IM BLICKFELD

In Katalonien geht es nicht nur um die Unabhängigkeit

Von Thilo Schäfer, Madrid Börsen-Zeitung, 7.11.2014 Bis vor wenigen Wochen hatten die Regierung und die Vorstände der Ibex-Konzerne gegenüber der spanischen Öffentlichkeit beharrlich behauptet, dass die Spannungen wegen der...

In Katalonien geht es nicht nur um die Unabhängigkeit

Von Thilo Schäfer, MadridBis vor wenigen Wochen hatten die Regierung und die Vorstände der Ibex-Konzerne gegenüber der spanischen Öffentlichkeit beharrlich behauptet, dass die Spannungen wegen der Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien im Ausland niemanden richtig interessieren würden. Doch mittlerweile häufen sich Artikel in internationalen Medien und Studien, welche die Risiken des Konflikts abwägen. Vor dem Referendum in Schottland im September stiegen auch die Zinsen für spanische Staatsanleihen vorübergehend.Am Sonntag sollte nach dem Willen der nationalistischen Parteien, die in Barcelona das Ruder führen, auch in Katalonien eine Volksbefragung zum künftigen Status dieses Landesteils mit der eigenen Sprache und Kultur stattfinden. Doch das spanische Verfassungsgericht hat das Referendum verboten. Einen Antrag, das Verbot aufheben zu lassen, hat Spaniens Oberster Gerichtshof gestern zurückgewiesen. Dessen ungeachtet wollen die Nationalisten dennoch am Sonntag Urnen aufstellen lassen, auch wenn diese wahrscheinlich von der Polizei einkassiert werden.Es geht um die Symbolik. Man will zeigen, dass der spanische Staat den Katalanen vermeintlich die demokratischen Grundrechte verweigert. Nach dem Nein zur Abspaltung in Schottland haben die Befürworter der Emanzipation einen Strategiewechsel vollzogen. Nicht mehr die Unabhängigkeit an sich steht im Vordergrund, sondern das sogenannte Recht auf Selbstbestimmung. Das trifft den Nerv der Zeit in Spanien, wo im Zuge der Rezession und der Anhäufung von Korruptionsfällen in Politik und Wirtschaft das gesamte System in der Krise ist. Ausdruck dafür ist der rasante Anstieg von Podemos, einer erst zu Jahresanfang gegründeten linken Partei, die in jüngsten Umfragen zu den beiden Volksparteien aufgeschlossen hat.Ähnlich wie in Schottland hat in Katalonien der Frust über die wachsenden sozialen Ungleichheiten und die verkrusteten Strukturen maßgeblich zum Wachsen der Unabhängigkeitsbestrebungen beigetragen. Umfragen nach ist die Hälfte der Katalanen für die Abspaltung von Spanien. Vor zehn Jahren waren es gerade einmal 13 %. Von den Befragten geben 21 % an, dass sie erst seit kurzem für die Unabhängigkeit sind.Der katalanische Nationalismus ist seit Ende des 19. Jahrhunderts ein Faktor der spanischen Politik. Es ist eine emotionale Debatte, bei der die wirtschaftlichen Folgen trotz eindringlicher Mahnungen von Volkswirten verdrängt werden. Dabei ist es unvermeidbar, dass ein unabhängiges Katalonien zunächst aus EU und Währungsunion ausgeschlossen würde. Beide Seiten würden verlieren, denn der Landesteil am Mittelmeer ist traditionell der Industriemotor des Landes und Sitz vieler Großkonzerne. Fraglich ist auch, was mit den katalanischen Staatsschulden von mehr als 60 Mrd. Euro geschehen würde. Die Analysten von Barclays warnen davor, die Risiken durch die Lage in Katalonien zu unterschätzen, denn diese hätten “das Potenzial, mehr Volatilität zu erzeugen”. Auch die Deutsche Bank erwähnt in einem Bericht über die spanischen Banken die Gefahr für die Staatsanleihen, gerade jetzt, wo Madrid von den niedrigen Zinsen profitiert. Moody’s sieht die Situation dagegen ein wenig entspannter und vertraut auf eine Lösung über Verhandlungen zwischen Madrid und Barcelona. Genau das will der katalanische Ministerpräsident Artur Mas von der konservativ-nationalistischen CiU Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy am Montag in einem Brief vorschlagen. Mas nahm den Inhalt des Schreibens vorweg und erklärte, man wolle die Zentralregierung auffordern, gemeinsam an einem rechtlichen Rahmen für ein Referendum in naher Zukunft zu arbeiten. Auch über altbekannte Forderungen wie einen aus Sicht Barcelonas gerechteren Finanzausgleich zwischen den 17 autonomen Regionen und mehr staatlichen Ausgaben für Infrastrukturprojekte in Katalonien möchte Mas mit Rajoy reden.Anders als in den vergangenen Jahren geht es mittlerweile aber längst nicht mehr ums Geld. Eine Mehrheit der Katalanen unterstützt das Recht auf Selbstbestimmung, darunter auch viele Gegner der Unabhängigkeit. Man will zumindest gefragt werden. Bislang hat sich Rajoys Volkspartei (PP) hartnäckig verweigert unter Bezug auf die Verfassung, die ein Recht auf Abspaltung nicht vorsieht. “Wem das Recht nicht passt, der kann ja eine Änderung der Verfassung vorschlagen”, lautet Rajoys Standardantwort auf die Klagen aus Barcelona. Er selbst sieht dafür bislang jedoch keinen Bedarf.Eine gründliche Verfassungsreform ist genau das, was die Sozialisten der PSOE verteidigen, um den territorialen Konflikt einzudämmen. Mit einem Ausbau des Föderalismus hofft die größte Oppositionspartei des Landes den Bestrebungen der Katalanen nach mehr Eigenständigkeit gerecht zu werden. Auch andere Parteien wie Podemos sind dafür offen. Angesichts der total verhärteten Beziehung zwischen Mas und Rajoy wartet man nun auf die Wahlen im nächsten Jahr. Nach jetzigem Stand scheint es unwahrscheinlich, dass die PP ihre absolute Mehrheit verteidigen kann. Eine große Koalition mit der PSOE oder ein Linksbündnis sind die Szenarien. Sollte es in Katalonien zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, könnten die radikal-nationalistischen linken Republikaner der ERC die CiU von Mas an der Macht ablösen. Die Karten würden neu gemischt und man könnte sich endlich an einen Tisch setzen.