ANSICHTSSACHE

Im Geld- und Finanzsystem ist der Reset-Knopf zu drücken

Börsen-Zeitung, 30.8.2013 Ist die Euro-Krise tatsächlich vorbei? In Anbetracht der verheerenden Rezession in vielen Ländern der Eurozone, der extremen Arbeitslosigkeit sowie der sicheren Aussicht auf einen weiteren Schuldenschnitt mindestens für...

Im Geld- und Finanzsystem ist der Reset-Knopf zu drücken

Ist die Euro-Krise tatsächlich vorbei? In Anbetracht der verheerenden Rezession in vielen Ländern der Eurozone, der extremen Arbeitslosigkeit sowie der sicheren Aussicht auf einen weiteren Schuldenschnitt mindestens für Griechenland wäre eine solche Auffassung geradezu grotesk. Allerdings haben viele den Ursprung des Desasters aus dem Blick verloren: den nach wie vor kaum regulierten Finanzsektor.Ein Rückblick auf die Entwicklung in den USA verdeutlicht, um was es geht. Das Verhältnis zwischen Verschuldung und Wirtschaftsleistung blieb dort drei Jahrzehnte lang, zwischen 1950 und 1980, nahezu unverändert. Erst mit Beginn der Amtszeit Ronald Reagans 1981 begannen die Schulden sehr viel schneller zu wachsen als die reale Wirtschaft.In der Konsequenz hat sich der Quotient aus Gesamtverschuldung und Bruttoinlandsprodukt mehr als verdoppelt. Kurz vor dem Platzen der Immobilienblase 2007 erreichte er einen vorläufigen Höhepunkt. Die zunehmend lässigere Kreditvergabe ging zeitlich einher mit dem Anfang der 1980er Jahre beginnenden Trend hin zu Kreditverbriefungen, dem zunehmenden Handel mit Derivaten und der wachsenden Bedeutung der Schattenbanken. Ohne diese “Finanzinnovationen” wäre der starke Anstieg der Verschuldung nicht möglich gewesen. Die im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ständig wachsende Kreditpyramide beruhte zu erheblichen Teilen darauf, dass Zins und Tilgung alter Kredite mit immer neuen Krediten beglichen wurden. Ein solches System funktioniert nur, solange das Kreditvolumen exponentiell wächst. Irgendwann musste die Illusion, dass überproportional wachsende Schulden grenzenlos bedient werden können, an der Realität zerplatzen.Seit Ausbruch der Immobilienkrise 2007 hat sich die Schuldenlast auf den Schultern der amerikanischen Familien aber nur geringfügig verringert. Zum Vergleich: Nach dem Platzen der Immobilienblase in Schweden Ende der 1980er Jahre sank die Verschuldung der privaten Haushalte dort im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung um rund 40 Prozentpunkte. Die amerikanischen Haushalte haben gerade mal ein Deleveraging von ungefähr der Hälfte erreicht, die spanischen sogar von nur einem Viertel. Gleichzeitig hat sich in fast allen Ländern die Verschuldung des Staates erhöht. Im Ergebnis wächst die gesamtwirtschaftliche Verschuldung in Europa nach wie vor deutlich schneller als die Wirtschaft. Fehlerhafte BankenrettungEin wichtiger Grund dafür ist, dass die öffentliche Hand marode Banken mit Steuergeldern saniert hat, statt Eigentümer und Gläubiger in Haftung zu nehmen. In Deutschland sind die Staatsschulden seit dem Ausbruch der Finanzkrise allein durch die Bankenrettungspolitik um rund 360 Mrd. Euro gestiegen. Dies macht immerhin jeden sechsten Euro der seit 1949 angehäuften Staatsschulden aus.Weltweit sorgen die großen Zentralbanken dafür, dass die Kreditberge durch aggressive Niedrigzinspolitik und unkonventionelle Sondermaßnahmen, wie dem Aufkauf von Anleihen – dem Quantitative Easing – stabilisiert werden. Ein unkontrolliertes Platzen der Kreditblase wurde so zunächst verhindert. Der Preis dafür sind negative Realzinsen für den Normalsparer und eine Entwertung seiner Sparguthaben und Lebensversicherungen. Die Rückkehr zu einem stabilen wirtschaftlichen Wachstumspfad auf Vorkrisenniveau ist mit der Feuerwehrpolitik der Zentralbanken nicht zu erreichen. Vielmehr drohen so wie in Japan Jahrzehnte der Stagnation.Wenn die Krise und deren negative Folgen für Wirtschaftswachstum und Menschen nachhaltig überwunden werden sollen, müssen zwei Dinge geschehen: Erstens müssen die gesamtwirtschaftlichen Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung wieder auf ein tragfähiges Niveau reduziert werden. Dies ist durch eine kombinierte Anwendung aus Schuldenschnitt, Gläubigerhaftung und – für die bereits aufgelaufenen öffentlichen Kosten – einer einmaligen Abgabe auf Vermögen ab 1 Mill. Euro möglich. Wer Schulden reduzieren will, muss auch Vermögen reduzieren. Es gibt keinen anderen Weg. Geldschöpfung in StaatshandZweitens muss der Geldschöpfungsprozess wieder öffentlich kontrolliert werden. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde von den meisten Ökonomen anerkannt, dass das Geldschöpfungsmonopol in staatliche Hand gehört und nicht privaten Banken überlassen werden sollte. Diese Auffassung, die von den Theoretikern des Ordoliberalismus wie Walter Eucken ausdrücklich unterstützt wurde, wird seit Jahren politisch ignoriert. Heute findet Geldschöpfung fast ausschließlich als Kreditgeldschöpfung privater Banken statt, denn Bargeld – das Monopol der Notenbanken – spielt mittlerweile eine vernachlässigbare Rolle. Das Problem bei diesem System ist nicht allein, dass die öffentliche Hand den Geldschöpfungsgewinn so privaten Banken überlässt. Vielmehr existieren dadurch massive Anreize für die Banken, das Kreditvolumen immer weiter zu vergrößern und Kredite direkt in den spekulativen Kreislauf einzuspeisen. So werden immer größere Blasen auf den Vermögensmärkten produziert, die irgendwann platzen müssen. Mit den Basel-Regeln hat die Politik diese Fehlentwicklung zusätzlich bestärkt. Immerhin ist es für eine Bank bis heute billiger, einem Finanzinvestor mit gutem Rating eine spekulative Anlage zu finanzieren als einem Mittelständler per Kredit den Kauf einer Maschine zu ermöglichen. Ein Bankensystem mit solchen Prioritäten wird zwangsläufig immer neue Crashs produzieren.Wenn ein System nicht mehr funktioniert, dann muss der Reset-Knopf gedrückt werden. Das gilt auch für das Geld- und Finanzsystem.——–Sahra Wagenknecht gehört zum achtköpfigen Spitzenteam der Partei “Die Linke” für den Bundestagswahlkampf 2013.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft. Bis zur Bundestagswahl am 22. September erscheinen an dieser Stelle Gastkommentare von Spitzenpolitikern der kandidierenden Parteien.——–Von Sahra WagenknechtWer zur Krisenbewältigung Schulden reduzieren will, muss auch Vermögen reduzieren. Es gibt keinen anderen Weg.——-