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Impfen lassen ist erste Bürgerpflicht

Börsen-Zeitung, 16.1.2021 Jeder Pommesbuden-Betreiber muss für sich und seine Mitarbeiter ein Gesundheitszeugnis vorlegen, sonst drohen bis zu 25 000 Euro Bußgeld, jede Arzthelferin oder Kindergärtnerin muss Immunität gegen Masern nachweisen oder...

Impfen lassen ist erste Bürgerpflicht

Jeder Pommesbuden-Betreiber muss für sich und seine Mitarbeiter ein Gesundheitszeugnis vorlegen, sonst drohen bis zu 25 000 Euro Bußgeld, jede Arzthelferin oder Kindergärtnerin muss Immunität gegen Masern nachweisen oder sich dagegen impfen lassen. Doch wenn von einer Impfpflicht für Pflegekräfte gegen die Seuche Covid-19 die Rede ist, die allein in Deutschland bisher mehr als 45 000 Menschen dahingerafft hat, geht ein Aufschrei durch die Republik. Die Impfheuchelei hierzulande könnte kaum größer sein: Oft dieselben Personen und Organisationen, die sich über Impfchaos und fehlendes Material aufregen, lehnen Impfungen für sich selbst oder als Pflicht für ihre Berufsgruppe ab. Impfmuffel in der PflegeLaut Umfragen von Organisationen wie der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) wollen bis zu 50 % der Pflegekräfte und bis zu 25 % der Ärzte – je nach Einrichtung – die sofortige Impfung gegen Covid-19 verweigern. Als Begründungen werden vor allem unzureichendes Wissen über Nebenwirkungen und fehlende Erfahrungen hinsichtlich möglicher Langzeitfolgen angeführt. Beides muss man als vorgeschobene Argumente werten, mit denen am Ende jeder medizinische Fortschritt torpediert werden könnte.Es liegt in der Natur der Sache, dass für neue Impfstoffe und Medikamente gegen neue Krankheiten und Infektionen noch keine Langzeitdaten verfügbar sind. Da hilft auch nicht vermehrte Aufklärung, auf die nun die Bundesregierung mit Gesundheitsminister Jens Spahn an der Spitze setzt. Wer seine Informationen lieber vom Hörensagen und aus den Gerüchteküchen der Social Media bezieht, wird den Aussagen beispielsweise eines Paul-Ehrlich-Instituts auch dann nicht glauben, wenn sie ausführlicher, häufiger und lauter verkündet werden. Selbst eine noch so intensive Informationskampagne wird außerdem weder Alten- und Krankenpfleger noch Allgemeinmediziner in die Lage versetzen, die neuen gentechnischen Impfstoffe von Biontech/Pfizer oder Moderna in ihren Wirkungen tatsächlich erfassen und sie hinsichtlich Nutzen und Risiko bewerten zu können. Dafür gibt es Fachleute und einschlägige Gremien wie die Ständige Impfkommission sowie aufwändige, an der Produktsicherheit orientierte Zulassungsverfahren – jedenfalls in der EU. Pflicht der ArbeitgeberPflegekräfte und Ärzte, die sich der Impfung verweigern und damit zum Risiko für jene werden, deren Wohlergehen und Gesundheit sie bewahren wollen und sollen, haben ihren Beruf verfehlt. Wer als Arbeitgeber bei impfunwilligen Angestellten wegen des allgemeinen Personalmangels beide Augen zudrückt, macht sich strafbar. Nicht nur aus ethischen Gründen, auch aufgrund des Infektionsschutzgesetzes muss alles unternommen werden, um eine Weiterverbreitung von Krankheitserregern zu verhindern. Dazu gehört das Impfen, wenn ein wirksamer und zugelassener Impfstoff verfügbar ist. Ohne konsequentes Durchimpfen der Gesellschaft bleibt die angestrebte Herdenimmunität ein frommer Wunsch, kehrt das Virus schneller in mutierter Form zurück als die Impfungen das überforderte Gesundheitssystem entlasten können. Anstatt mit immer schärferen Varianten von Lockdown und ebenso hilflosen wie unkontrollierbaren Verhaltensvorschriften wie dem 15-Kilometer-Bewegungsradius das einst vorhandene Vertrauen der Bürger ins Krisenmanagement der Regierenden weiter zu beschädigen und zu verspielen, sollte man sich auf die Hotspots der Pandemie fokussieren. Wer in Altenheimen, Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen arbeitet, stellt für die dort betreuten Menschen aufgrund seiner berufsbedingten Kontakte ein hohes Krankheitsrisiko dar und muss der Impfpflicht unterworfen werden. Wem dieser Eingriff in die persönliche Freiheit zu weit geht, hat die Freiheit, sich eine andere Arbeit zu suchen.Bei allem Respekt, den gerade in der Altenpflege arbeitende Menschen für ihren oft überdurchschnittlichen Einsatz verdienen: Die zu Pflegenden und die Kranken bezahlen schließlich für die Leistung, von ausgebildeten Fachleuten gepflegt und vor Krankheit so geschützt zu werden, wie das medizinisch möglich und wirtschaftlich darstellbar ist. Die Betreuung von Alten und die Behandlung von Kranken sind heute nicht mehr Akte der Nächstenliebe, sondern professionelle Dienstleistungen mit berechtigten Ansprüchen an Qualität und Sicherheit.Eine ganz andere Frage ist, ob es eine Impfpflicht für die ganze Gesellschaft geben sollte. Ein solch gravierender Eingriff in die Freiheitsrechte ist trotz der schrecklichen Pandemie schwer zu vertreten und zudem nicht nötig. Die gewünschte hohe Impfrate lässt sich auch durch entsprechende Anreize erreichen. Zum Beispiel könnte die Nutzung bestimmter Einrichtungen wie auch von Transportmitteln, die Teilnahme an öffentlichen und privaten Veranstaltungen und an anderen mit engem Kontakt zu Mitmenschen verbundenen Anlässen an einen Impfnachweis gekoppelt werden. Für Geimpfte könnte es bei Kranken- und Lebensversicherungen aufgrund des besseren Risikos günstigere Tarife geben. Und auch Arbeitgeber könnten, weil dies krankheitsbedingte Fehlzeiten reduzierte, das Impfen der Mitarbeiter finanziell belohnen. Solidarität in der PraxisSeit dem Ausbruch der Pandemie ist viel von Solidarität die Rede. Von der Solidarität der Jungen mit den Alten. Von der Solidarität der Besitzer sicherer Jobs und stabiler Einkommen mit den von der Pandemie schwer Getroffenen und in ihrer wirtschaftlichen Existenz Bedrohten. Aber Solidarität ist keine Einbahnstraße. Sie lebt davon, dass alle mitmachen. Vom Pommesbuden-Betreiber bis zum Altenpfleger. Solidarität in Coronazeiten heißt auch, dass man sich gegen das Virus impfen lässt, sobald man nach Vorgabe der Fachleute an der Reihe ist. Sich gegen Covid-19 impfen zu lassen, ist in der Pandemie erste Bürgerpflicht. – c.doering@boersen-zeitung.de——Von Claus DöringFür Pflegekräfte und medizinisches Personal sollte es eine Impfpflicht geben. Die Patienten haben Anspruch auf Qualität und Sicherheit. ——