IM INTERVIEW: TORSTEN HINRICHS

"Ich habe ein Fundament geschaffen"

Ex-S&P-Deutschlandchef räumt seinen Sessel bei Scope und geht in den vorgezogenen Ruhestand

"Ich habe ein Fundament geschaffen"

Vor rund fünf Jahren verließ Torsten Hinrichs seinen langjährigen Arbeitgeber Standard & Poor’s und wechselte zur deutlich kleineren Ratingagentur Scope. Am heutigen Freitag räumt er seinen Vorstandssessel bei der Scope-Gruppe. Im Interview der Börsen-Zeitung schildert er seine Beweggründe und die Schwierigkeiten, gegen die großen drei der Ratingbranche anzukommen, und erläutert, warum es unbedingt einer europäischen Ratingagentur bedarf. Herr Hinrichs, schon an diesem Freitag haben Sie Ihren letzten Arbeitstag bei Scope. Und das mit 61 Jahren. Eigentlich kein Alter, in dem man eine Karriere an den Nagel hängt. Was sind Ihre Beweggründe?Für mich war klar, dass ich dafür sorge, bei Scope Strukturen aufzubauen, damit Scope mit den internationalen Ratingagenturen mithalten kann. Diese Ziele habe ich im Wesentlichen erreicht. Das können wir gerne auch im Detail besprechen. Sehr gerne. Wann haben Sie sich entschieden, Scope zu verlassen?Das war mitnichten eine spontane Entscheidung. Die ist schon vor längerer Zeit gefallen und gegenüber den Eigentümern und Aktionären von Scope wie auch im Unternehmen selbst entsprechend kommuniziert worden. Einen Schritt zurück: Sie haben es sich zum Ziel gesetzt, Scope als europäische Alternative zu den drei großen US-Ratingagenturen zu positionieren. Vollendet ist dieses Ziel ja nicht.Vollendet ist es sicherlich nicht, das war aber aufgrund meiner persönlichen Lebensplanung von Anfang an auch nicht mein Ziel. Es ging mir darum, wichtige Grundlagen zu legen. Es ging um den Aufbau von Strukturen, qualifiziertem Personal, die Schaffung von Reputation, die Wahrnehmung unter den anderen Marktteilnehmern. Es ging um Governance, die regulatorischen Voraussetzungen, die in diesem Geschäft natürlich eine große Rolle spielen. All das ist mir gelungen, ja, ich habe ein gutes Fundament geschaffen, da ziehe ich ein positives Fazit. Das Fundament für das weitere Wachstum von Scope ist gelegt. Warum braucht es überhaupt eine europäische Ratingagentur? Können die großen drei die Bedürfnisse des Marktes nicht ausreichend abdecken?Es geht hier nicht um die Frage der Herkunft, es geht um die Frage der Methodik. Die US-Ratingagenturen legen eine “One size fits all”-Herangehensweise an den Tag. Ein gutes Beispiel sind diversifizierte Geschäftsmodelle. Die gibt es in den USA bei Unternehmen relativ selten, in Europa sind sie gang und gäbe. Die richtige Beurteilung diversifizierter Geschäftsmodelle ist aber von entscheidender Bedeutung für europäische Unternehmen. Wir haben ja nicht zuletzt in der Finanzkrise gesehen, dass europäische Unternehmen mit der Diversifizierung ganz gut gefahren sind. Methodisch unterscheidet sich unsere Herangehensweise von der der US-Kollegen, dass wir Diversifizierung bei der Bonitätsbeurteilung wertschätzen und die Einzelschätzungen dann zusammenführen. Ich könnte weitere Beispiele nennen, etwa die Beurteilung von Pensionsverpflichtungen. In Europa haben viele Unternehmen Pensionsverpflichtungen auf der Bilanz, das kennt man in den USA so auch nicht. Sie haben die Finanzkrise angesprochen, in der Ratingagenturen ja nicht zwingend eine gute Figur gemacht haben. Was hat sich in den vergangenen zehn Jahren geändert?Zum ersten Mal gibt es seit 2009 eine Regulierung des Marktes, die im Wesentlichen die Compliance- und Governance-Prozesse innerhalb der Agenturen regelt sowie die Anforderungen an Transparenz konkretisiert. Wo waren Sie erfolgreicher, in den 15 Jahren bei Standard & Poor’s oder in den fünf Jahren bei Scope?Das lässt sich überhaupt nicht miteinander vergleichen. Scope gibt es jetzt seit 2013, Standard & Poor’s seit über 160 Jahren. Und auch die Aufgaben, die ich in den beiden Unternehmen hatte, lassen sich nicht miteinander vergleichen. Scope hat sich zu Anfang mit dem Rating mittelständischer Unternehmen beschäftigt, ein Geschäftsfeld, in dem Standard & Poor’s gar nicht aktiv war. Bei Standard & Poor’s ging es gerade nach der Finanzkrise um das Bewahren, nicht zuletzt auch der Reputation. Bei Scope ging es um eine kreative Aufgabe. Hier galt es, etwas Neues aufzubauen. Und das ist Ihnen gelungen?Die Gruppe hat sich gut entwickelt. Wir haben bei den Umsätzen deutliche Steigerungen, wir sind an verschiedenen Märkten gut etabliert. Ich bin mit der Entwicklung, die die Scope-Gruppe genommen hat, durchaus zufrieden. Können Sie Beispiele nennen?Nehmen wir die Verbriefung von Non-Performing Loans in Italien. Dort sind wir neben Moody’s Marktführer, wir haben fast jeden Deal geratet, der dort auf den Markt gekommen ist. Das ist ein Meilenstein, auf den wir sehr stolz sind. Wir haben diverse Aufträge von sehr respektierten Institutionen, wie beispielsweise der Europäischen Investmentbank, bekommen. Und, auch darauf sind wir stolz, von der ungarischen Notenbank. Dort sollen wir die Ratings für ihr Anleiheaufkaufprogramm erstellen. An Erfolgen mangelt es nicht. Das alles muss man als noch vergleichsweise junge Ratingagentur erst einmal hinbekommen. Aber das sind alles Aufträge, die nicht das ganz große Geld bringen?Damit kann man schon Geld verdienen. Aber nicht genug, um in die Gewinnzone zu kommen, oder?Die Profitabilitätszone haben wir noch nicht erreicht. Aber das war auch eine bewusste Entscheidung des Aufsichtsrates und der Eigentümer im Jahr 2016: Wir hätten die Gewinnzone erreichen können, eigentlich zu jedem Zeitpunkt. Aber es wurde entschieden zu investieren. Es ging uns darum, das übergeordnete Ziel zu erreichen, nämlich einen europäischen Player zu schaffen, der früher oder später auf Augenhöhe mit den großen drei US-Ratingagenturen mithalten kann. Aber einem Unternehmen, das den Break-even immer weiter nach hinten verschiebt, würden Sie ja auch keine besonders hohe Bonität verleihen.Es geht bei der Bonitätsprüfung ja um zwei Faktoren. Wie ist das Finanzprofil – auf dieser Seite gebe ich Ihnen recht, da würde die Bonität nicht so hoch ausfallen. Es geht aber auch darum, welchen zukunftsgerichteten Entwicklungsplan hat ein Unternehmen? Erfüllt es seine Ziele, ist es bei den Perspektiven auf der richtigen Bahn? Sind die richtigen Weichenstellungen vorgenommen worden? Da ist Scope auf Kurs. Auf Kurs sein heißt konkret?Auf Kurs sein heißt konkret, dass wir in allen Asset-Klassen, die wir raten, außer Versicherungen, die wir nicht im Portfolio haben, schlagkräftige Teams aufgebaut haben. Wir haben erreicht, dass wir eine Compliance im Unternehmen aufgebaut haben, die auch täglich gelebt wird. Welche Bonität würden Sie Scope zuerkennen?Eine Bonität am unteren Rand des Investment Grade. Am unteren Rand auch deshalb, weil wir noch einen weiten Weg zu gehen haben, was die Profitabilität angeht. Also nicht im “A”-Bereich?Nein. Aber Scope als Wachstumsunternehmen setzt eher auf Equity als auf Debt, und daher erübrigt sich die Frage nach einem Rating ohnehin. Besonders gut ist das Rating nicht . . .. . . aber solide! Und vergessen Sie bitte nicht, dass es uns gelungen ist, Investoren zu finden, die von unserem Geschäftsmodell überzeugt sind. Über eine mehrstufige Kapitalerhöhung wurden bis Anfang 2019 35 Mill. Euro von mehreren europäischen institutionellen Investoren eingesammelt – HDI, Signal Iduna und SV Sparkassen Versicherung, die Schweizer Mobilia, aus Luxemburg der Versicherer Foyer sowie die in Wien beheimatete B&C Beteiligungsmanagement. Im Sommer kam noch eine der größten Stiftungen in Deutschland, die RAG-Stiftung dazu. Ich bin überzeugt, die Investoren werden ihre Freude an Scope haben, der Unternehmenswert steigt. Bleibt der Anspruch, eine europäische Ratingagentur zu sein, die auf Augenhöhe mit den großen drei ist. Dazu bedarf es doch auch der Anerkennung durch die Europäische Zentralbank (EZB), davon sind Sie aber noch weit entfernt.Dieses Ziel haben wir noch nicht erreicht, denn dafür fehlen uns noch ein paar Jahre, aber das ist völlig normal. Woran fehlt es konkret?Die Akzeptanz von Ratingagenturen durch die EZB, der sogenannte ECAF-Status, ist erst seit 2017 und zum ersten Mal an konkrete Voraussetzungen geknüpft. So werden an neue Ratingagenturen, die in den kleinen Kreis der bereits von der Europäischen Zentralbank akzeptierten Agenturen aufgenommen werden wollen, konkrete Anforderungen an die Anzahl der veröffentlichten Ratings in den Bereichen Firmenratings, Bankenratings, Ratings von Covered Bonds, also Pfandbriefen, sowie strukturierten Finanzierungen gestellt. Zudem müssen diese Ratings drei Jahre lang verfügbar gewesen sein. Stand heute werden nur die US-amerikanischen Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s, Fitch und Morningstar in Europa berücksichtigt. Scope steht auch zu diesem Thema in regelmäßigem Austausch mit der EZB und hat die Anforderungen erfüllt, um in den Dreijahresmodus zu wechseln und diesen Antrag in absehbarer Zeit zu stellen. Und ich gehe davon aus, dass dieser Antrag auch erfolgreich sein wird. Das Interview führte Archibald Preuschat.