von Finanzminister Markus Söder zum immer gleichen Lied. Das er, auch das ist immer gleich, gemeinsam mit seinem hessischen Ressortkollegen anstimmt, der trällert: “Wir Hessen sind solidarisch, aber nicht blöd.” Muss ja mal gesagt werden, der Rest der Republik könnte anderes denken. *Im Gegensatz zu diesen starken, aber doch arg einfachen Bekundungen ist der bundesstaatliche Finanzausgleich, mit dem annähernd gleiche Bedingungen zwischen “reichen” und “armen” Bundesländern geschaffen werden sollen, ein kompliziertes Ding – aber wir sind ja nicht blöd. Zuallererst wird das Umsatzsteueraufkommen angeglichen, womit steuerschwache Länder bessergestellt werden sollen. Berlin steht hier relativ gut da, erhält also wenig auf der ersten Stufe der Umverteilung. Das ändert sich auf der zweiten Stufe, dem umstrittenen Länderfinanzausgleich. Hier erhalten schwache Länder Ausgleichszuweisungen von reichen. Die drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg sowie die Hauptstadt bekommen zudem noch einen Multiplikator, weil sie höhere, zum Beispiel kulturelle, Ausgaben haben als die Flächenländer, die von den städtischen Angeboten profitieren. In einem dritten Schritt stockt der Bund per Bundesergänzungszuweisungen noch einmal bei den leistungsschwachen Ländern auf, die nach den vorangegangenen Umverteilungen immer noch arm dran sind. All das übrigens ohne das große pawlowsche Geschrei einiger Länder. Eine umfassendere Rechnung macht der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans auf. Nach Einzahlungen von 2,4 Mrd. Euro in den Umsatzsteuerausgleich bei Einnahmen von fast 700 Mill. beim Länderfinanzausgleich habe das arme Land an Rhein und Ruhr stolze 1,7 Mrd. in den Finanzausgleich gezahlt – und zwar ohne Gezeter und Geheule. *Parallel zu dieser Umverteilung gibt es weitere milliardenschwere Finanzflüsse – in umgekehrter Richtung. Mehr als 1,2 Mrd. Euro fließen etwa in Form der EEG-Umlage ins sonnenreiche Bayern, wo Zehntausende von Häuslebesitzer oder Bauern von der teuren Solarförderung profitieren. In den Mieterländern Nordrhein-Westfalen oder Berlin ist es umgekehrt, hier müssen zwar alle die Umlage für die Förderung erneuerbarer Energien zahlen – es gibt aber nur wenige Profiteure.