IM INTERVIEW: SONAL DESAI

"In den Vereinigten Staaten werden die Zinsen steigen"

Die Anlagechefin der Franklin Templeton Fixed Income Group über die US-Wirtschaft, den Handelsstreit mit China und Hunde, die nicht bellen

"In den Vereinigten Staaten werden die Zinsen steigen"

Sonal Desai geht davon aus, dass die Märkte derzeit eine zu pessimistische Einschätzung der US-Wirtschaft pflegen. Wirtschaft und Politik müssten getrennt voneinander betrachtet werden, sagt die gebürtige Inderin, die beim Assetmanager Franklin Templeton für 125 Mrd. Dollar verantwortlich ist. Frau Desai, Donald Trump sorgt für Verwirrung in Europa. Geht es der US-Wirtschaft wirklich so schlecht, dass der Leitzins gesenkt werden muss?Die Verwirrung beschränkt sich nicht auf Europa. Die Märkte sind auch anderswo sehr pessimistisch, wenn es um den Zustand der US-Wirtschaft geht. Wir haben ganz am Anfang des Jahres gesagt, dass wir das anders sehen. Die Daten deuten auf ein Wachstum von mehr als 3% im ersten Quartal hin. Damit wäre es eines der besten Auftaktquartale im vergangenen Jahrzehnt. Wenn das zweite Quartal wie so oft in den vergangenen Jahren besser als erwartet ausfällt, könnte das Wachstum in diesem Jahr positiv überraschen. Liegen die Märkte falsch?Die Reaktion auf die Statements der Fed war etwas zu dramatisch. Es ist wirklich dringend nötig, Wirtschaft und Politik voneinander getrennt zu betrachten, nicht nur in den Vereinigten Staaten. In Großbritannien scheint das momentan ziemlich schwer zu sein.In Großbritannien, Italien und vielen anderen Ländern. Die Marktteilnehmer haben sich stark daran gewöhnt, dass die US-Notenbank einschreitet, um sie herauszuhauen, und diese Fed hat das im Januar erneut getan. Ich denke, das war ein Fehler, weil man dadurch Volatilität im ersten Quartal vermieden hat, aber Volatilität zu einem späteren Zeitpunkt bekommen wird. Wenn wir ein paar Monate in die Zukunft blicken, wird die Arbeitslosigkeit voraussichtlich auf ein Rekordtief zurückgehen. Und die Inflation ist in den USA derzeit zwar nicht sehr hoch, aber sie ist auch nicht besonders niedrig. Aber wo geht es hin?Alles in allem würde ich sagen, dass sich sowohl Wachstum als auch die Inflation eher nach oben als nach unten bewegen werden. Vor diesem Hintergrund überschätzen die Märkte die Wahrscheinlichkeit, dass die Fed die Zinsen nicht weiter erhöhen wird. Die Latte liegt ziemlich hoch, aber das Wachstum liegt über Potenzial, wir haben mehr als Vollbeschäftigung und die Inflation bewegt sich nahe dem Zielwert. Statt über fallende Zinsen nachzudenken, sollte man sich lieber fragen, warum sie nicht steigen. Woher soll die Inflation herkommen?Vom Arbeitsmarkt. Die Löhne im Einzelhandel sind bereits um die 5 % gestiegen, die Löhne insgesamt um 3,4 %. Wenn ich mir das alles ansehe, von der Einwanderungspolitik bis hin zum Verhältnis von Neueinstellungen und offenen Stellen, deutet alles darauf hin, dass die Löhne in bestimmten Bereichen weiter steigen werden. Wenn ich weiter nach vorne blicke, gibt es Gründe, warum sich meine Einschätzung ändern könnte. Und die wären?Der politische Zyklus in den USA ist sehr lang. Die Wahlen sind im November 2020. Aber schon im Herbst werden die Leute ihre Aufmerksamkeit darauf richten, wer die möglichen Kandidaten sein werden. Mehrere von ihnen haben politische Vorstellungen, die sich auf die Märkte auswirken würden, sollten sie als Spitzenkandidat antreten. Auch auf die neue Geldpolitik?Meine Güte, da gibt es sozialpolitische Programme, die überhaupt nicht gegenfinanziert sind. Der eine will einen Schuldenerlass für Studentenkredite, der andere kostenlosen Zugang zu den Universitäten für alle. Nun ist eine Universitätsausbildung in Europa und vielen anderen Teilen der Welt nicht besonders teuer, in den Vereinigten Staaten aber schon. Wenn so etwas allen kostenlos zur Verfügung stehen soll, muss irgendwer dafür bezahlen. Ob es sich um das richtige oder falsche Modell handelt, ist eine andere Frage. Aber wenn man will, dass etwas, das Geld kostet, umsonst sein soll, muss man irgendwie dafür bezahlen, höchstwahrscheinlich mit höheren Steuern. Wenn ich mir die verschiedenen Faktoren so ansehe, hatte die Unternehmenssteuerreform wohl den größten positiven Einfluss auf das reale Wirtschaftswachstum und die Konjunkturdaten. Hat man in den USA denn großen Appetit auf sozialdemokratische Reformideen?Ich bin auf das Ergebnis der nächsten Wahl sehr gespannt. Die US-Nachrichtenmedien haben sich vor allem an den Küsten angesiedelt, insbesondere im Nordosten und im Südwesten. Das sind traditionell sozialdemokratisch geprägte Regionen. Wenn ich Kunden in anderen Teilen des Landes besuche, haben sie deutlich weniger Interesse an den Themen, die ständig in den Medien sind. Die breitesten Umfragen, die es so gibt, zeigen immer noch, dass es unter Demokraten wie Republikanern nur begrenzte Unterstützung für eine enorme Ausweitung der Ausgaben für Sozialprogramme gibt. Das amerikanische Denken unterscheidet sich immer noch von dem in weiten Teilen Europas. Ein weiteres großes Thema sind die Beziehungen zu China. Wird es eine Einigung geben?Ich glaube, dass sich eine echte Lösung als sehr schwierig erweisen wird. Es wird wohl keine permanenten Zölle in Höhe von 25 % auf alle Einfuhren geben. Eine neue umfassende Übereinkunft zum bilateralen Handel, die keine Seite früher oder später neu verhandeln will, ist aber auch unwahrscheinlich. Da muss man die Augen offenhalten. Die Demokraten sprechen sämtlich nicht über den Außenhandel. Warum nicht?Das liegt daran, dass sie im Vergleich zu den Republikanern noch protektionistischer sind. Trump macht sich irrtümlicherweise Sorgen um Dinge wie die Handelsbilanz statt um Fragen wie den Schutz geistigen Eigentums, die mit Blick auf China aufgeworfen werden müssen. Aus meiner Sicht hat kein US-Präsident den Schutz geistigen Eigentums in China erfolgreich eingefordert, obwohl es viele versucht haben. Aber China hat zuletzt mehr Zugeständnisse gemacht als je zuvor, was darauf hindeutet, dass die Geduld weltweit stark nachgelassen hat. In der Eurozone wird es vielleicht etwas diplomatischer formuliert. Aber kaum jemand wird widersprechen, dass China global ein viel besserer Teamplayer werden muss. Vielleicht ist die Exportabhängigkeit Europas, insbesondere Deutschlands, auch größer.Jedes Land, das von einem großen Handelsüberschuss abhängig ist, legt die Macht unvermeidlicherweise in die Hände der Gegenpartei – auch wenn ein Handelsüberschuss eigentlich eine Quelle der Stärke ist. Denn die Abnehmer haben die Wahl. Die Vereinigten Staaten, die immer Handelsdefizite aufgewiesen haben, sind in der Lage, aus einer Position der Stärke zu verhandeln. Sie können auf völlig unvernünftige Dinge bestehen, weil die Gegenpartei als exportierendes Land mehr zu verlieren hat. Und die Frage der geistigen Eigentumsrechte ist kompliziert. In welcher Hinsicht?Alle großen Firmen, die ein Joint Venture mit einem chinesischen Partner eingehen, stellen fest, das geistiges Eigentum legal oder illegal an diesen Partner übertragen wird. Das dürfte für ein Unternehmen wie Siemens ebenso gelten wie für ein amerikanisches Unternehmen wie General Electric. Und irgendwann brauchen die Chinesen beide nicht mehr. Wir haben das im Schlussquartal 2018 gesehen, als viele darüber erschraken, dass der Absatz von Apple in der Volksrepublik gesunken war. Für mich war das überhaupt keine Überraschung, weil das ein substituierbares Produkt ist. China geht es seit langem darum, Produkte mit größerer Wertschöpfung herzustellen. Und dann gibt es noch ein starkes Element von Nationalismus.Natürlich gibt es das! Man würde nicht die amerikanische Marke kaufen, wenn es auch eine einheimische gibt.Ja, das macht einen Teil davon aus. Man muss aber auch klar erkennen, dass es, sobald die Handys so gut sind wie die von Apple, konzertierte Anstrengungen geben wird, mehr Käufer in Richtung heimische Produkte zu lenken. Elektroautos sind auch ein gutes Beispiel.Genau, und ich denke, dass es auch in Deutschland Leute gibt, die mit Blick auf die nahezu symbiotische Beziehung zu China eine Diversifizierung der Exportbasis für dringend erforderlich halten. Es wird bestimmte Luxusgüter geben, ein Porsche etwa oder italienische Modemarken, die in der Volksrepublik immer gefragt sein werden. Aber alles andere, das hat Präsident Xi in seinem Programm für 2025 klargemacht, wird künftig in China hergestellt – nicht in Deutschland. Es gibt zwar das Lippenbekenntnis dazu, keinen Handelskrieg zu wollen. Aber die chinesische Führung ist sich sehr bewusst, dass sich die Welt mittel- bis langfristig von Globalisierung und offenen Grenzen wegbewegt und hin zum Re-Shoring der ausgelagerten Produktion. Sind die chinesischen Stimuli nicht geradezu maßgeschneidert, um die US-Strafzölle auszugleichen?Das denke ich auch. Und nach dieser langen Phase der handelspolitischen Spannungen wird China weitaus vorsichtiger sein, auch wenn Deutschland eine versöhnliche Herangehensweise pflegt. Der Führung ist klar geworden, dass solche Dinge in westlichen Demokratien vorkommen können, und sie weiß nicht, wo neue Probleme auftreten werden. Wird sich das auf den Welthandel auswirken?Der Welthandel ist ja bereits zurückgegangen, aber es sieht so aus, als wäre die Abhängigkeit des Wachstums der Weltwirtschaft vom Welthandel weniger stark. Wenn sie noch so groß wäre wie vor einem Jahrzehnt, hätte sich das Wachstum mindestens halbiert. Es ist aber nahezu unverändert. Warum ist das so?Die Beschaffungsketten haben sich verändert, sie sind regionaler geworden. Hinzu kommt der intraregionale Handel. Asien handelt mit Asien. Ein Großteil der Handelsströme wird nicht erfasst. Und was die handelspolitischen Spannungen betrifft, seit Trump Präsident geworden ist, wird davor gewarnt, dass seine Handelspolitik das Wachstum der Weltwirtschaft einbrechen lassen wird. Der IWF erzählt das, ich lese es ständig in den Zeitungen: Der Welthandel wird einbrechen, das Wachstum kollabieren, die Märkte in sich zusammenfallen. Nichts davon ist passiert. Es ist wie mit dem Hund, der nicht bellte. So wie mit dem Brexit?In diesem Fall ist es für mich viel leichter zu verstehen, warum nichts geschehen ist. Es ist vielleicht eine große Vereinfachung, aber am Ende ist der Brexit nichts weiter als ein Handelskonflikt zwischen einem mittelgroßen entwickelten Land und seinem wesentlich größeren Handelspartner. Und man darf mit Sicherheit annehmen, dass so ein Konflikt unverhältnismäßig größere Auswirkungen für die kleinere Partei haben wird. Ich schaue von außen auf das Thema, aber mir ist aufgefallen, dass in der britischen Presse immer so berichtet wurde, als könnte Großbritannien aus einer Position der Stärke verhandeln. Das kann es aber nicht. Mir ist das klar geworden, nachdem der Brexit in den auf das Referendum folgenden Wahlen weder in Frankreich noch in Deutschland oder Italien eine Rolle spielte. War es nicht sehr beliebt, die Verbindung vom Brexit-Votum zur Wahl von Trump zu ziehen und vor der Machtergreifung der radikalen Rechten zu warnen?Das ist ein beliebtes Argument, es hat aber nur begrenzte… ich will nicht sagen Gültigkeit. Ja, es gibt Populismus. Das kommt vor. Populismus ist doch das Herz der amerikanischen Politik.Deutschland ist eher die Ausnahme. Wenn ich mir ansehe, was in Frankreich passiert, gibt sich Macron zwar Mühe, aber die Bevölkerung ist populistisch. Wenn man sieht, was in Spanien oder Italien geschieht… Ich würde zwischen zwei Arten von Populismus unterscheiden, einem sozialen und einem wirtschaftlichen. Den Streit um die Zuwanderung in Italien würde ich als sozialen Populismus einstufen. Weshalb?Italien hatte Grund zur Sorge, dass der Rest Europas nicht helfen würde, mit den Zuwanderern umzugehen, die übers Meer kamen. Salvini hat das aufgegriffen und damit Erfolg gehabt. Den meisten populistischen Ideen liegt ein Körnchen Wahrheit zugrunde. In diesem Fall hätte Italien mehr Unterstützung benötigt. Wie bewerten Sie dann die Zuwanderungsdebatte, die in Großbritannien vor dem Referendum stattgefunden hat?Ich glaube, dass das Ergebnis anders ausgefallen wäre, wenn die Volksabstimmung einen Monat vor Angela Merkels Entscheidung für eine Politik der offenen Tür stattgefunden hätte. Hinterher weiß man immer alles besser. Jeder kann sich darauf einigen, dass David Cameron einen großen Fehler gemacht hat, als er das Referendum angesetzt hat. Andererseits lag niemand besonders viel an dem Thema. Es war eine parteiinterne Angelegenheit der Konservativen, sonst hat es keinen groß interessiert. Und dann kam die deutsche Willkommenspolitik. Diese Zuwanderer kamen zwar nicht unmittelbar nach Großbritannien. Aber die öffentliche Debatte kam dadurch in Schwung. In Italien war es ähnlich. In Großbritannien sind die Löhne in manchen Gegenden gesunken…Aber über einen sehr langen Zeitraum hinweg. Es gab direkte Lohnkonkurrenz durch Zuwanderer aus der EU, Fahrer etwa, die von geschäftstüchtigen Spediteuren in Wohnheimen untergebracht wurden.So kann man ex post versuchen, einen rationalen Grund für das Ergebnis des Referendums zu finden. Aber ich würde sagen, dass es eines sehr sichtbaren Ereignisses als Auslöser bedurfte. Auf niedrigem Niveau sind Menschen in aller Welt über Zuwanderung nicht glücklich. Aber durch Merkels Entscheidung wurde vielen erstmals deutlich, dass sich die Kontrolle über die Zuwanderungspolitik nicht in den Händen Großbritanniens, sondern in denen der EU befindet. Plötzlich wollte einem jemand in Brüssel vorschreiben, wie viele Leute man aufnehmen muss. Es gibt auch dieses Element, dass die Eliten nicht zuhören. Man kann zwar ablehnen, was viele Leute empfinden. Aber man muss ihnen schon abnehmen, dass sie es so fühlen. Hätte man es besser machen können?Es ist auch eine Frage der Vermittlung. Die EU hat die Vorteile der Mitgliedschaft nicht besonders gut erklärt. Sie hat es Populisten leicht gemacht, sie zum Bösewicht zu erklären. Wenn man die Daten und Fakten kennt, weiß man, dass in Italien das Problem nicht in einer von der EU auferlegten Sparpolitik besteht. Das Problem ist der Mangel an strukturellen Reformen, der dem Wachstum im Wege steht. In Frankreich ist es ähnlich. Dort braucht man keine Senkung des Rentenalters, sondern strukturelle Reformen. Und Deutschland?Deutschland war eine der wenigen Ausnahmen, weil dort die Wirtschaft wirklich funktionierte. Deshalb habe ich die Entscheidung Merkels wirklich bedauert. Aus menschlicher Sicht kann ich ihr Mitgefühl zwar verstehen. Aber aus staatsmännischer Sicht war die Entscheidung ein Fehler. Sie war nicht vorausschauend genug. Sie berücksichtigte nicht, dass die EU noch nicht bereit war.Merkel hat die Eurozone zusammengehalten. Sie hat in der Euro-Schuldenkrise enorm unpopuläre Maßnahmen ergriffen und damit Erfolg gehabt. Meine Sorge ist, dass ihr Bild in der Öffentlichkeit in fünf oder zehn Jahren von dieser Entscheidung, die sich im Nachhinein als dramatisch erwies, geprägt wird, so wie man sich an David Cameron wegen der Entscheidung für das EU-Referendum erinnern wird. Wir sind uns vermutlich alle einig, dass Europa mehr Zuwanderung braucht. Zurück zum Kapitalmarkt: China hält in großem Umfang US-Treasuries. Könnte Peking sie benutzen, um Druck zu machen?Jedes Mal, wenn es zwischen Peking und Washington zu Spannungen kommt, wird dieses Argument herausgezogen. Die Reserven der Volksrepublik belaufen sich auf mehr als 3 Bill. Dollar, größtenteils Treasuries und Hypothekenpapiere. Wenn sie versuchen, die auf den Markt zu werfen, welchen Schaden fügen sie sich damit selbst zu? Der größte Eigentümer eines Assets zu sein impliziert, dass jeder Schritt… …man ein Gefangener seiner Assets ist.Ja. Wenn man sich ansieht, wie die chinesische Leistungsbilanz aussieht, dann werden die Überschüsse niedriger und China ist damit zufrieden. Sieht man sich die Kapitalflüsse an, sind sie tatsächlich klein oder negativ, und die Volksrepublik wird ihre Bestände an US-Staatsanleihen wohl nur mit sehr großer Vorsicht weiter aufstocken. Den Markt aktiv zu destabilisieren, wäre ein Schnitt ins eigene Fleisch. Einen Ausweg aus diesem Dilemma gibt es wohl erst, wenn der Yuan selbst zur Reservewährung wird. Aber davon sind wir nicht ein, zwei oder drei Jahre entfernt, sondern Jahrzehnte. Jahrzehnte?Ich höre immer diese aufgeregten Analystenkommentare, die sagen, der Yuan werde die nächste Reservewährung. Die nächste, ja, aber man muss sich ins Gedächtnis rufen, dass sich Länder nicht aussuchen können, ob sie eine Reservewährung haben wollen oder nicht. Es ist der Rest der Welt, der diese Entscheidung trifft. Viele Leute stört, dass der Dollar eine Reservewährung ist. Aber die USA haben das nicht selbst herbeigeführt. Aber es ist großartig für die USA, oder?Es ist ein exorbitantes Privileg. Sie haben dadurch viele Vorteile. Aber sie haben es sich nicht ausgesucht. Es wäre an uns, einen Käuferstreik einzuleiten und den Dollar nicht mehr zu verwenden. Das Problem von China ist folgendes: Ich kann mit einem Dollar in den kleinsten Ortschaften in Afrika bezahlen, wenn ich keine Lokalwährung habe. Leute, die das Land oder gar den Kontinent nie verlassen haben, akzeptieren den Dollar, weil sie ihn zu einer Bank tragen können. Die Bank kann ihn an ihre Zentralbank weiterreichen oder ein Dollar-Asset dafür erwerben. Den Yuan kann ich nicht einmal aus China hinaustragen. Ich würde auch niemanden finden, der ihn annimmt, weil man nichts damit anfangen kann. Es gibt – außer für die Regierung – keinen offenen und liquiden Bondmarkt, der die nötige Tiefe hätte. Das Pfund war vor dem Zweiten Weltkrieg die Reservewährung der Welt, weil es in Großbritannien die tiefsten Asset-Pools gegeben hat. Eine weitere beliebte Geschichte am Kapitalmarkt ist, dass die Zinsen doch nicht steigen werden. Was denken Sie darüber?Es kommt darauf an in welchem Land. In den Vereinigten Staaten werden sie steigen. Die zehnjährigen Zinsen werden weit mehr vom Markt als von der Zentralbank kontrolliert. So wie der Markt Zinsschritte ausgepreist hat, wird er damit anfangen, sie einzupreisen. Die Fed hat immer sehr sensibel darauf reagiert, was an den Aktienmärkten geschah, weniger darauf, was sich am Anleihenmarkt tat. Wenn die Aktienmärkte vor dem Hintergrund der Stärke der wirtschaftlichen Entwicklung einfach nur stabil bleiben würden, dürfte der Markt höhere Zinsen einpreisen und die Fed dürfte sich sehr wohl damit fühlen, den Leitzins weiter zu erhöhen. Der 30 Jahre währende Bullenmarkt wird also nicht wieder anlaufen?Noch nicht. Dafür wäre erst ein größerer Abverkauf nötig. Der Fokus auf die mangelnde Inflation führt in die Irre. Die Vereinigten Staaten sind nicht auf dem Weg in die Disinflation, schon gar nicht auf dem Weg in die Deflation. Wir hatten die schlimmste Wirtschaftskrise in mehr als 100 Jahren und es gab trotzdem keine Deflation. Es ist ein merkwürdiger Zeitpunkt, sich um Deflation Sorgen zu machen, wenn das Wachstum auf Höhe des Trends liegt und die Arbeitslosigkeit Rekordtiefs erreicht. Das Interview führte Andreas Hippin.