GASTBEITRAG

In der Euro-Krise wird Italiens Potenzial übersehen

Börsen-Zeitung, 4.1.2013 In der Euro-Krise hat der hohe Finanzierungsbedarf des italienischen Staates 2012 wiederholt zu extremer Nervosität an den Märkten geführt. Die Beruhigung im zweiten Halbjahr hat den italienischen Rentenmarkt dann aber zu...

In der Euro-Krise wird Italiens Potenzial übersehen

In der Euro-Krise hat der hohe Finanzierungsbedarf des italienischen Staates 2012 wiederholt zu extremer Nervosität an den Märkten geführt. Die Beruhigung im zweiten Halbjahr hat den italienischen Rentenmarkt dann aber zu einem der interessantesten avancieren lassen. Dies ist möglicherweise ein Indiz dafür, dass in der heißen Phase der Euro-Krise die Möglichkeiten für ihre Bekämpfung unterschätzt wurden – zudem auch die Stabilität der italienischen Staatsverschuldung.Italiens Erfahrung mit der Euro-Krise zeigt, dass die Finanzakteure in der Währungsunion eine erhebliche Macht erlangen, wenn sie einzelnen Regionen Liquidität entziehen. Entsprechend hoch ist die Verwundbarkeit der Euro-Staaten und ihrer Bankensysteme. Durch den Entzug des Vertrauens in das Funktionieren der Währungsunion kann das Liquiditätsrisiko für exponierte Euro-Länder dramatisch steigen und sich selbst verstärken – theoretisch bis hin zum drohenden Zahlungsausfall, sofern das Fehlen eines nationalen “lender of last resort” nicht durch alternative Liquiditätsbrücken ausgeglichen wird.Letztendlich hat die Europäische Zentralbank (EZB) durch ihre zahlreichen Marktinterventionen diese Rolle übernommen, denn zur Verteidigung der inneren und äußeren Stabilität des Euro gehört auch die Sicherstellung der damit verbundenen Funktionen sowie die Wahrung der Existenz der Währungsunion insgesamt. Dabei sichert die EZB auch ihr eigenes Fortbestehen ab. Moody’s sorgt für AufregungIm Rückblick wird das teilweise dramatische “Undershooting” des italienischen Rentenmarktes deutlich, das durch Befürchtungen um den Fortbestand des Euroraums ausgelöst wurde. Die Renditen der 10-jährigen Staatsanleihen stiegen von Mitte März bis Juli wieder auf über 6 %. Mitte Juli wiesen Wirtschaftsministerium, die Notenbank Banca d’Italia und der Internationale Währungsfonds (IWF) darauf hin, dass rund 200 der teilweise über 500 Basispunkte Zinsdifferenz zwischen deutschen Bundesanleihen und italienischen Papieren mit fundamentalen Daten zu Wirtschaft und Verschuldung nicht erklärt werden könnten. Tatsächlich sind diese 200 Basispunkte im Laufe der zweiten Jahreshälfte 2012 dann wieder abgeschmolzen, so dass der italienische Rentenmarkt nun zu einem der interessantesten Märkte im Euroraum avanciert ist. Markt unterschätzte EU-GipfelDie Banca d’Italia und das italienische Schatzministerium haben bereits im Frühsommer immer wieder betont, dass im ersten Halbjahr 2012 auch unter sehr schwierigen Marktbedingungen Staatsanleihen regulär begeben werden konnten – allerdings unter erheblichen Mehrkosten und unter starker Einspannung der heimischen Banken. Diese haben die komfortable Marge aus vergünstigtem EZB-Kredit und gestiegener Rendite der Staatsanleihen zur Abfederung der Verluste ihres Kreditportfolios genutzt. Die Entspannung auf den Märkten kam während des zweiten Halbjahres 2012 mit zunehmender Nachfrage nach italienischen Staatsschuldtiteln auch aus dem Ausland.Offenbar haben viele Marktteilnehmer die zum Teil weichenstellenden Vereinbarungen des EU-Gipfels vom 29. Juni zunächst unterschätzt. Damals war durchaus denkbar, dass die Verabredungen für eine künftige flexiblere Nutzung der europäischen Stabilisierungsfonds EFSF und ESM in Kombination mit der stärkeren Integration von europäischer Fiskalpolitik und Bankenaufsicht wichtige Bausteine für die Entschärfung der Euro-Krise werden können. Allerdings hat erst die während des Spätsommers zunehmende Konkretisierung dieser Maßnahmen zur Abnahme der Volatilität in den Finanzierungsbedingungen für Italien geführt. Davor hatte die Ratingagentur Moody’s – angesteckt von der Nervosität der Märkte – noch mit einer deutlichen Herabstufung Italiens von “A 3” auf “Baa 2” für mehr Aufsehen als Orientierung gesorgt.Erst die im Herbst erfolgte Ankündigung der EZB, durch den potenziell unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt der drohenden Desintegration des europäischen Finanzmarktes und der Gefährdung der Geldpolitik entgegenzuwirken, vermochte die Märkte dann entscheidend zu stabilisieren. Dass die EZB eine solche Option immer hatte und – wenn auch erst nach heftiger Debatte und gründlicher Prüfung – eines Tages nutzen könnte, kann kaum bestritten werden. Überschattet wurde diese Möglichkeit jedoch lange dadurch, dass im Euro-Krisenmanagement stets die Vermeidung von Moral Hazard sowie die Sicherung der Konditionalität potenzieller Finanzhilfen im Vordergrund standen. Die Krisenstaaten sollten also nicht in Versuchung geraten, mit dem Vertrauen auf das Handeln der EZB in ihrem Reform- und Konsolidierungseifer nachzulassen.Neben den Zweifeln am Fortbestand der Europäischen Währungsunion sorgt nach wie vor aber noch ein weiteres Phänomen für Skepsis an dem Märkten: Ausgerechnet jene Euro-Krisenländer, die konsequent die geforderte Reformpolitik betreiben, können vorübergehend in eine zyklische Rezession geraten und damit die Sparziele verfehlen. Was ökonomisch logisch ist, kann am Markt wieder zu Vertrauensentzug führen, wenn zyklisch gedacht wird und die langfristig positiven Wirkungen der Reformen aus dem Blick geraten. Gerade für Italien gilt: Die zyklische Rezession ist der spontane Preis für die mittelfristige Stärkung des Wirtschaftswachstums – die Achillesferse von Italiens Schuldentragfähigkeit. Reformen eingeleitetSeit Sommer 2011 wurden von der Regierung Berlusconi unter starkem Druck der Märkte Korrekturmaßnahmen bis 2014 in Höhe von zunächst 40 Mrd Euro, dann 60 Mrd und ab Ende des Jahres von der Regierung Monti schließlich über 80 Mrd Euro oder rund 5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beschlossen. Hierdurch soll der Primärüberschuss des Budgets von 1 % im Jahr 2011 – eine bemerkenswerte Ausnahme unter den hoch verschuldeten Staaten – auf mittelfristig über 5 % des BIP steigen. Damit das auf Dauer gelingen kann, zielt die Regierung mit ihren Reformen auch auf eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Wirtschaft ab.Die Reformen verursachen jedoch erst einmal wirtschaftliche und soziale Kosten, die Stoff für den Wahlkampf im ersten Quartal 2013 liefern werden. Doch wie eng der Spielraum für Alternativen ist, hat der Machtwechsel in Frankreich gezeigt, wo auch die neuen politischen Kräfte entlang der EU-Leitplanken für die Wirtschafts- und Finanzpolitik agieren müssen.Eine Abkehr von den Reformen scheint in Italien gleichwohl nicht mehrheitsfähig. Die potenziellen Kosten eines Vertrauensverlustes sind deutlich sichtbar geworden. Das könnte zur Sicherung der Reformpläne auch in der kommenden Legislaturperiode beitragen, denn wichtige Reformen der Steuergesetzgebung, zur Entbürokratisierung, zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie zum Wahlgesetz sind noch nicht verabschiedet. Besser als USA und JapanObgleich Italien durch die Euro-Krise in die Rezession geraten ist, können sich die relevanten strukturellen Daten zur Schuldentragfähigkeit, wie sie der IWF regelmäßig errechnet, im Vergleich zu anderen Industrienationen sehen lassen (siehe Grafik). Denn Italien spielt beim Primärüberschuss des Staatshaushaltes, also unter Herausrechnung der Zinskosten, mit einer Quote von 2,6 % des BIP immerhin in der gleichen Liga wie Deutschland. Die Verschuldung der Familien und Unternehmen mit jeweils 45,2 % und 82,7 % des BIP liegt zudem unter dem Durchschnitt der Euro-Länder. Daher liegt die Gesamtverschuldung von rund 255 % des BIP trotz hoher Staatsverschuldung auf ähnlicher Höhe wie in Frankreich und im Durchschnitt des Euro-Raumes, aber deutlich unterhalb des Niveaus von Griechenland, Irland, Portugal oder Spanien.Wird Italiens ökonomisches Potenzial also unterschätzt? Die hohe Staatsverschuldung – ein Relikt aus den 70er Jahren – und die Euro-Krise verstellen zu schnell den Blick auf eine weitere bemerkenswerte Kennzahl des IWF: Der langfristige strukturelle Korrekturbedarf des Haushaltsbudgets zur Rückführung der Staatsschuldenquote auf 60 % liegt in Italien bei 4,6 % des BIP. Das ist nach Deutschland und Finnland der drittniedrigste Wert unter den Industrienationen. In den USA liegt der Korrekturbedarf dagegen – ähnlich wie in Japan – bei rund 20 %!