Hitzewelle als Belastungsprobe
Einen besseren Ort und einen besseren Zeitpunkt hätte das Internationale Rote Kreuz für die Veröffentlichung seines Leitfadens zur Vorbereitung von Städten auf die nächste Hitzewelle wohl nicht wählen können. Denn nur wenige Stunden nach der Vorstellung des “Heatwave Guide for Cities” am Dienstag der vergangenen Woche in New York sandte der National Weather Service eine Warnung vor “drückender und gefährlicher” Hitze aus, die sich am Wochenende über den gesamten Osten der USA ausbreitete und damit auch auf den “Big Apple” legte. Die National Oceanic and Atmospheric Association warnte vor “überhöhter Hitze” als einem “stillen Mörder”, und auch das Emergency Management Department New York schlug Alarm. “Extreme Hitze ist gefährlich”, erinnerte die Behörde die Stadtbevölkerung über die sozialen Medien. Nach Angaben eines 2017 veröffentlichten Berichts der City of New York zählt die Stadt im Durchschnitt 13 Tote infolge eines Hitzschlags pro Jahr, mehr als 100 Todesfälle, bei denen die Hitze eine wesentliche Rolle spielt und fast 500 Notarzteinsätze, die mit der Hitze in Verbindung stehen. Die Environment Protection Agency berichtete vor drei Jahren, dass in den USA jährlich bis zu 1 300 Menschen extremer Hitze zum Opfer fallen. Im Jahr 2080 könnten allein in New York jedes Jahr mehr als 3 300 Menschen an den Folgen von Hitzeereignissen sterben, rechnete die Columbia University auf ihrem Campus in Manhattan vor. *Seit den 1960er Jahren hat sich die Zahl der Hitzewellen pro Jahr in den 50 größten amerikanischen Städten etwa verdreifacht. Am vergangenen Wochenende hatte die Hitze in New York keine unmittelbar tödlichen Folgen. Die extremen Temperaturen, die zusammen mit der hohen Luftfeuchtigkeit auf dem Heat Index für bis zu 115 Grad Fahrenheit oder rund 46 Grad Celsius sorgten, stellten neben der Bevölkerung aber auch die Infrastruktur auf eine Belastungsprobe. Der Energieversorger Consolidated Edison (Con Ed) war ihr bereits zum wiederholten Mal nicht gewachsen. Am Sonntagabend, als die Hitze auch die dritte Nacht in Folge keine Anstalten machte, sich wenigstens vorübergehend zurückzuziehen, und viele Klimaanlagen auf Hochtouren liefen, gab sich Con Ed geschlagen und kappte für Teile von Brooklyn die Stromversorgung ganz. Zuvor hatte der Versorger nach eigenen Angaben eine Netzlast von 12 063 Megawatt und damit einen Rekord für ein Wochenende verzeichnet. In den Stadtteilen Canarsie, Mill Basin, Flatlands und Bergen Beach waren mehr als 30 000 Menschen teilweise noch Montagfrüh ohne Strom. Gleich mehrere dieser Stadtteile liegen im Heat Vulnerability Index der Stadtverwaltung in der Gruppe mit der höchsten Anfälligkeit für die Gefahren einer Hitzewelle, weil sie über verhältnismäßig wenig Grünflächen und schlechte Infrastruktur verfügen. Am 13. Juli waren an der Westside von Manhattan und damit auch am Times Square sowie in den Theatern am Broadway für mehrere Stunden die Lichter ausgegangen. *Der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio und Gouverneur Andrew Cuomo haben Con Ed nach dem zweiten Stromausfall innerhalb weniger Tage eine Untersuchung in Aussicht gestellt und in den vergangenen Tagen auch damit gedroht, dass die öffentliche Hand die Stromversorgung in New York selbst übernehmen könnte. Die meisten Beobachter halten das für eine leere Drohung. Die erhitzten Gemüter im New Yorker Rathaus und am Sitz des Gouverneurs in Albany könnten das seit 1824 an der New York Stock Exchange notierte Unternehmen dennoch auf Temperatur bringen, hat der Versorger doch gerade eine Erhöhung seiner Preise für Strom und Gas beantragt. Immerhin ist der Konzern mit den möglichen Folgen klimatischer Veränderungen bereits vertraut. Seine Investitionen in Erneuerbare Energien in Kalifornien sind von der Insolvenz des kalifornischen Versorgers PG&E betroffen, dem Schadenersatzforderungen im Zusammenhang mit Waldbränden in Kalifornien in der Größenordnung von bis zu 50 Mrd. Dollar ins Haus stehen und der deshalb als Abnehmer für den grünen Strom von Con Ed ausfällt.