IM INTERVIEW: FRANCOIS VILLEROY DE GALHAU

"Ich liebe Deutschland"

Frankreichs Notenbankchef über die geldpolitische Wende in Euroland, die Euro-Zukunft, das deutsch-französische Verhältnis und den nächsten EZB-Präsidenten

"Ich liebe Deutschland"

– Herr Villeroy de Galhau, was halten Sie aktuell für das größere Risiko: dass der Europäischen Zentralbank (EZB) der geschmeidige Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik misslingt oder dass die europäische Politik an den nötigen Reformen zur Stärkung der Eurozone scheitert?Ich bin vollkommen überzeugt, dass uns der geschmeidige Ausstieg gelingt. Was das zweite Risiko betrifft: Das liegt nicht in unseren Händen. Aber wir haben uns für eine Stärkung der Eurozone eingesetzt.- Bleiben wir zuerst bei der Geldpolitik: Die Euro-Wirtschaft wächst so stark wie seit zehn Jahren nicht. Die Inflation liegt mit 1,4 % in Reichweite des EZB-Ziels von unter, aber nahe 2 %. Die EZB-Politik aber ist noch expansiver als in der Weltfinanzkrise. Das passt doch nicht zusammen?Die Wirtschaft im Euroraum bietet zu Beginn des Jahres in der Tat ein sehr positives Bild. Das Wachstum ist robust und nimmt Fahrt auf. Die Inflation aber hinkt weiter hinterher. Unser Mandat ist da einfach und eindeutig: Preisstabilität. Und wir haben eine klare Definition von Preisstabilität, ähnlich jener aller großen Zentralbanken: eine Inflationsrate von unter, aber nahe 2 % in der mittleren Frist. Wir müssen uns an unser Mandat halten – in Einklang mit den deutschen Werten.- Der Kurs ist also angemessen?Wir haben unser Inflationsziel noch nicht erreicht und nicht auf selbsttragende Weise. Die Eurozone braucht also weiter eine akkommodierende Geldpolitik. Wir nähern uns aber zugleich unserem Ziel an. Das heißt, wir können die Intensität der geldpolitischen Unterstützung schrittweise reduzieren. In dem Sinne haben wir Ende Oktober eine sehr wichtige Entscheidung getroffen.- Sie meinen die Verlängerung des Anleihekaufprogramms (Quantitative Easing, QE) bis mindestens Ende September 2018, bei einem seit Januar halbierten monatlichen Kaufvolumen von 30 Mrd. Euro statt zuvor 60 Mrd. Euro.Mit der Reduzierung unseres Kaufvolumens um die Hälfte können wir sagen, dass wir eine graduelle Normalisierung unserer Geldpolitik begonnen haben.- Im Dezember hat die Inflation erneut nach unten überrascht, vor allem verharrte die Kernrate ohne Energie und Lebensmittel bei 0,9 %. Wie enttäuschend ist das aus Sicht der EZB?Wir haben ein mittelfristiges Ziel und wir schauen nicht nur auf einzelne Monatszahlen. Diese Daten ändern nichts an unserer zunehmenden Zuversicht, dass sich die Inflation in die richtige Richtung bewegt. Die einzige Frage ist, wie lange es dauert, bis unser Ziel erreicht ist. Die jüngste Entwicklung des Wechselkurses ist in diesem Punkt eine Quelle der Unsicherheit, die es wegen ihrer möglichen dämpfenden Effekte auf die Importpreise zu beobachten gilt.- Mit dem Hoch- und Runtersetzen des QE-Kaufvolumens wirkt die EZB-Politik wie ein Versuch der Feinsteuerung der Inflation – die aber doch scheitern muss?Wir betreiben keine “Feinsteuerung” der Inflation.Anfang 2016 haben wir die Käufe von 60 Mrd. Euro auf 80 Mrd. Euro erhöht, weil es zu dieser Zeit das Risiko einer Deflation gab. 2017 haben wir klar gesagt, dass die Gefahr einer Deflation verschwunden ist. Das war ein erster Erfolg unserer Geldpolitik. Jetzt zieht die Inflation tendenziell an. Auch daran hat unsere Geldpolitik einen großen Anteil. Der EZB-Rat ist sich in dem Punkt komplett einig. Darüber hinaus ist es entscheidend, nicht nur auf die Nettokäufe zu schauen. Es geht um unser ganzes Paket. Dazu gehört der beträchtliche Bestand an Vermögenswerten in den Notenbankbilanzen und die Reinvestitionen sowie die aktuellen Niveaus unserer Leitzinsen und unsere Forward Guidance im Hinblick auf die künftigen Zinssätze. Unsere Geldpolitik vertraut auf ein Quartett an Instrumenten, nicht auf ein Solo.- Wenn die Nettokäufe zunehmend eine untergeordnete Rolle spielen, warum macht der EZB-Rat dann so eine große Sache daraus, ob nach September 2018 noch ein paar Monate weitergekauft wird oder nicht? So sind auch die Märkte sehr fokussiert auf dieses Element.Wir haben überhaupt nichts darüber gesagt, was nach September passieren wird. Wir haben einen entschlossenen Schritt in Richtung des möglichen Endes unserer Nettokäufe gemacht. Aber alle Szenarien, die kursieren, sind reine Spekulationen. Und unsere Geldpolitik wird nicht getrieben von Markterwartungen.- Besteht bei der sehr graduellen Normalisierung nicht das große Risiko, zu vorsichtig zu sein – und “hinter die Kurve” zu fallen?Nein. Wenn man die ganze Palette an Instrumenten in Betracht zieht, die ich erwähnt habe, gibt es die Aussicht auf eine glaubwürdige Exitstrategie, wenn das angebracht ist – mit der Reihenfolge Ende unserer Nettokäufe, Erhöhung unserer Leitzinsen und später Zurückfahren unserer Reinvestitionen und damit unseres Bestands an Wertpapieren. Wir sind vorhersehbar, was die Richtung unserer Politik und das Sequencing betrifft. Wir sind aber nicht vorfestgelegt, was das genaue Timing betrifft. Das werden wir abhängig machen von dem tatsächlichen Fortschritt bei der Erreichung unseres Inflationsziels.- Wenn sich Wachstum und Inflation in Einklang mit den EZB-Projektionen entwickeln, wird die QE-Verlängerung von Oktober dann die letzte gewesen sein?Wir haben noch sechs geldpolitische Sitzungen bis September, um zu entscheiden. Seien Sie geduldig!- EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré hat von einer “realistischen Aussicht” gesprochen, dass QE nach September endet. Würden Sie dem zustimmen?Ich kommentiere nie, was meine Kollegen sagen. Ich gebe nur meine persönliche Einschätzung der Situation.- Die EZB will erst “weit” nach Ende der Nettokäufe die Zinsen anheben. Aber es ist völlig unklar, was das heißt: Viele Experten prognostizieren Zinserhöhungen erst für Ende 2019, andere aber zumindest eine erste Anhebung des negativen Einlagenzinses schon Ende 2018. Müsste der EZB-Rat da nicht für mehr Klarheit sorgen?Unsere Geldpolitik im Jahr 2017 war eine der berechenbarsten von allen. Und das Gleiche gilt jetzt: Wir haben für neun Monate Klarheit geschaffen über unsere Käufe und für einen noch längeren Zeitpunkt über unsere Zinsen.- Aber wie erklären Sie sich die unterschiedlichen Erwartungen?Die nominalen Zinsen werden in der Zukunft ansteigen. Die Realzinsen werden sehr niedrig und günstig für die Wirtschaft bleiben. Aber wir können uns bei unserer Geldpolitik nicht für das nächste Jahr oder für zwei vorfestlegen. Der Zeitpunkt und das Tempo von zukünftigen Zinserhöhungen wird vom Inflationsausblick abhängen.- Wie lange kann die EZB an Null- und Negativzinsen festhalten, ohne dass diese zum Risiko für die Finanzstabilität werden?Bislang hat unsere Zinspolitik keine Risiken für die Finanzstabilität als Ganzes oder für die Profitabilität der Banken geschaffen. Die robustere wirtschaftliche Lage, die zum Teil auf unsere Politik zurückgeht, ist positiv für die Banken. Negative kurzfristige Zinsen tragen zudem zu einer steileren Zinskurve bei. Das hilft den Finanzinstituten im Prozess der Fristentransformation. Alles in allem sollten die Banken die Bedeutung des negativen Einlagenzinses für ihre Profitabilität nicht übertreiben.- Was meinen Sie genau?Im Euroraum ist die Profitabilität der Banken zwischen den Ländern sehr unterschiedlich, obwohl alle mit der exakt gleichen Geldpolitik operieren. In Italien oder Deutschland ist die Profitabilität sehr viel geringer als in den Niederlanden oder Frankreich. Es gibt dafür also offenbar strukturelle Gründe – und die müssen von den Banken selbst beseitigt werden. Der Negativzins ist gleichwohl ein unkonventionelles Instrument und er hat seine Grenzen. Wir werden irgendwann wieder aus dem Bereich negativer Zinsen herausmüssen.- Einige Experten sagen, die EZB werde nie wieder die Zinsen richtig anheben können. Viele Euro-Staaten seien so hoch verschuldet, dass steigende Zinsen die Euro-Krise zurückbringen würden.Ich kann dieses Argument überhaupt nicht akzeptieren! Das würde bedeuten, wir wären nicht unabhängig von den Regierungen. Wir sind vollkommen unabhängig. Wir haben das seit der Gründung des Eurosystems 1999 immer wieder bewiesen. Wir haben die Zinsen immer erhöht, wenn es nötig war. Wir werden auch bei der Normalisierung, die jetzt begonnen hat, völlig unabhängig entscheiden.- Die Staaten sollten sich also nicht zu sehr auf die EZB verlassen?Um es ganz offen zu sagen: Die Höhe unserer Leitzinsen ist nicht bestimmt und wird niemals bestimmt sein durch die Höhe der staatlichen Verschuldung, sondern allein durch unser Mandat der Preisstabilität.- So mancher Kritiker unkt, es gehe der EZB gar nicht mehr um die Inflation, sondern um den Zusammenhalt der Eurozone – zumal EZB-Präsident Mario Draghi diesen Zusammenhalt im Sommer 2012 mit seinem “Whatever it takes” versprochen hat.Jeder, der das behauptet, würde falschliegen. Es stimmt, dass Mario Draghi das 2012 gesagt hat und er damit, dass er das getan hat, erfolgreich die Währung beschützt hat – was unsere Ausgabe ist. Im Moment ist der Euro nicht in Gefahr. Ganz im Gegenteil: Die Eurozone ist heute stärker als zuvor. Auch das öffentliche Vertrauen ist so hoch wie nie: 74 % der Bürger in den Euro-Ländern unterstützen den Euro.In Deutschland sind es sogar 81 %.- Sie kennen Deutschland gut.Ich liebe Deutschland.- Fragt Draghi Sie da manchmal um Rat, was es mit der harschen Kritik an der EZB und an ihm auf sich hat – und was er tun soll?Nein. Ich werde aber oft nach Deutschland eingeladen und komme gerne, um unsere Geldpolitik zu diskutieren. Bei unserer Geldpolitik geht es nicht um eine dovishe oder hawkishe Haltung, die mit einer bestimmten Nationalität zu tun hätte. Es geht um pragmatische und unabhängige Entscheidungen, die einzig von unserem Mandat bestimmt sind.- Aber wie gefährlich ist es, wenn im größten Euro-Land die Kritik an der Zentralbank so groß ist?Deutschland hat stets auf die Unabhängigkeit der EZB gepocht – und das völlig zu Recht, in Einklang mit der Tradition der Bundesbank. Unsere Geldpolitik wird nicht bestimmt von politischer oder öffentlicher Meinung. Wenn das so wäre, würden wir unserer Aufgabe womöglich nicht gerecht werden können. Wir tun, was nötig ist – und das gilt, wenn die Inflation zu hoch ist, aber auch, wenn die Inflation zu niedrig ist.- Kommen wir zur Zukunft Europas und der Eurozone. Die EZB dringt auf einen “Quantensprung” in der Integration. Wie groß ist der Frust über die mangelnden Fortschritte?Zunächst einmal: Das ist die Zuständigkeit der europäischen Regierungen und Institutionen. Es geht um demokratische Entscheidungen. Aber unser Interesse ist ganz klar: Die Geldpolitik sollte nicht überfordert werden und nicht der einzige handlungsfähige Akteur sein – “the only game in town”, wie es oft heißt. Darin sind wir uns alle einig.- Ohne weitere Fortschritte wird die EZB aber auch künftig der zentrale Krisenakteur sein.Wir haben uns vor 20 Jahren auf eine Wirtschafts- und Währungsunion geeinigt. Die eine Säule, die Währungsunion, ist effektiv und robust. Die andere Säule, die Wirtschaftsunion, ist aber unterentwickelt. Das ist das Problem.- Ist die Währungsunion wirklich ein voller Erfolg? Ex-EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing sagt, dass der Euro womöglich mehr Spaltung als Einigung erzeugt hat.Ich teile diese Einschätzung nicht. Sicher, es war nicht immer ein einfacher und geräuschloser Prozess, die Währungsunion zu erreichen. Man sollte aber die Zeit vor Maastricht nicht idealisieren. Es gab hitzige Diskussionen. Die Tatsache, dass heute drei Viertel der Bürger den Euro gutheißen, sagt doch viel aus. Sie sind zufrieden mit und sogar stolz auf ihre Währung. Wir haben also zusammen etwas erreicht!- Was schwebt Ihnen bei der Wirtschaftsunion vor?Wir brauchen stärkere wirtschaftliche Instrumente, um in der Lage zu sein, der nächsten Rezession ins Auge zu schauen. Der aktuelle Zyklus wird irgendwann enden, auch wenn er jetzt sehr robust ist. Ohne solche neuen Instrumente bleibt die Geldpolitik the only game in town. Wenn man also verhindern will, dass die Geldpolitik überfordert wird, muss man die Wirtschaftsunion stärken, Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Das muss jedem klar sein. Es gibt in Deutschland viele Sorgen, die ich verstehe. Es geht bei der Wirtschaftsunion aber nicht um Eurobonds. Es geht nicht um eine Transferunion. Es geht nicht um eine Vergemeinschaftung der Schulden. Wir müssen uns aber besser wappnen.- Was sind die Prioritäten?Das allerwichtigste bleiben Reformen auf der Ebene der Länder. Wenn mehr Integration als Ersatz für nötige nationale Reformen dienen sollte, wäre das völlig falsch. Der Hauptteil der Verantwortung wird auf nationaler Ebene bleiben. Wir werden nicht so weit gehen, dass es eine einheitliche Wirtschaftspolitik gibt. Es gibt aber Bereiche, in denen wir uns zusammen verbessern können.- Konkret?Der erste nötige Schritt ist eine “Finanzunion für Investitionen und Innovation” im Euroraum, für die ich bereits mit Bundesbankpräsident Jens Weidmann geworben habe. Im Euroraum haben wir jährlich einen Überschuss an Ersparnis von 350 Mrd. Euro. Zugleich haben wir in Schlüsselbereichen großen Investitionsbedarf – etwa bei der Digitalisierung oder der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen. Wir bringen aber die Ressourcen und den Bedarf nicht gut genug zusammen. Das Zweite ist eine bessere makroökonomische Koordinierung. Als ein Beispiel: Wenn Länder wie Frankreich mehr Reformen umsetzen, könnten Länder wie Deutschland einen Teil ihres inländischen Handlungsspielraums nutzen – sei es über höhere öffentliche Investitionen, höhere Löhne oder geringere Steuern für Haushalte. Und später, in der dritten Stufe, würde eine Form einer Haushaltskapazität für den Euroraum Sinn machen, um gemeinsame Projekte zu finanzieren. Da kommt die deutsche Angst über eine Transferunion ins Spiel.- Zu Unrecht, finden Sie?Es ginge bei einem solchen Budget nicht um Transfers, die immer in eine Richtung, von einem Land zu einem anderen, fließen. Es ginge um gemeinsame Güter, von denen alle profitieren, wie die Energiewende oder den Grenzschutz. Dieser dritte Schritt kann aber erst nach den beiden anderen kommen.- Griechenlands Finanzminister Euklid Tsakalotos hat jetzt wieder gesagt, ohne Euroland-Bonds und finanzielle Transfers werde die Währungsunion nicht funktionieren?Dem stimme ich nicht zu. Mit allem nötigen Respekt: Die entscheidende zu führende Diskussion ist die französisch-deutsche. Wie gesagt: Ich kann viele deutsche Vorbehalte verstehen. Lassen Sie uns aber die alten Verdächtigungen und die alten Klischees überwinden. Die Diskussion sollte nicht sein “deutsche Regeln” versus “französische Ausgaben”. Schauen Sie sich Frankreich an. Ich sage das als völlig unabhängiger Zentralbanker: Die neue Regierung meint es sehr ernst mit den Reformen und sie legt ein beeindruckendes Tempo vor. Das ist ein wichtiges neues Element: Deutschland hat in Frankreich jetzt einen verlässlichen Partner.- Das Problem scheint sich eher umgedreht zu haben: Frankreich reformiert und dringt auf Fortschritte in Europa – aber Deutschland tut sich mit der Regierungsbildung schwer und bremst.Ganz klar, nicht nur Deutschland, ganz Europa wird von einer stabilen Regierung in Deutschland profitieren. Für uns als Zentralbanker geht es aber primär um mögliche wirtschaftliche Konsequenzen politischer Risiken. Bislang haben wir in der Eurozone keine gesehen, im Gegensatz zu Großbritannien mit dem Brexit.- Aber mit Blick auf Euro-Reformen vergeudet Berlin Zeit, oder?Die vorläufige Vereinbarung der vergangenen Woche über eine proeuropäische große Koalition ist ein gutes Omen für die bevorstehenden intensiven französisch-deutschen und europäischen Diskussionen gewesen. Aber die nächsten Schritte in den kommenden Wochen hängen einzig von politischen Entscheidungen in Deutschland ab.- Aber auch in der deutschen Öffentlichkeit gibt es wenig Lust auf mehr fiskalische Integration.Deutschland profitiert vom Euro, sogar mehr als jedes andere Land. Wir müssen und wir können vernünftige Wege finden, die Wirtschaftsunion zu stärken, ohne dass das zu fiskalischer Lasterhaftigkeit führt.- Sie fordern mehr fiskalischen Stimulus in Deutschland. Die deutsche Wirtschaft ist aber bereits voll ausgelastet. Braucht es da wirklich noch mehr Stimulierung? Droht nicht eine Überhitzung?Das wird natürlich eine deutsche Entscheidung sein. Aber es gibt starke inländische Gründe dafür: Wenn man Vollbeschäftigung und einen hohen Leistungsbilanzüberschuss hat, ist der Druck für höhere Löhne nachvollziehbar. Und jeder weiß, dass die öffentlichen Investitionen in Deutschland niedrig sind. Der Fratzscher-Bericht 2015 hat gesagt, dass da dringender Nachholbedarf besteht.- Und die Gefahr der Überhitzung?Wir leben in einem offenen Binnenmarkt. Da macht es wenig Sinn, die Kapazität allein innerhalb der nationalen Grenzen zu beurteilen. Wenn es darum geht, in Deutschland Straßen oder Brücken zu bauen oder zu sanieren, ist das Risiko einer Überhitzung weiterhin begrenzt, weil es noch freie Kapazitäten auf europäischer Ebene gibt.- Sie haben das neue Reformtempo in Frankreich gelobt. Bei der Konsolidierung der Finanzen gibt es aber weniger Fortschritte.Auch bei den öffentlichen Finanzen gibt es Fortschritte: Im Jahr 2017 hat Frankreich erstmals seit zehn Jahren wieder die Maastricht-Defizitobergrenze von 3 % eingehalten.- Aber nur gerade so, mit 2,9 %.Ja, aber dennoch: Das Einhalten der 3-Prozent-Regel ist ein altes französisches Versprechen und die neue Regierung hat es erstmals eingehalten – und das in ihrem ersten Regierungsjahr. Aber es stimmt: Es muss mehr getan werden. Für eine weitere Reduzierung des Defizits ist eine nachhaltige Verlangsamung der öffentlichen Ausgaben entscheidend. Das ist sicher weniger populär, aber es muss getan werden.- Ein ganz anderes, aber ganz aktuelles Thema: Wie sehr besorgt Sie die Kursrally bei Bitcoin und anderen Kryptowährungen – etwa wenn es um die Finanzstabilität geht? Braucht es eine stärkere Regulierung des Markts?Blockchain ist eine vielversprechende Technologie. Aber Bitcoin ist in keiner Weise eine “Währung”. Es ist ein hoch spekulatives Asset. Eine Regulierung macht nur auf internationaler Ebene Sinn. Aber die potenziellen Risiken für die Finanzstabilität und noch mehr für die Geldwäschebekämpfung machen solch eine Regulierung immer wichtiger.- Wenn Sie die Kritik an der EZB in Deutschland sehen – glauben Sie, ein deutscher EZB-Präsident könnte die deutsche Öffentlichkeit wieder mit der EZB versöhnen?Die Unterstützung für den Euro liegt in Deutschland aktuell bei 81 %, noch höher als im Euroraum als Ganzes. Die EZB scheint also gar keinen so schlechten Job gemacht zu haben! Was Ihre Frage betrifft: Die EZB-Präsidentschaft ist aktuell kein Thema für Diskussionen. Wir haben einen exzellenten Präsidenten für die beiden kommenden Jahre.- Sie haben einmal gesagt, bei EU-Spitzenposten müsse nicht die Nationalität, sondern die Kompetenz entscheidend sein. Heißt das auch, ein Franzose sollte als Draghi-Nachfolger 2019 nicht allein deswegen ausscheiden, weil es schon einmal einen französischen EZB-Präsidenten gab?Was ich gesagt habe, war das Offensichtliche. Wir haben aber genug zu tun, um unser Mandat der Preisstabilität zu erfüllen und unseren Aufgaben bei der Finanzstabilität und der Bankenaufsicht gerecht zu werden. Wir müssen keine Zeit verschwenden mit Fragen, die aktuell nicht anstehen und die wir auch nicht zu entscheiden haben.—-Das Interview führte Mark Schrörs.