20 JAHRE SONDERVERWALTUNGSZONE HONGKONG

Hongkong hadert mit seiner Zukunft

Fluch und Segen der stärkeren Integration mit dem Festland - Immobilienmarkt als weiche Flanke

Hongkong hadert mit seiner Zukunft

Hongkongs Wirtschaft steht 20 Jahre nach der Wiedereingliederung als chinesisches Territorium verstärkt auf dem Prüfstand. Die Konjunkturverfassung ist noch solide, aber zunehmenden Spannungen ausgesetzt. Stagnierende Einkommen bei unaufhaltsam steigenden Lebenshaltungskosten und sich verschlechternden Beschäftigungsaussichten setzten eine vom Konsum getriebene Wirtschaft unter Druck. Der blasenträchtige Immobilienmarkt gilt als potenzielles Einfallstor für Abschwungrisiken.Von Norbert Hellmann, SchanghaiEin Land mit zwei Systemen: Mit dem 20. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs als britische Kronkolonie an die Volksrepublik China am 1. Juli 1997 lebt die emotionsträchtige Diskussion über die Wahrung des für 50 Jahre garantierten Status einer Sonderverwaltungszone mit hohem Autonomiegrad und damit der Maxime von einem Land mit zwei Systemen naturgemäß wieder auf.Angesichts der rasanten Entwicklung auf dem chinesischen Festland hat die Bedeutung der Hongkonger Wirtschaft für Großchina stark abgenommen. In den achtziger Jahren lag das Hongkonger Bruttoinlandsprodukt bei etwa 27 % der Wirtschaftsleistung auf dem Festland mit seiner Milliardenbevölkerung. Zum Zeitpunkt der Übergabe Hongkongs an China waren es noch stolze 15 %, zuletzt aber ist der Proporz auf 2,9 % geschrumpft (siehe Grafik). Beschauliches WachstumAn der wirtschaftlichen Front scheint der Optimismus etwas zu verfliegen. Das in den achtziger und neunziger Jahren noch rasante Wirtschaftswachstum auf einem für asiatische Tigerstaaten charakteristischen Niveau ist in den letzten fünf Jahren auf durchschnittlich gut 2 % zurückgekommen. Die Drift der Einkommensverhältnisse bei Groß- und Niedrigverdienern wächst. Während der Median der monatlichen Einkommen bei den reichsten 10 % der Haushalte binnen zehn Jahren um knapp 50 % auf 112 450 HK-Dollar (das sind etwa 13 000 Euro) kletterte, sieht man bei den 10 % der ärmsten Haushalte eine Steigerung um 13 % auf nur 2 560 HK-Dollar. Angesichts der wahnwitzigen Immobilienpreise im weltweit wohl am dichtesten besiedelten Großstadtterritorium ist die Sicherung von auch nur einigermaßen akzeptablen Wohnbedingungen das beherrschende Thema für breite Segmente der Hongkonger Bevölkerung. Crowding-outEs gibt auch eine Debatte darüber, ob im Zuge einer wachsenden chinesischen Umarmung die Maxime von einem Land mit zwei Systemen auf ökonomischem Terrain ausgehebelt wird. Unter dem Stichwort “crowding-out” wird der zunehmende Einfluss von Unternehmen und Banken des Festlandes im Hongkonger Wirtschaftsleben und am nach wie vor wichtigsten Finanzplatz im asiatischen Raum mit Skepsis gesehen und lässt bisweilen Klagelieder anstimmen.Vielleicht lohnt es sich vor diesem Hintergrund, dem ultranüchternen Urteil von Ratingagenturen Aufmerksamkeit zu schenken. Standard & Poor’s betont jedenfalls, dass der “außerordentliche Grad an Autonomie in praktisch allen wirtschaftspolitischen Belangen” der Sonderverwaltungszone und die damit verbundenen Entfaltungsfreiheiten einschließlich einer von China völlig unabhängigen Geld- und Währungspolitik die wesentlichen Gründe dafür sind, dass Hongkong mit einem Triple-“A” und damit einem deutlich höheren Ratingstatus als die Volksrepublik bei “AA-” versehen wird. Im Takt der FestlandkundenDer Outlook ist aber negativ, und zwar im Tandem mit dem für China, weil man die weiteren Perspektiven stark von denen auf dem Festland und einer langfristigen Abkühlung der Wirtschaft Chinas abhängig macht. Die wachsende Integration der Hongkonger Wirtschaft mit der chinesischen eröffnet der früheren Kronkolonie zwar erhebliche Chancen, macht sie allerdings auch stärker abhängig. Die vor allem vom Dienstleistungssektor getriebene Sonderverwaltungszone ist in Bereichen wie dem Einzelhandel, Hotelwesen und Tourismus sowie zunehmend auch im Finanzdienstleistungswesen vom Zulauf chinesischer Festlandkunden geprägt, die längst nicht nur auf Luxusgütershoppingtour gehen, sondern beispielsweise fast 40 % des Prämienaufkommens der starken Hongkonger Versicherungsbranche darstellen. Abhängigkeit nimmt zuIm Außenhandel ist die Interdependenz noch ausgeprägter. Auf China entfallen rund die Hälfte der Warenausfuhren und 40 % des Dienstleistungsexports, außerdem ist Hongkong wichtigster Umschlagplatz für Reexporte Chinas. So treiben gerade Hongkongs besondere Freiheiten, die Abwesenheit von Zöllen sowie extrem niedrigen Steuern, eine wirtschaftliche Verbindung, mit der die Abhängigkeit vom Festland zunimmt.Am Finanzplatz Hongkong dreht sich alles um den großen Nachbarn. Die Schwergewichter im Leitindex Hang Seng sind immer mehr chinesische Unternehmen, die auch dafür sorgten, dass Hongkong in den vergangenen beiden Jahren beim Kapitalaufkommen aus Initial Public Offerings (IPO) vor den New Yorker Börsen als weltweit größter Schauplatz für Börsengänge glänzen konnte. Die Rolle eines Offshore-Zentrums für den chinesischen Yuan wiederum gibt dem Devisenhandel, Firmenkredit- und Anleihengeschäft die entscheidenden Impulse. Damit kommt es allerdings zu einer wachsenden Übertragung von latenten Finanzstabilitätsrisiken aus dem chinesischen Umfeld auf die Hongkonger Finanz- und Bankenszene.Als größtes Einfallstor für eine wirtschaftliche Destabilisierung gilt aber der wieder boomende Immobilienmarkt. Die Asienkrise im Herbst 1997 brachte eine sechs Jahre währende Immobiliendelle, die Hongkongs Wirtschaft in eine lähmende Stagnations- und Deflationsphase übergehen ließ. Zwischen 2003 und 2015 allerdings haben sich Hongkongs Wohnimmobilienpreise glatt vervierfacht und auch im Jahr 2016 nochmals um 15 % zugelegt.Analysten gehen davon aus, dass Hongkong eine neuerliche mehrjährige Häuserpreiskorrektur bevorsteht, die der Wirtschaft den Elan nehmen könnte und sie in die Deflation zu schicken droht. Bei der Deutschen Bank geht man sogar noch weiter und prognostiziert einen Abstieg der Immobilienpreise um bis zu 50 % in den kommenden zehn Jahren. Zum 30. Jahrestag der Übergabe Hongkongs würde man dann wohl Anlass haben, ganz andere Klagelieder als heute anzustimmen.