DIE EINIGUNG IN BRÜSSEL

Image-GAU der Bundesregierung

Die Verhandlungen mit Athen haben Deutschlands Ansehen beschädigt

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Von Stephan Lorz, FrankfurtDie Eurozone ist (vorerst) gerettet, und Griechenland kann wohl auf weitere Hilfen zählen, die Umstände, die zu dieser Einigung Montag früh geführt haben, lässt aber einen klaren Verlierer vom Platz gehen: Deutschland. Nicht im Hinblick auf die ökonomischen Interessen des Landes, die hat Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in weiten Teilen durchsetzen können, sondern was das Ansehen des Landes angeht, sein Image. “Europas Werte werden verraten”, twitterte etwa der Europaabgeordnete Sven Giegold (Grüne), er spricht von “Fremdverwaltung” und dem “Ende der Demokratie!” Und die Schuldfrage hält er auch schon für geklärt: Die große Koalition in Deutschland zerstöre die Einheit Europas.Andere Kommentatoren finden noch viel extremere Vergleiche. Das Vorgehen der Bundesregierung erinnert viele Twitterer und Blogger bisweilen mit Hitler- und Mafia-Methoden. Der schwächere Gegner solle mundtot gemacht und gedemütigt werden. Von einem “Staatsstreich” ist mit Blick auf Deutschland die Rede. Man wolle die griechische Regierung loswerden. Manche werfen Berlin gar vor, ein “4. Reich’ aufbauen zu wollen. Die Äußerungen im Netz näherten sich im Laufe des Sonntags und Montag metaphorisch immer weiter der Frontberichterstattung aus dem Krieg, wobei ganz klar herausgearbeitet wird, wer der Aggressor ist: Deutschland. Hasswelle im NetzDemgegenüber erscheint Griechenland als das arme Opfer, ein Land, das von den Gläubigern ausgepresst und von Knobelbecher-Deutschland unterjocht wird. Unter dem Hashtag #ThisIsACoup werden die Kommentare hierzu gesammelt. Die – wenigen – die Lage differenzierenden Zwischenrufe gehen in der aufbrandenden Hasswelle nahezu unter. Hinweise, dass Athen mit seiner Referendumspolitik, eine Einigung zunächst ja selber torpediert und Geld ohne jede Auflagen von den Steuerzahlern der anderen Euroländer gefordert hatte, werden weggewischt. Der Hinweis, dass Athen durch sein Verhalten jedwedes Vertrauen verloren und die eigene Glaubwürdigkeit diskreditiert habe, wird unter den Tisch gekehrt. Und dass die Politiker der Gläubigerländer bei neuen Finanzhilfen für Athen gegenüber ihren Bürgern schließlich auch Rechenschaft schuldig sind und deshalb darauf drängen, dass Athen das Geld nicht wieder verjubelt, gelten als Störenfriede. “Wenn Griechenland Nein sagt, ist das Demokratie. Aber wenn die Nordeuropäer das tun, ist das gleich ein Staatsstreich”, zeigt sich eine Twitternutzerin erstaunt.Zwar ist das Twitter- und Bloggeruniversum nur ein Teil der realen öffentlichen Debatte, doch wird hier besonders rücksichtslos auf andere eingedroschen, vielfach mit dem Hintergedanken, durch extreme Analogien und überspitzte Formulierungen schlicht aufzufallen. Und weil sich auf 140 Zeichen bei Twitter kaum eine differenzierte Argumentation aufbauen lässt, müssen Schlagworte herhalten, um die eigene Gemütslage zu konturieren.Das Problem: Mit der immer größeren Bedeutung der sozialen Medien hinterlassen die digital rasant vervielfachten Meinungsäußerungen einen bleibenden Eindruck und sind in der Lage, die Stimmung insgesamt zu beeinflussen. Deutschland eignet sich auch deshalb ganz gut als Hassobjekt etwa wegen seiner kriegerischen Vergangenheit und seinen zahllosen Verbrechen gerade im Hinblick auf Griechenland. Aber auch, weil die Regierung in Missachtung des Einflusses der sozialen Medien zuletzt unglücklich agiert hat, wie die Veröffentlichung des als “Schäuble-Papier” bezeichneten Vorschlags eines “Teilzeit-Grexits” zeigt.