Hot Yoga in der U-Bahn
War die britische Metropole bislang nur ein guter Ort, um die Küche des indischen Subkontinents durchzuprobieren, konnte man diese Woche testen, ob man auch dem Wetter dort gewachsen wäre. London hat den heißesten Tag hinter sich, den seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen in Großbritannien vor 165 Jahren gegeben hat. Am Flughafen Heathrow stieg das Quecksilber am Mittwoch auf 36,7 Grad – es war nicht nur wärmer als in Athen, sondern auch heißer als in Bombay. Gleich nebenan kamen auf dem Centre Court in Wimbledon die Tennisgrößen dieser Welt in der prallen Sonne noch mehr ins Schwitzen als ohnehin schon. Einer der Balljungen brach zusammen. Um zu verhindern, dass der Rasen zwischen den Spielen verbrennt, kam das Dach zum Einsatz. Glücklicherweise war der Wind stark genug, um einen dramatischen Anstieg der Luftverschmutzung zu verhindern. Im Vergleich zum Mittwoch der vergangenen Woche wurden die Rettungsdienste gut ein Drittel häufiger wegen Ohnmachtsanfällen bemüht. Streng fastende Muslime wurden angehalten, besonders auf ihre Gesundheit zu achten.Schon in gewöhnlichen Sommern steigt die Temperatur in den unteren Etagen des Londoner U-Bahn-Netzes über die Schwelle, die in der EU für Tiertransporte maximal zulässig ist. Wer mit der Central Line fahren muss, sollte sich diese Woche auf 35 Grad einstellen. Auf Twitter verglich eine Pendlerin die Fahrt mit einer Trainingseinheit “Hot Yoga”. Klimatisierte Wagen verkehren nur auf den weniger tief verlaufenden Strecken. Um die Fahrt zu verkürzen, nutzten Ortskundige auch den Umstand, dass manche U-Bahnhöfe nahe genug beieinanderliegen, um die Strecke zu Fuß zurückzulegen, etwa Cannon Street und Bank oder Bayswater und Queensway.Hunderte Züge wurden gestrichen, weil der Netzbetreiber Network Rail fürchtet, dass sich das antiquierte Schienennetz unter der schweren Last verbiegen könnte. Andere krochen im Schneckentempo über besonders gefährdete Streckenabschnitte wie den zwischen Paddington und Ladbroke Grove. Das verlängert die Fahrt in Waggons, deren Klimaanlagen für solche Temperaturen nicht ausgelegt sind. “Very British Problems” listete auf, was alles nicht so heiß sei wie das Innere eines dieser Züge: Apple Pie aus der Mikrowelle, die Oberfläche der Venus, die Füllung eines Steak Bake (Blätterteigtasche mit brauner Füllung) – der Brite hat Humor. Ein Zugbetreiber riet seinen Kunden, auf Fahrten zwischen 13:00 und 18:00 Uhr zu verzichten. Auf den Straßen schmolz dem Pannenhelfer AA zufolge der Asphalt. Als ein Motorradfahrer seine Maschine abstellen wollte, sei der Ständer eingesunken, so eine der zahllosen Anekdoten. Autofahrer wurden aufgefordert, ausreichend Wasser mitzuführen. An die Lkw-Fahrer, die vor dem Kanaltunnel darauf warten, dass der Streik in Calais zu Ende geht, wurde Wasser verteilt.Der Gewerkschaftsverband TUC forderte die Firmen auf, Kleidervorschriften zu lockern und zumindest den Mitarbeitern, die keinen direkten Kundenkontakt haben, zu erlauben, in kurzen Hosen zur Arbeit zu erscheinen. In Großbritannien gibt es keine Obergrenze für die zulässige Temperatur am Arbeitsplatz, nur eine Untergrenze – durchaus verständlich angesichts des normalen Klimas. Journalisten, die von der Pressegalerie des britischen Unterhauses berichteten, durften ihre Jacketts und Krawatten ablegen. Über viele Jahre hatten die Mitarbeiter der auf Tradition bedachten Institution darauf geachtet, dass die Kleiderordnung eingehalten wird. In der City wurde das Jackett im Arm getragen oder über die Schulter geworfen. Auf die Krawatte verzichten ohnehin schon viele. Nur in kurzen Hosen wurde in den Banken nicht gearbeitet – außer vielleicht in der Tiefe der IT-Abteilungen. Die Stilberater der Tageszeitungen hatten ihre männlichen Leser ausdrücklich davor gewarnt, Bein zu zeigen. Der “Telegraph” empfahl, erst einmal in bisschen Fußpflege zu betreiben, bevor man die Sandalen anzieht. Zudem könne der perfekte Gentleman auf ein Spray zurückgreifen, das normalerweise von Menschen benutzt wird, die unter Hyperhidrose leiden – übermäßiger Schweißproduktion. Dazu sei ein Gel gegen Wundreiben unter der Gürtellinie ratsam. Dann kann die Hitze auch bleiben.