Ifo-Präsident Fuest startet entspannt
Von Joachim Herr, MünchenClemens Fuest (47) übernahm vor gut drei Wochen nicht nur die Leitung des Münchner Ifo-Instituts. Sein Vorgänger Hans-Werner Sinn (68) hinterließ ihm außer großen Fußstapfen einen Dienstwagen samt Fahrer. Nein, das Kennzeichen des dunklen Audi wurde nicht ausgetauscht: Schwarz auf weiß stehen da tatsächlich neben dem M die Buchstaben CF. Purer Zufall oder sind seine Initialen doch ein Indiz dafür, dass kein anderer als Clemens Fuest Sinns Nachfolger werden konnte?Und noch eine Frage stellt sich: Wie geht der Neue mit Vergleichen mit dem schier übergroßen Vorgänger um? Fuest wirkt entspannt – wohl im Vertrauen auf seine Reputation – und lässt sich erst gar nicht auf eine Gegenüberstellung ein. Er müsse niemandem mehr etwas beweisen, heißt es im Institut. Klar, allein die Liste seiner Auszeichnungen, Preise und Mitgliedschaften in Gremien auf der Ifo-Internetseite ist ziemlich lang.Zudem hat er sich spätestens als Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, das er von 2012 an bis zu seinem Wechsel nach München leitete, in der Riege der bekanntesten deutschen Ökonomen etabliert. In der Rangliste der Medienpräsenz lag er zuletzt schon auf dem dritten Platz. Vor ihm nur Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin – und an erster Stelle natürlich Hans-Werner Sinn. Mehr SteuerpolitikDrei Schwerpunkte nimmt sich Fuest als Ifo-Präsident vor: Steuerpolitik, Europa und Verteilungsfragen. “Die Steuerpolitik stand in den letzten Jahren im Ifo-Institut nicht so im Vordergrund”, sagte er jetzt im Club Wirtschaftspresse München. Dass sich das ändern soll, ist logisch. Das Thema ist die Forschungsdomäne des Finanzwissenschaftlers. Eine Revolution werde er freilich nicht ausrufen: “Das Ifo-Institut steht gut da.” Auch dank seines Vorgängers, der guten Vernetzung und der engen Zusammenarbeit mit der Ludwig-Maximilians-Universität in München.Fuest kommt sympathisch und gelassen rüber. In einer Videobotschaft an die Ifo-Mitarbeiter zu seinem Arbeitsbeginn wirkt er dagegen etwas steif. Ganz offensichtlich fühlt sich der Vater von drei Kindern in Gesellschaft wohler als allein vor einer Kamera. Auch zur Politik sucht Fuest die Nähe. “Das Einwirken auf öffentliche Debatten” zählt er schließlich zu den wichtigsten Aufgaben der Wirtschaftsforscher. In Meinungsverschiedenheiten verhält er sich diplomatischer als Sinn. Den Politikern Rat geben und demokratische Entscheidungen akzeptieren ist Fuests Leitlinie: “Wir leben ja nicht in einer Expertokratie.”Der Mindestlohn ist so ein Thema. “Ich bin kein großer Freund davon”, gibt er zu, ist aber eines der beiden beratenden Mitglieder in der Kommission, die Anpassungen des Mindestlohns empfiehlt. Fuest befürchtet, dass Deutschland in zehn Jahren dort landen könnte, wo Frankreich heute ist. Der Nachbarstaat gibt im Jahr 20 Mrd. Euro aus, um den Niedriglohnsektor zu subventionieren.Fuest vertritt klare Meinungen und beweist das von Sinn gelobte “Überblickswissen”. Das Spektrum ist weit. So steht für Fuest fest, dass der Flüchtlingszustrom nach Deutschland per saldo die Sozialkassen belasten wird. “Die Frage ist nur, wie stark.” Von einer Qualifizierung der Asylsuchenden dürfe nichts Unrealistisches erwartet werden. Dafür hätten die Schulsysteme der Herkunftsländer zu große Mängel. Abschied des VorgängersDie Europäische Zentralbank ist nach Fuests Ansicht mit ihren jüngsten expansiven Schritten über das Ziel hinausgeschossen. Und im Fall eines Austritts von Großbritannien erkennt er eine Gefahr für den “Freihandelsblock” in der EU. Denn dann bliebe diese Gruppe mit Deutschland, den Niederlanden, Schweden und dem Baltikum im Europäischen Rat knapp unter der Sperrminorität von 35 %.Fuest bringt die Themen schnell und mit eindeutiger Botschaft auf den Punkt. Da gleicht er Sinn. Am nächsten Donnerstag treten beide auf der Jahresversammlung des Ifo-Instituts auf. Sie findet zwei Monate früher statt als sonst. Abgestimmt wird über die Entlastung des Vereinsvorstands Hans-Werner Sinn. Nach zahlreichen Abschiedsveranstaltungen will er nun offenbar zügig das Feld ganz seinem Nachfolger überlassen.