Hohe Erwartungen an Deutschland und Frankreich
wf/w Berlin/ Paris
Genau 60 Jahre ist es am 22. Januar her, dass Charles de Gaulle und Konrad Adenauer mit dem Élysée-Vertrag den Grundstein für die deutsch-französische Freundschaft legten. Die einstigen Erbfeinde sind so zum wichtigsten Paar in Europa geworden – und zu wichtigen Wirtschaftspartnern. Der Wachstumstrend im deutsch-französischen Handel hat sich nach Angaben der Deutsch-Französischen Handelskammer (AHK Frankreich) auch 2022 fortgesetzt.
So legte das Handelsvolumen im Zeitraum Januar bis November um 13% zu, nachdem es im Vorjahr um 12 % auf 165 Mrd. Euro gestiegen war. Endgültige Zahlen für 2022 liegen noch nicht vor. Gleichzeitig konnte Frankreich China erstmals seit 2019 wieder als Absatzmarkt für deutsche Exporte überflügeln, auch wenn die USA wichtigster Exportmarkt der Bundesrepublik bleiben.
90% der deutschen Unternehmen, die in Frankreich tätig sind, sind laut einer Umfrage der AHK Frankreich zufrieden – ein Rekordwert. Das Thema, das sie momentan am meisten beschäftigt, ist der starke Anstieg der Energiepreise. Von dem deutsch-französischen Spitzentreffen am 22. Januar erwarten sie auch Antwort auf die Fragen, wie sich die Souveränität Europas und die Wettbewerbsfähigkeit entwickelt und wie die Abhängigkeit von nicht-europäischen Zulieferern verringert werden kann. Sie wünschen sich zudem Sichtbarkeit und klare aufeinander abgestimmte Regeln für die Dekarbonisierung. „Ich glaube nicht, dass die Unternehmen neue Hilfen oder mehr Geld haben wollen“, sagt AHK Frankreich-Chef Patrick Brandmaier. Vielmehr benötigten sie ein klares, verlässliches Regelwerk, um weiter erfolgreich wirtschaften zu können. Sie müssten auch wissen, wie sich Europa gegenüber dem amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) und gegenüber China positioniere. Bei dem deutsch-französischen Ministerrat am Sonntag spielt auch die Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion eine große Rolle. Ziel ist laut deutschen Regierungskreisen ein verbesserter Zugang von Start-ups zu Finanzierungsmitteln und die Finanzierung der grünen Transformation. Deutschland und Frankreich unterstützen zudem mit einem gemeinsamen Positionspapier Überlegungen der Europäischen Kommission, den Verbriefungsmarkt in Europa wiederzubeleben.
Mit der Finanzkrise 2008 waren auch europäische Verbriefungen im Verdacht, die Finanzstabilität zu gefährden. Der Markt kam zum Erliegen. Die Regulierung war zuletzt 2017 überarbeitet worden, um den Markt wieder in Schwung zu bringen. Diese Hoffnung hatte sich aber nicht erfüllt. Verbriefungen können die Bankbilanzen entasten. Die Kreditwirtschaft allein wird den Kapitalbedarf für die grüne Transformation nicht stemmen können. Neben der Kapitalmarktunion wollen Deutschland und Frankreich auch gemeinsam die Bankenunion voranbringen.