Hoffnungsspendende Kunst am Bundestag
Mit Kunst im und am Bau kommt nicht nur der Künstler groß heraus. Auch der Auftraggeber will uns meist etwas sagen. So hatte der Bundestag beim Umzug von Bonn nach Berlin 1999 mit seinem Kunstkonzept die “Geschichtsmächtigkeit” des Reichstagsgebäudes und dessen Funktion als “Forum der Nation” im Auge. Es wurden Künstler wie Georg Baselitz, Anselm Kiefer, Sigmar Polke, Gerhard Richter oder Günther Uecker für Auftragsarbeiten gesucht und gefunden, die das Bild der deutschen Kunst auch im Ausland bestimmt haben. Als Reverenz an die Geschichte des Gebäudes lud der Bundestag zudem Künstler aus den Ländern der alliierten Mächte ein – den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion. Die Arbeiten sind speziell für ihre Standorte im Reichstag geschaffen worden. Das Gebäude selbst trägt seit dem Umbau Ende der 1990er Jahre die Handschrift eines Briten: des Architekten Sir Norman Forster. *Nun wird der Bundestag um ein Kunstwerk reicher. Eine Skulptur des britischen Bildhauers Tony Cragg wird am Dienstag ihren Standort auf der Stadtloggia des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses beziehen. Das Gebäude gehört zum Band des Bundes, das über die Spree hinweg eine architektonische Brücke zwischen Ost- und Westteil der Stadt bis zum Bundeskanzleramt schlägt. Es beherbergt unter anderem die Bibliothek des Bundestags und den größten Anhörungssaal nach dem Plenum.Die sechs Meter hohe schimmernde und verhalten glänzende Skulptur aus übereinandergestapelten Formen scheint “von einer virtuellen Bewegung durchpulst, wirkt lebendig und zugleich rätselhaft, mutet teilweise organisch oder biomorph an und ist doch ein ganz und gar künstliches und abstraktes Gebilde”. So lautete die gutachterliche Stellungnahme nach dem Auswahlverfahren im Herbst 2018. Das Werk trug damals den Arbeitstitel “Werdendes”, als der Kunstbeirat des Bundestags unter Vorsitz von Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble am 27. September inmitten heftiger Verhandlungen der EU mit Großbritannien über den Brexit, Kämpfen der Regierungschefin Theresa May im Unterhaus und nur sieben Wochen vor der Einigung über ein Austrittsabkommen – vermutlich nicht zufällig – für einen britischen Künstler entschied. Der Arbeitstitel hat das Werk seitdem nicht verlassen. “Werdendes” beweist Weitsicht, nicht nur für das beständige Streben eines Parlaments nach besserer Rechtssetzung. Was sonst wäre passender und hoffnungsspendender in Bezug auf die Verhandlungen über das künftige Verhältnis der EU zu Großbritannien? “Werdendes” wird nicht die einzige Arbeit von Cragg in Berlin sein. Im Wintergarten der Britischen Botschaft steht bereits die Doppelskulptur “Dancing Columns”, die auch eine Art von Miteinander verheißt. Überhaupt, wer stünde dafür besser als Cragg? Der 1949 in Liverpool geborene Künstler war zuletzt Rektor der Kunstakademie Düsseldorf und hat seinen Wohnsitz: in Wuppertal.